Biographie und wissenschaftliches Gesamtwerk

Paul Michael Kennedy[1], „Neocons' worst nightmare“ (Crace 2008), wie es der Guardian formulierte, wurde 1945 im nordenglischen Wallsend-on-Tyre in eine irisch-katholische Arbeiterfamilie geboren, erwarb 1966 den Bachelor of Arts an der University of Newcastle und wurde 1970 am St. Anthony's College in Oxford, wo er unter anderem als Assistent des Militärhistorikers Sir Basil H. Liddell Hart wirkte, promoviert. Von 1970 bis 1983 setzte Kennedy seine wissenschaftliche Laufbahn an der University of East Anglia in Norwich fort; seit 1983 ist er J. Richardson Dilworth Professor of History und Director of International Security Studies an der Yale University.

Zu Kennedys zentralen Forschungsfeldern gehören neben Arbeiten zur Politik des British Empire (u. a. Kennedy 1976, 1980, 1981) die Auseinandersetzung mit militärund diplomatiehistorischen Fragestellungen (u. a. Kennedy 1972) sowie die Analyse der Beziehungen ‚Großer Mächte' im 19. und 20. Jahrhundert;[2] seine aktuellste Monographie aus dem Jahre 2006 widmet sich unter dem Titel The Parliament of Man den Vereinten Nationen in Past, Present and Future (Kennedy 2006, 2007). Vor allem aufgrund des medialen, aber auch wissenschaftlichen Echos überragt die Arbeit über The Rise and Fall of the Great Powers, die sich in die Tradition angelsächsischer Diplomatiegeschichte stellt (Schöllgen 1989, S. 2),

[3] Kennedys Œuvre. Ursprünglich lediglich als „brief, ‚essayistic' book“ (Kennedy 1987, S. XXV) konzipiert, wurde der mit knapp 700 Seiten voluminöse Band inzwischen in 23 Sprachen übersetzt (Crace 2008); die Zahl wissenschaftlicher Rezensionen und publizistischer Beiträge ist kaum zu überblicken.[4]

Mag der Band zwar inzwischen sowohl seine im Kontext der Reagan-Administration der späten 80er Jahre entfaltete politische Sprengkraft als auch sein

‚prognostisches' Potential angesichts des Zerfalls der Sowjetunion und der damit verbundenen fundamentalen Verschiebungen im System der ‚Großen Mächte' weitestgehend eingebüßt haben, so eröffnet umgekehrt gerade dies eine unbefangenere und insofern wissenschaftlich adäquatere Neu-Lektüre – auch und gerade angesichts der historiographischen Skepsis gegenüber ‚großen Erzählungen'.[5]

  • [1] Die biographischen Angaben basieren auf Reagan (1989, S. 295), Crace (2008) und Kennedy (2008).
  • [2] Vgl. neben dem hier thematisierten Werk exemplarisch Kennedy (1983).
  • [3] So verweist Schöllgen (1989, S. 2) darauf, dass die Diplomatiegeschichte in Deutschland

    „seit den 60er Jahren heftigen Attacken ausgesetzt“ gewesen sei. Vgl. auch zur Kritik der traditionellen, insbesondere auf Ranke Bezug nehmende Diplomatiegeschichte einführend Borowsky und Nicolaysen (2007).

  • [4] Eine erste Recherche mittels der einschlägigen Kataloge und Datenbanken förderte rund 40 Besprechungen allein in den ersten Jahren nach Erscheinen zutage. Vgl. auch exemplarisch Meaney (1991, S. 89, 96 Anm. 1).
  • [5] Zu Begriff und Geschichte der ‚Meistererzählung' bzw. des ‚master narrative' vgl. Jarausch und Sabrow (2002).
 
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