Civilization II: The Great Degeneration
Eine eigenständige Beschreibung der Krise der westlichen Zivilisation lieferte Ferguson dann ein Jahr nach dem Erscheinen von Civilization mit dem weitaus weniger umfangreichen The Great Degeneration. How Institutions Decay and Economies Die (Ferguson 2012c; deutsche Fassung 2014). Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Feststellung, dass sich der Westen in einem „Stadium des Stillstandes“ (Ferguson 2014, S. 17) befinde, wie ihn Adam Smith im späten 18. Jahrhundert in China diagnostiziert und folgendermaßen definiert hatte: ein vormals reicher Staat, der aufgehört habe zu wachsen, dessen Bevölkerungsmehrheit miserable Löhne erhalte und in dem eine korrupte, monopolistische Elite das Rechtssystem und die Verwaltung für ihren Vorteil nutze. Zudem sei damals wie heute die Ursache dieses Missstandes eine Degeneration der Institutionen (Ferguson 2014, S. 17–19). Betroffen seien davon nicht weniger als die vier Hauptkomponenten der westlichen Zivilisation, die Ferguson als lang versiegelte Blackboxes[1] betitelt, die er nun wiederum für seine Analyse öffne, die sich in erster Linie den USA widmet (Ferguson 2014, S. 19).
Das erste vom Verfall bedrohte System stellt dabei die Demokratie dar, die von einem Bruch des Generationenvertrages, dessen Symptom die übermäßige Staatsverschuldung sei, herausgefordert werde (Ferguson 2014, S. 54). Als zweites folgt der Kapitalismus in Gestalt des Finanzmarktes, der seine Dynamik verliere, da man ihn durch hochkomplexe, dysfunktionale Gesetze zu regulieren versuche, wobei gerade dies und eben nicht eine Deregulierung die Ursache der letzten Finanzkrise gewesen sei (Ferguson 2014, S. 71). Daneben befinde sich drittens der Rechtsstaat als entscheidender Faktor für das Funktionieren von Demokratie und Kapitalismus im Niedergang, da er eingeschränkt aus Gründen der nationalen Sicherheit, durch die Einführung des europäischen Rechts in das englische Rechtssystem sowie insbesondere aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesetzgebung und der damit verbundenen Folgekosten zur Herrschaft der Rechtsanwälte verkomme (Ferguson 2014, S. 111–115, 124). Darüber hinaus werde viertens die Zivilgesellschaft durch einen überfürsorglichen Staat ausgehöhlt, dessen zunehmendes Vordringen in Bereiche der Zivilgesellschaft nicht nur die Bürger entmündige, sondern oft auch ineffizient sei, wie das staatliche Bildungsmonopol zeige (Ferguson 2014, S. 141–149).
Wie diese Gesamtschau an Fehlentwicklungen bereits nahelegt, setzt Ferguson kaum Hoffnung in die Politik, die notwendigen Reformen anzugehen – vielmehr sieht er hier die Zivilgesellschaft in der Pflicht (Ferguson 2014, S. 125). Neben allgemeinen Forderungen nach einer verantwortungsvolleren Fiskalpolitik, einem Plädoyer für mehr Privatinitiative und weniger Staatsabhängigkeit (Ferguson 2014, S. 151) sowie vereinzelten konkreten Handlungsvorschlägen wie zur besseren Bilanzierung des öffentlichen Sektors (Ferguson 2014, S. 57) oder zur Stärkung der Zentralbank als letzte Autorität im Geldund Aufsichtssystem, die in Krisen großzügig Kredite zu hohen Zinssätzen vergeben sollte (Ferguson 2014,
S. 85, 88), liefert Ferguson jedoch keine umfassende Strategie zur Beseitigung des von ihm unterstellten Stillstands des Westens.
- [1] Es erschließt sich allerdings nicht, inwiefern diese vieldiskutierten Themen verschlossen sein sollen.