Rezeption und Kritik
Gerade weil die von ihm vertretene eurozentristische Position (Landes 1998,
S. XXI) als Absage an Ansätze verstanden werden kann, welche den Zufall als entscheidende Größe einer – temporären – europäischen Dominanz identifizieren und damit eine kulturrelativistische Grundhaltung dokumentieren (Eichengreen 1998, S. 130), nimmt es nicht Wunder, dass The Wealth and Poverty of Nations zum Gegenstand teils heftig geführter Kontroversen wurde: „The postmodernism and multiculturalism that run rampant in history departements are fundamentally incompatible with the approach taken by Landes here“ (Eichengreen 1998, S. 133). Neben 1) dem theoretischen Hintergrund gerieten dabei auch 2) Terminologie und 3) Methodik des Autors in den Fokus der Kritik. Darüber hinaus avancierte der Ansatz zum Gegenstand einer Debatte, die am Ende des Jahrtausends von Vertretern der eurozentristischen und globalhistorischen Position ausgetragen wurde.[1] Mit Blick auf die 1) theoretischen Prämissen sah sich Landes dem Vorwurf ausgesetzt, sein Werk sei eine Kompilation einschlägiger Thesen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Lal 1998, S. 305), die sich zudem aufgrund der Vernachlässigung bedeutsamer Ansätze als wenig innovativ erweise (Vries 1998, S. 69).[2] Allerdings wurde nicht nur die mangelnde Berücksichtigung einer großen Bandbreite an theoretischer Literatur moniert, sondern auch das Faktum, dass Landes mit Weber und Wittfogel zwei Denker zu Gewährmännern seines Ansatzes erhebt, deren Thesen als wissenschaftliche Atavismen gelten (Lal 1998, S. 306; Vries 1998, S. 72). Angesichts der in den Sozialwissenschaften prominenten Diskussion um die Gewichtung von ‚structure' und ‚agency' konnte auch die primär akteurszentrierte Perspektive nicht unwidersprochen hingenommen werden. Landes wurde in diesem Zusammenhang nicht nur eine Überschätzung der Möglichkeiten menschlicher Einflussnahme unterstellt, die sich als „not fair“ (Vries 1998,S. 73)[3] gestaltet, sondern auch die Missachtung gängiger struktureller Kategorien vorgehalten, welche die moderne Welt als interdependentes Netzwerk erscheinen lassen, im Rahmen dessen Modernisierungsgewinne nicht abgelöst von ihren – mitunter negativen – Konsequenzen für andere gedacht werden könnten (Senghaas 2000, S. 150–151).[4]
Begleitet wird diese Kritik an den theoretischen Grundlagen von Stimmen, welche sich 2) gegen die terminologische Unschärfe des Werkes wenden. Besonders schwer wiegt in diesem Zusammenhang der Vorwurf, Landes sehe von einer präzisen Definition des für seine Argumentation so eminent wichtigen Begriffs der Kultur ab (Conte 2011, S. 52). Die damit einhergehende simplifizierende Gegenüberstellung eines dynamischen Europas und eines rückständigen Rests der Welt trage bei Lichte betrachtet wenig dazu bei, die Frage zu beantworten, weshalb einige Kulturen Phasen der wirtschaftlichen Blüte erlebten, während andere ökonomisch stagnierten (Goldstone 2000, S. 111; Tilly 1999, S. 1256). Die kritisierte mangelnde terminologische Klarheit wird begleitet von Vorwürfen, welchen sich Landes 3) ob der von ihm angewandten komparativen Methode ausgesetzt sah. Der ambitioniert angelegte Vergleich und die enorme Ausdehnung des Untersuchungsgebietes ziehe nach sich, dass die Ausführungen gerade mit Blick auf Asien von breiten Generalisierungen getragen würden, die einer umfassenden Fundierung durch relevante Primärliteratur entbehrten (Egnal 1999, S. 1559) und von einer eurozentristischen Borniertheit zeugten, die einen ernsthaften historischen Vergleich verhindere (Buck 1999, S. 420).
