Guns, Germs, and Steel – The Fates of Human Societies

Table of Contents:

3.1 Ziel und Leitfrage des Werkes

Diamond setzt sich ein nicht unbescheidenes Ziel, wenn er, wie im Vorwort der Paperback-Edition von Guns, Germs, and Steel erläutert, versucht, eine „short history of everybody for the last 13.000 years“ (Diamond 2003a, S. 9) zu verfassen, um die Frage beantworten zu können, warum seit dem Ende der letzten Eiszeit „history [did] unfold differently on different continents“ (Diamond 2003a, S. 9). Einen Auslöser für diese Fragestellung stellte die Begegnung Diamonds mit einem neuguineischen Politiker namens Yali während eines seiner dortigen Forschungsaufenthalte im Jahre 1972 dar. Sein Gesprächspartner sinnierte damals über die Gründe des unterschiedlichen technischen Entwicklungsstandes der lokalen Bevölkerung im Vergleich zu dem der weißen Siedler (Diamond 2011, S. 14–15): In der Tat lassen sich zivilisatorische Errungenschaften, wie Landwirtschaft, Metallurgie, Schriftkultur oder komplexere staatliche Organisationsformen, stets zuerst im eurasischen Raum beobachten, während sie in anderen Teilen der Erde (teils deutlich) später auftauchen oder bis zum Eintreffen eurasischer Kolonialisten gar nicht vorzufinden waren (Diamond 2011, S. 16). Diese Unterschiede sind besonders deshalb bemerkenswert, da sich gegen Ende der letzten Kaltzeit vor ca. 13.000 Jahren die Bewohner aller Kontinente noch auf einem weitgehend ähnlichen Entwicklungsstand befunden hatten (Diamond 2011, S. 16).

Doch wie ist das unterschiedliche Entwicklungstempo der Kontinente seitdem zu erklären, und warum sind es gerade die Ostasiaten und die Europäer, die es in Folge dieses Vorsprungs vermochten, in andere Teile der Erde vorzudringen und

die dortigen Zivilisationen zu unterwerfen oder gar auszulöschen (Diamond 2011,

S. 15)? Während Diamond 1972 in Papua-Neuguinea noch keine Antworten auf diese Fragen finden konnte, versucht er dies in Form von Guns, Germs, and Steel mit 25jähriger Verspätung nachzuholen (Diamond 2011, S. 15) und zu klären, „[w] hy were those societies the ones that became disproportionately powerful and innovative“ (Diamond 2003a, S. 10) und warum der Lauf der Geschichte nicht dazu führte, dass es die indigenen Völker des amerikanischen, afrikanischen und australischen Kontinents waren, die die Völker Eurasiens unterwarfen oder dezimierten (Diamond 2011, S. 15).

3.2 Unmittelbare Erklärungsfaktoren für Macht und Reichtum: Guns, Germs & Steel

Jared Diamond liefert mit Guns, Germs, and Steel eine Antwort, die sich deutlich von rassistisch-biologischen Erklärungsmustern abgrenzt (Diamond 2011, S. 19–22) und stattdessen biogeographische Faktoren als entscheidende Variablen benennt: „History followed different courses for different peoples because of differences among peoples' environments, not because of biological differences among peoples themselves“ (Diamond 2011, S. 25). Zur Ausarbeitung seines Arguments betrachtet er im ersten Teil des Werkes aber zunächst die „immediate factors“ (Diamond 2011, S. 23), die als „ingredients of conquest“ (Diamond 2003a, S. 10) unmittelbar und offenkundig zum Gelingen von Unterwerfung und Ausrottung anderer Völker beitrugen. Anhand des Zusammentreffens des Konquistadoren Francisco Pizarro mit dem Inka-Herrscher Atahualpa im November 1532 in Cajamarca im heutigen Peru schlüsselt er exemplarisch auf, wie mit Hilfe moderner Militärtechnik in Form von Schusswaffen, armierten Pferden und Stahlrüstungen, sowie importierter Infektionskrankheiten und schriftlich festgehaltener Informationen ein quantitativ deutlich überlegener Gegner besiegt werden konnte. Diese Titel gebenden Guns, Germs, and Steel (fortan: GGS) dienen somit zwar einer unmittelbaren Erklärung der europäischen Dominanz, erlauben aber noch keinerlei Rückschlüsse auf die eigentlichen Ursachen dieser unterschiedlichen kulturellen, technischen und politischen Entwicklung der Völker verschiedener Kontinente.