Zum Objekt der 4) akademischen Debatte avancierte The Wealth and Poverty of Nations allerdings in der Auseinandersetzung mit den großen Paradigmen der Millenniumsliteratur,[5] wobei Landes' Werk in André Gunder Franks ReOrient (1998) ein Pendant gefunden hatte, welches sich der Perspektive des radikalen Globalismus verhaftet zeigt (Menzel 2001, S. 215). Der von Frank vertretene Ansatz wird von der Auffassung getragen, Europa habe sich bis ins 18. Jahrhundert an der Peripherie eines wechselweise arabisch, indisch oder chinesisch dominierten Weltsystems befunden und sei erst infolge einer Politik, die sich als Mixtur aus Protektionismus, aggressiver Exportindustrialisierung und Gewalt präsentierte, gegenüber Asien wettbewerbsfähig geworden (Menzel 2001, S. 212–214). Bereits der Titel des Werks impliziert dabei, dass die europäische Dominanz letztlich nur eine temporäre Erscheinung sei (Menzel 2001, S. 210). Gemäß dieser Perspektive würde Landes' Eurozentrismus auf Fehlperzeptionen beruhen und nur dadurch aufrechtzuerhalten sein, dass eine (unzulässige) Abwertung der nicht-westlichen Welt bei gleichzeitiger Hypertrophierung der Vorzüge Europas (Kreutzmann 2002, S. 214) billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar forciert werde.
Jenseits der an dieser Stelle vorgetragenen Kritik[6] bleibt am Ende auf die von einigen Rezensenten artikulierte Klage hinzuweisen, die im Untertitel des Werkes aufgeworfene Frage werde keiner klaren Antwort zugeführt; Landes sei letztlich an seinen eigenen Forschungsambitionen gescheitert (Tilly 1999, S. 1257; Goldstone 2000, S. 111): „His conclusions offer […] no real way to tie together this ambitious project in a meaningful fashion except to wage nations to keep trying“ (Guy 1999, S. 1252).
In den Jahren nach dem Erscheinen seines Werkes versuchte Landes, die von ihm lancierten Thesen gegen den Großteil der Kritiker zu verteidigen, wobei er durchaus bereit dazu war, in Teilbereichen Modifizierungen vorzunehmen. Dies trifft vornehmlich auf die starke Akteurszentrierung zu, denn mit Blick auf die Institutionen, die in The Wealth and Poverty of Nations eher als Folgen denn als Determinanten von Handlungen betrachtet werden, konstatierte er, dass diese durchaus zu unabhängigen, das Agieren nachhaltig beeinflussende Größen werden könnten (Landes 1999a, S. 8); zugleich rückte er aber nicht davon ab, die Transformation von entwicklungshemmenden Institutionen sei bei entsprechender Anstrengung der Akteure und der Bereitschaft zur Veränderung von Einstellungen und Werten – wenn auch nur in einem langfristigen Prozess – möglich: „Inequality is not destiny; self-abandonment is“ (Landes 1999a, S. 13).
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem radikalen Globalismus präsentierte er sich durchweg als überzeugter Eurozentrist, der seinen Angriff auf Frank, dessen Ausführungen er bereits in The Wealth and Poverty of Nations als „[b]ad history“ (Landes 1998, S. 514) abqualifizierte, im Epilog der Taschenbuchausgabe seines Werkes fortsetzte (Landes 1999b). So sah er in der Asienkrise 1997 eine Entwicklung, die all jene Lügen gestraft hätte, welche einen Verlust der Führungsrolle des Westens und damit eine künftige Dominanz des Ostens propagierten (Landes 1999b, S. 530). Antwortete der Autor auf die seinem Opus magnum entgegengebrachte Kritik meist durch eine Präzisierung seiner Thesen, die aber häufig einer affirmativen Bestätigung gleichkommt, so räumte er gerade bezüglich des Vorwurfs, das Werk sei zu ambitioniert angelegt, ein: „When writing this book I knew, I was reaching beyond my reach“ (Landes 1999b, S. 14).