3.3 Der Übergang zur Landwirtschaft als Voraussetzung militärischer Überlegenheit

Aus diesem Grund widmet sich Diamond im zweiten und dritten Teil seines Buches der Suche nach den „ultimate causes“ (Diamond 2011, S. 23), um erklären

können, warum gerade die Europäer mit Hilfe der GGS andere Kontinente kolonialisieren und die dortigen Bewohner unterwerfen konnten und nicht umgekehrt. Hierfür arbeitet er im vierten Kapitel die zentrale Rolle der Landwirtschaft als entscheidende „prerequisite“ (Diamond 2011, S. 86) für die Etablierung dieser „immediate factors“ (Diamond 2011, S. 23) heraus, indem er aufzeigt, welche Folgen die Abkehr vom Jagen und Sammeln innerhalb der vergangenen 11.000 Jahre (Diamond 2011, S. 86) nach sich zog und wie dieser Schritt den Weg hin zur Entwicklung moderner Gesellschaften bahnte.

Die für die Landwirtschaft notwendige Sesshaftwerdung der bis dato nomadenhaften Jäger und Sammler führte aufgrund einer höheren Geburtenrate (Diamond 2011, S. 89) in der Folge ebenso zu einer Populationszunahme wie der Umstand, dass die systematische Kultivierung und der Anbau von ertragund nährstoffreichen Pflanzen bzw. das Halten von Tieren die Ernährung einer größeren Anzahl von Menschen ermöglichte (Diamond 2011, S. 88–89). Neben diesem quantitativen Aspekt führte der Übergang zur Landwirtschaft aber auch zu einer qualitativen Veränderung dieser Gesellschaften: Die Möglichkeit der Bevorratung von Nahrungsmitteln im großen Stil sowie die Sesshaftwerdung erlaubten die Entstehung und den Unterhalt einer sozial und ökonomisch differenzierteren Gesellschaft mit sogenannten „non-food-producing specialists“ (Diamond 2011, S. 89) besonders in den Bereichen Wissenschaft und Technik: Weil diese selbst keinen Beitrag zur Nahrungsmittelproduktion leisten mussten, konnten sie Zeit und Energie für die Entwicklung technischer und militärischer Innovationen aufbringen (Diamond 2011, S. 90 und Kap. 13).

In solchen größeren und differenzierten Gesellschaften ergab sich aus Gründen der Koordination der Infrastruktur und der Konfliktregelung in der Folge auch die Notwendigkeit der Entstehung einer zentralisierten politischen Elite mit Gewaltmonopol (Diamond 2011, S. 90 und Kap. 14). Mit der Herausbildung solcher komplexerer Staatsgebilde einher ging auch die Etablierung von Schriftsystemen (Diamond 2011, Kap. 12), die von Spezialisten zunächst im Bereich der buchhalterischen Verwaltung oder der Panegyrik zu Macht erhaltenden Zwecken eingesetzt wurden (Diamond 2011, S. 236).

In Folge der Nutzung von Tieren zur Nahrungsmittelproduktion, als Transportmittel oder Lieferant von Dünger (Diamond 2011, S. 88 und 91) kam es auch zum intensiven Kontakt mit Erregern tierischer Krankheiten, woraus sich mit der Zeit für den Menschen bedrohliche Infektionskrankheiten, wie Pocken, Grippe, Masern, Cholera und Pest entwickelten (Diamond 2011, S. 196–197, 206–210). In Gesellschaften mit (langer und vielfältiger) Agrartradition und vielen Handelsund somit Ansteckungskontakten konnten sich allerdings über Generationen auch Resistenzen gegenüber diesen Erregern bilden (Diamond

All diese Konsequenzen eines Übergangs zur Landwirtschaft resultierten für Völker nicht nur in einem wegen der steigenden Bevölkerungsgröße quantitativen, sondern auch in einem entscheidenden militärischen und ökonomischen Vorteil im Vergleich zu Jägerund Sammler-Gesellschaften, da diese Faktoren als „major links between food production and conquest“ (Diamond 2011, S. 92) fungierten: Ressourcen und Streitkräfte lassen sich effizienter nutzen, wenn eine zentrale Entscheidungsinstanz, wie im Falle komplexerer Staatsgebilde, diese koordiniert und konzentriert steuern kann (Diamond 2011, S. 281). Im Gegensatz zu rein mündlichen Kulturen lassen sich mit Hilfe eines Schriftsystems zudem navigatorische, geographische, militärische oder kulturelle Informationen schneller und präziser erfassen und weiterverbreiten, sodass Schriftkulturen gerade bei Expansionsund Eroberungsbestrebungen über bedeutende strategische Vorteile verfügen (Diamond 2011, S. 215). Trafen Gruppen mit unterschiedlich langer und intensiver Agrartradition aufeinander, wie bei der europäischen Kolonisation Nordund Südamerikas, aber auch in Australien und dem südlichen Afrika (Diamond 2011,S. 210–214), erwiesen sich dann nicht nur diese Unterschiede in Truppenstärke, Militärtechnik und Organisation als „sinister gift“ (Diamond 2011, S. 214) der Eindringlinge, sondern gerade auch „the germs evolving from Eurasians' long intimacy with domestic animals“ (Diamond 2011, S. 214).

3.4 Biogeographische Unterschiede der Kontinente als eigentliche Ursachen für Entwicklungsdifferenzen

Diese Punkte zur zentralen Bedeutung der Entstehung der Landwirtschaft lassen aber noch keine Rückschlüsse darüber zu, warum in einigen Teilen der Erde, wie vor allem in Eurasien (Diamond 2011, S. 262), der entscheidende Übergang zu Ackerbau und Viehzucht früher als andernorts stattfand2 und sich in der Folge diese „unequal conflicts between the haves and the have-nots“ (Diamond 2011,

S. 93) überhaupt erst herausbilden konnten. Um eine Erklärung dafür liefern zu können, welche „ultimate causes“ (Diamond 2011, S. 23) dazu führten, dass gerade europäische Völker hier über einen Entwicklungsvorsprung verfügten, greift Diamond auf die eingangs erwähnte (Diamond 2011, S. 25) zentrale Rolle bestimmter biogeographischer Umweltbedingungen zurück, die über das Schicksal der Geschichtsverläufe der Kontinente entscheiden. Er identifiziert hierbei drei entscheidende Faktoren, die eine frühe und intensive Übernahme der Landwirtschaft durch die Bewohner eines Kontinents beförderten:

• Verfügbarkeit domestizierbarer Tiere und Pflanzen

• Geringe interkontinentale Diffusionshürden

• Ausrichtung der Kontinentalachse in Ost-West-Richtung

Grundsätzlich stellte die lokale Verfügbarkeit domestizierbarer Wildpflanzen und

-tiere den entscheidenden Erfolgsfaktor für die Abkehr vom Jägerund Sammlertum dar, da die mit der Etablierung landwirtschaftlicher Produktionsweisen verbundenen Hürden nicht unerheblich sind.[1] Vor diesem Hintergrund verfügte gerade der eurasische Raum und dort insbesondere der Fruchtbare Halbmond über besonders günstige Voraussetzungen hinsichtlich der „Mitgift der Natur“ (Kaube 1998, S. N5) und somit für einen frühzeitigen und umfangreichen Übergangs zur Landwirtschaft: So zeichnete sich jenes Gebiet nicht zuletzt durch die Größe seiner nutzbaren Fläche (Diamond 2011, S. 407–408) und die global größte ökologische Vielfalt in Flora (Diamond 2011, S. 138–143) und Fauna (Diamond 2011, S. 161–162) aus. Dies führte dazu, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Domestikation von Pflanzen und Tieren dort von Anfang an größer war (Diamond 2011, S. 162–163) als in anderen Teilen der Erde, wo die Hinwendung zur Landwirtschaft, wie beispielsweise im Osten der heutigen USA oder in Neuguinea, langsamer bzw. wie in Kalifornien, Australien und Westeuropa aufgrund des dort noch geringeren Domestikationsmaterials gar nicht autonom erfolgte (Diamond 2011, S. 150 und 153).