Im Rahmen des Versuchs, die Frage, „[w]hy some are so rich and some so poor“, einer Antwort zuzuführen, destilliert David Landes ein multidimensionales
Ursachenbündel, als dessen Elemente sich Geographie, politisch-institutionelle Faktoren, Kultur und die Fähigkeit zur technologischen Innovation ausmachen lassen. Auch wenn er der Kultur einen hohen Stellenwert beimisst, so perzipiert er diese als eine Variable, die nur im Verbund mit den anderen Aspekten ihre Wirkmacht zu entfalten vermag (Fukuyama 2008). Begreift man das Werk also nicht nur als einen der eurozentristischen Perspektive verhafteten, in kurzweiligem Ton gehaltenen Spaziergang durch die Weltgeschichte, dann lassen sich aus dem präsentierten Denkansatz durchaus Implikationen für eine Weltsozialpolitik Landes'scher Prägung ableiten (Kleinewefers 2002, S. 9). So dürfe Entwicklungspolitik nicht auf einen kurzfristigen Wohlstandsausgleich und rein distributive Maßnahmen setzen (Kleinewefers 2002, S. 9), sondern müsse vor allem auf das Lernen vom europäischen Erfolgsmodell setzen (Landes 1998, S. 523). Der moralischen Pflicht zur Bekämpfung der Armut in der Welt nachzukommen, vermag dem Westen dann am adäquatesten gelingen, wenn er durch „work, thrift, honesty, patience, tenacity“ (Landes 1998, S. 523) weiterhin an der Bewahrung des vorhandenen Wohlstandes arbeitet und sich offen gegenüber Neuem zeigt.
David Landes vertritt damit zwar einen internalistischen Ansatz, der sich skeptisch gegenüber externer Intervention zeigt, zugleich aber die universalistische und optimistische Botschaft enthält, der Rekurs auf Europa eröffne Akteuren die Möglichkeit zur Veränderung (Menzel 2007, S. 7). Während The Wealth and Poverty of Nations für diese Sichtweise in der akademischen Landschaft partiell als probater Ratgeber für die Herbeiführung globalen Wohlstands gefeiert wurde (Cheung 1998, S. 939), wiesen andere das Werk als wenig überzeugend, oberflächlich, widersprüchlich oder gar als Donquichotterie zurück (Lal 1998, S. 306–307; Guy 1999, S. 1248). Was nach der Lektüre von David Landes' Werk unabhängig von einer Beurteilung des Inhaltes definitiv bleibt, ist der provokative Gestus, der die Präsentation der Thesen dominiert (Vries 1998, S. 85). Gerade aufgrund des kontroversen Charakters der Ausführungen leistet der Text einen fruchtbaren Beitrag zur Kristallisation von Positionen im Feld der ‚Rise-of-the-West'-Literatur. Dabei fordert Landes nicht nur die Wissenschaft heraus, sondern seine streitbaren Aussagen lassen sich auch als Denkanstöße verstehen (Prakash 1998, S. 95), die den Leser zur Profilierung des eigenen Standpunktes motivieren. (Nicht nur) deshalb muss The Wealth and Poverty of Nations als ein die Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen transzendierendes „Standardwerk“ (Senghaas 2000, S. 152) angesehen werden.
- [1] Ihre Manifestation fand diese Diskussion in einer unter dem Titel ‚Economic History Debate' geführten akademischen Auseinandersetzung zwischen dem Globalisten Andre Gunder Frank und David Landes im Dezember des Jahres 1998. Vgl. hierzu: C-SPAN (1998).
- [2] Als besonders gravierend wird dabei die Missachtung der von Douglass North oder Robert Putnam vertretenen institutionalistischen Sichtweise präsentiert, von der angenommen wird, sie hätte die Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung um wichtige Facetten ergänzen können (Vries 1998, S. 69, 1999, S. 16).
- [3] Der von Vries artikulierte Vorwurf des unlauteren Argumentierens manifestiert sich in dem Hinweis, dass eine Vielzahl von Menschen in einer Gesellschaft lebe, die sie nicht verdiene (Vries 1998, S. 74).
- [4] Wenn Senghaas davon spricht, dass „vor allem […] die moderne Welt seit spätestens dem 18. Jahrhundert, als immer interdependenter werdendes Handlungsgefüge, als eigenständige Wirkgröße, nicht systematisch in den Blick von Landes [kommt]“ (Senghaas 2000, S. 151),
- [5] Mit dem Terminus werden Werke gefasst, die am Ende des vergangenen Jahrtausends einen primär makrohistorischen bilanzierenden Blick auf die Weltgeschichte einzunehmen intendierten (Menzel 2001, S. 207).
- [6] Ihre Synthese findet die Kritik in der Anmerkung, Landes rhetorischer Stil befördere zwar die Eingängigkeit der artikulierten Gedanken, beeinträchtige aber den analytischen Gehalt des Werkes (Vries 1998, S. 84). In diese Richtung geht auch die Behauptung, Landes setze sich nicht fundiert mit Gegenpositionen auseinander, sondern neige zu Beleidigungen, die in folgendem Hinweis kulminiert: „Scholarship is a matter not of knowing you are right, but of showing it“ (Vries 1998, S. 84).