Da die Hinwendung zur Landwirtschaft – gleiches gilt im Übrigen auch für Innovationen aller Art (Diamond 2011, S. 237–238, 255–256, 261) – aber nicht notgedrungen autonom und damit abhängig vom eben genannten lokal vorhandenen Domestikationsmaterial erfolgen muss, sondern auch durch den Import bereits andernorts kultivierter Pflanzen und Tiere, wie in Mittelund Westeuropa sowie Ägypten, initiiert aber gerade auch intensiviert und fortentwickelt werden kann (Diamond 2011, S. 101–102), spielen auch Hürden bei der Diffusion von bereits domestizierten Pflanzen und Tieren eine entscheidende Rolle (Diamond 2011,

S. 189). Aus diesem Grund sind umfangreiche Kontakte zwischen möglichst vielen Zivilisationen durch Handel, Spionage, Migration oder auch Krieg von besonderer Bedeutung für die Verbreitung von Innovationen bzw. deren Weiterentwicklung (Diamond 2011, S. 256). Fehlen hingegen solche Verbindungen aufgrund einer Isolation durch geographische oder klimatische Diffusionshemmnisse oder sind aufgrund einer geringen Größe des (bewohnbaren Teils des) Kontinents grundsätzlich nur wenige Austauschpartner verfügbar, sind gegenseitige innovatorische Befruchtung und Austausch mit Erfindungen aus anderen Regionen kaum möglich (Diamond 2011, S. 256–258).

Neben topographischen Barrieren wie beispielsweise Wüsten und Hochgebirgen (Diamond 2011, S. 189) identifiziert Diamond in Kap. 10 den Achsenverlauf der Kontinente als entscheidenden Aspekt, der zur Verbreitungsgeschwindigkeit und -intensität von Innovationen beitrug: Anhand der Ausbreitung der Landwirtschaft aus deren Ur-Regionen stellt Diamond fest, dass diese aus Vorderasien westwärts in Richtung Europa und Afrika bzw. ostwärts zum Industal schneller und intensiver erfolgte, als jene ausgehend vom Andengebiet und Mesoamerika gen Nordund Südamerika (Diamond 2011, S. 177–178). Diamond begründet die leichtere Diffusion auf einer Ost-West-Achse mit deren ähnlichen Breitengraden, die nur für geringe Unterschiede bei Tagdauer, Jahreszeiten, Temperaturen und Niederschlagsmengen sorgen, sodass sich Pflanzen und Tiere bei einer Verbreitung

z. B. im gemäßigten Klima zwischen Vorderasien und Europa nur mit geringeren Anpassungsproblemen konfrontiert sahen, während die tropische Klimazone zwischen Nordund Südafrika, wie auch das Gebiet zwischen Mesound Südamerika, eine sehr schwer überwindbare klimatische Barriere mit entscheidenden Konsequenzen auch für die Verbreitung von Innovationen neben der Landwirtschaft darstellten (Diamond 2011, S. 183–189): „That faster spread of Eurasian agriculture, compared with that of Native American and sub-Saharan African agriculture played a role […] in the more rapid diffusion of Eurasian writing, metallurgy, technology, and empires“ (Diamond 2011, S. 191).

3.5 Fazit: Biogeographische Zufälle als entscheidender Auslöser für Macht und Innovationskraft

Mit Hilfe dieser Erkenntnisse, die Diamond in Guns, Germs, and Steel herausarbeitete, ließe sich die eingangs angesprochene, von Yali, dem neuguineischen Politiker, im Jahre 1972 gestellte Frage demnach wie folgt beantworten: (Bio)Geographische, topographische und klimatische Rahmenbedingungen, wie die lokale Verfügbarkeit domestizierbarer Wildpflanzen und -tiere sowie geringe Diffusionshürden (ersichtlich vor allem an der Achsenausrichtung), spielen als eigentliche Faktoren ( ultimate factors) nicht nur eine entscheidende Rolle, ob und in welchem Umfang eine Gesellschaft den Übergang zur landwirtschaftlichen Produktionsweise gestalten konnte, sondern ebenso auch dafür, inwieweit sich die Konsequenzen dieses Schrittes in Form der Machtund Innovationsfaktoren GGS entwickeln und ausbreiten konnten:

Waren diese Umweltbedingungen förderlich wie im eurasischen Raum, führte dies dazu, dass es gerade die dortigen Zivilisationen waren, die früher und intensiver in den Genuss der Vorteile dieser unmittelbaren Faktoren ( proximate factors) und somit dem Schlüssel zu Macht und Reichtum gelangten: „The peoples of areas with a head start on food production thereby gained a head start on the path leading toward guns, germs, and steel“ (Diamond 2011, S. 103). Biogeographische Vorteile dieser Art gegenüber anderen Kontinenten (Diamond 2011, S. 261–263) entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte somit auch zu gewaltigen zivilisatorischen und technologischen Vorteilen (Diamond 2011, S. 241), die schließlich dazu führten, dass die Nachkommen dieser Frühstarter „ended up dominating the modern world“ (Diamond 2011, S. 266–267).[2]

Im vierten Teil seines Buches wendet Diamond diese Erkenntnisse abschließend an, um detaillierter anhand der Erfolge europäischer Kolonialisten in Australien (Kap. 15), Amerika (Kap. 18) sowie im südlichen Afrika (Kap. 19), der Ausbreitung der Bantu-Völker in Afrika (Kap. 19) sowie Chinas dominanter Rolle im ostasiatischen Raum (Kap. 16)[3] aufzeigen zu können, dass gerade die Völker, „who, by accident of their geographic location inherited or developed food production thereby became able to engulf geographically less endowed people“ (Diamond 2011, S. 386; Hervorhebung von A. F.). Die entscheidende Determinante, die über das Wohl oder Leid der Bewohner eines Kontinentes bestimmt, ist demnach „largely geographic luck“ (Dunn 2006; ähnlich auch Sharpe 1998, S. 121 und Rushton 1999, S. 99) und keineswegs, wie von Diamond (2011, S. 19–22) bereits auf den ersten Buchseiten zurückgewiesen, in rassistisch-biologischen Erklärungen zu finden.

3.6 Innerkontinentale Differenzierung und nachhaltige Relevanz biogeographischer Faktoren

Allerdings lässt Diamond bis zum Epilog seines Buches die Frage offen, warum es auf dem mit biogeographischen Vorteilen gesegneten eurasischen Kontinent nicht

die Nachkommen der Völker, die sich wie im Fruchtbaren Halbmond oder China zuerst der Landwirtschaft zuwendeten, sondern gerade die Europäer waren, die in den vergangenen Jahrhunderten andere Kontinente kolonialisierten und die heute

„took the lead in technology and became politically and economically dominant in the modern world“ (Diamond 2011, S. 409). Denn thematisch konzentriert sich Diamonds Argumentation über weite Strecken auf einen anderen Punkt: „Europe drops out of sight. Practically the whole book is concerned with another question: why has Eurasia […] dominated the earth“ (Dawson 2002, S. 44, Hervorhebung

i. O.; ähnlich auch Martis 2003, S. 119)?

Erst nach über 400 Seiten liefert Diamond im Epilog von Guns, Germs, and Steel die hierfür notwendige innerkontinentale Differenzierung, um die unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb Eurasiens mit vorteilhaftem Resultat für dessen europäischen Teil erklären zu können (Diamond 2011, S. 410–411). Dies ließe sich zwar auch mit einer Reihe nichtbiogeographischer unmittelbarer Faktoren begründen (Diamond 2011, S. 410),[4] die tieferen Ursachen sieht er aber hier ebenso in den Umweltbedingungen der beiden Regionen auf dem eurasischen Kontinent verwurzelt: Während die Vielzahl an vor Ort domestizierbaren Arten es den Zivilisationen des vorderen Orients zunächst ermöglichte, einen Vorsprung gegenüber anderen Regionen aufzubauen, hatten sie jedoch langfristig „the misfortune to arise in an ecologically fragile environment“ (Diamond 2011, S. 411). Mangelnde Nachhaltigkeit im Umgang mit den vor Ort verfügbaren Ressourcen führte zu Versandung, Versalzung und Erosion und somit zum „ecological suicide by destroying their own resource base“ (Diamond 2011, S. 411), während die Bevölkerung des westund nordeuropäischen Teils des eurasischen Kontinents schlichtweg das Glück hatte, in einem ökologisch weniger empfindlichen Gebiet zu siedeln, das eine intensive Landwirtschaft auch noch 7000 Jahre nach deren Einführung zulässt (Diamond 2011, S. 411).[5]

Ebenfalls vor allem mit geographischen Faktoren begründet der Autor den Aufstieg gerade der (west)europäischen Zivilisationen im Vergleich zu China, wenn er die Folgen des Ausmaßes von Diffusionshürden näher erörtert: Das weitgehende Fehlen größerer geographischer Hürden stellte sich zunächst als Vorteil dar und ermöglichte die frühe politische, kulturelle und sprachliche Einigung des Riesenreiches und dadurch eine frühzeitige regionale Dominanz und Innovationskraft (Diamond 2011, S. 331). Allerdings war der Erfolg von Innovationen in einer ganzen Region auch abhängig vom Willen einer politischen Führungselite, sodass sich der Mangel an Diffusionshürden hier letztlich als Problem erwies. Die moderate Fragmentierung Europas (Diamond 2011, S. 458), z. B. durch (Halb-)Inseln und Gebirge, führte hingegen zu einem langfristig positiven Effekt (Diamond 2011, S. 414–416): „Europe's barriers were sufficient to prevent political unification, but insufficient to halt the spread of technology and ideas. There has never been one despot who could turn off the tap for all Europe, as of China“ (Diamond 2011, S. 416).

Geographische Begründungsmuster garantieren, wie am Beispiel des Fruchtbaren Halbmondes illustriert, somit keinen ewigen zivilisatorischen Vorsprung, und auch nichtgeographischen Aspekten gesteht Diamond darüber hinaus eine gewisse unmittelbare Erklärungskraft für unterschiedliche Entwicklungsverläufe zu. Doch haben die durch ihn herausgearbeiteten biogeographischen Faktoren – trotz des Wegfalls traditioneller ökonomischer und kultureller Diffusionshürden im Zeitalter der Globalisierung – in seinen Augen nichts an ihrer langfristigen Relevanz und nachhaltigen Wirkungskraft verloren (Diamond 2011, S. 417), was auch Folgen für seine Prognose für gegenwärtige und potenzielle zukünftige Aufsteigerregionen hinsichtlich Macht und Innovationsfähigkeit hat: „The nations[6] rising to new power are still ones that were incorporated thousands of years ago into the old centers of dominance based on food production, or that have been repopulated by peoples from those centers“ (Diamond 2011, S. 417).

  • [1] Diamond erläutert diese Herausforderungen bei der Domestikation von Pflanzen (Kap. 8) und Tieren (Kap. 9), indem er darlegt, dass generell nur ein geringer Prozentsatz der Wildpflanzen (Diamond 2011, S. 132–138) und -tiere (Diamond 2011, S. 168–169) sowohl nutzals auch ohne weiteres domestizierund reproduzierbar ist.
  • [2] Diese Kausalkette von den eigentlichen hin zu den unmittelbaren Faktoren zur Erklärung historischer Entwicklungsverläufe illustriert Diamond mit einer eingängigen Grafik (Diamond 2011, S. 87).
  • [3] In den englischen Auflagen ab 2007 (Diamond 2015c) befasst sich vor diesem Hintergrund ein zusätzliches Kapitel auch mit der Verwandtschaft des japanischen und des koreanischen Volkes.
  • [4] Diamond (2011, S. 410) zählt hier u. a. Kapitalismus, Patentschutz, fehlende absolute Despoten sowie eine „Graeco-Judeo-Christian tradition of critical empirical inquiry“ als bedeutende Beispiele auf.
  • [5] Der Problematik der Ursachen eines Untergangs von Zivilisationen widmet sich Jared Diamond ausführlicher im 2004 erschienenen Nachfolgewerk Collapse.
  • [6] Diamond (2011, S. 417) nennt als Beispiele für diese Aufsteigerregionen die von der Urlandwirtschaft Chinas geprägten Länder Japan, Taiwan, Südkorea und Malaysia sowie die Nachkommen der ursprünglich der Landwirtschaft des Fruchtbaren Halbmondes entstammenden europäischen Kolonialisten Brasiliens. Umgekehrt prognostiziert er, dass die [p]rospects for world dominance of sub-Saharan Africans, Aboriginal Australians, and native Americans remain dim“.
 
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