Profil des Gesamtwerks

Das Gesamtwerk Francis Fukuyamas, der seit mehr als 35 Jahren regelmäßig publiziert, ist umfangreich und vielfältig, daher beschränkt sich das folgende Profil auf die zentralen Themenbereiche, mit denen sich der Autor in seiner bisherigen Publikationstätigkeit befasst hat. Dem Schwerpunkt seines Studiums in Harvard entsprechend gilt Fukuyamas Aufmerksamkeit zu Beginn seiner Karriere hauptsächlich der Außenpolitik der Sowjetunion, vor allem ihren Beziehungen zum Nahen Osten und zur Dritten Welt (Fukuyama o. J.). Durch die eingehende wissenschaftliche Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen und der Politischen Theorie während seines Bachelorstudiums und den Einfluss von Mentoren wie Allan Bloom und später auch Samuel Huntington war bei ihm aber gleichzeitig das Bedürfnis entstanden, sich mit den großen Fragen und Themen der Zeit zu beschäftigen (Woolslayer et al. 2014, S. 7–9; Atlas 1989). Daher wendet er sich ab dem Ende der achtziger Jahre übergeordneten Fragestellungen zu. Angesichts der Ereignisse dieser Zeit denkt Fukuyama über die Bedeutung des Zusammenbruchs des Kommunismus und die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges nach und proklamiert schließlich, dass mit dem Sieg des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus, also Marktwirtschaft und Demokratie, die Geschichte ihr Ende erreicht habe. Diese These vom Ende der Geschichte, Gegenstand der folgenden Abschnitte, macht den Autor weltberühmt (Fukuyama 1989b, 1992a, b). Darüber hinaus zieht sie sich, manchmal mehr, manchmal weniger, als eine Art roter Faden durch die nachfolgenden Publikationen Fukuyamas.

In den folgenden Jahren richtet der Autor sein Augenmerk auf soziologische Themen. Zunächst untersucht er die Auswirkungen der Kultur auf den wirtschaftlichen Erfolg von Gesellschaften. Aus einer soziologischen Perspektive heraus betont er die Bedeutung des Sozialkapitals einer Gesellschaft für deren Wohlstand. Anhand des Grades an vorhandenem Vertrauen unterscheidet er zwischen Gesellschaften mit einem niedrigen Niveau, für die er Frankreich, Italien, China und Südkorea anführt, und solchen mit einem hohen Niveau, zu denen er Japan, Deutschland und die USA zählt (Fukuyama 1995). Anschließend befasst sich Fukuyama mit den wachsenden sozialen Problemen in liberalen Demokratien, wie steigender Kriminalität, dem Zerfall von Familienstrukturen und schwindendem Vertrauen in öffentliche Einrichtungen. Diese Zerstörung des Sozialkapitals schreibt er dem Wandel von einer Industriezu einer Informationsgesellschaft zu, betont aber gleichzeitig die Fähigkeit von Gesellschaften, dieses wieder aufzubauen und neue Ordnungen zu erfinden (Fukuyama 1999).

Zu Beginn des neuen Jahrtausends rücken dann die Biowissenschaften in den Fokus Fukuyamas. Er analysiert die Möglichkeiten und Risiken der Biotechnologie, und wie ein möglicher Missbrauch verhindert werden kann. Dabei identifiziert er die Veränderung der menschlichen Natur, die die Menschheit in eine posthumane Phase der Geschichte führe, als größte Gefahr. Deshalb tritt er für eine Regulierung der Biotechnologie ein und schlägt die Schaffung neuer Regulierungsinstitutionen vor (Fukuyama 2002b). Der Autor stellt hier auch einen Rückbezug zu seiner These des Endes der Geschichte her. Denn mit der Revolution der Biotechnologie, dem ständigen technologischen Fortschritt, der sich auf Politik und Wirtschaft auswirkt, sei kein Ende der Wissenschaft absehbar und damit auch die Geschichte noch nicht zu Ende (Wroe 2002).

Nach dieser Beurteilung der Entwicklungen in der Biotechnologie wendet sich Fukuyama wieder der internationalen Politik zu, deren Hauptaufgabe er im 21. Jahrhundert im State-Building sieht. Da schwache und gescheiterte Staaten eine wesentliche Ursache für viele der dringlichsten Probleme wie Terrorismus und Armut darstellten, müssten neue Staaten aufgebaut oder bestehende Staaten gestärkt werden. Dabei plädiert der Autor für einen starken, aber auch schlanken Staat (Fukuyama 2004). Gleichzeitig macht Fukuyama ab 2002 eine bedeutende Wandlung durch. Der bis dato bekennende Neokonservative steht der Bewegung, die die Grundlage für George W. Bushs Außenpolitik bildete, ab diesem Jahr immer kritischer gegenüber und bricht schließlich nicht zuletzt angesichts der Fehleinschätzungen in Bezug auf den Irak nach dem 11. September mit dem Neokonservatismus. Er beschreibt die Genese der neokonservativen Bewegung und führt die Fehler der amerikanischen Außenpolitik seit den Terroranschlägen auf die falschen Schlüsse, die aus dem Kalten Krieg gezogen worden seien, zurück. Zudem stellt er dem neokonservativen Denken eine alternative Strategie für die amerikanische Außenpolitik gegenüber, die er ‚realistischen Wilsonianismus' nennt und sich am europäischen Multilateralismus orientiert (Fukuyama 2006).

In den letzten Jahren hat sich Fukuyama einem weiteren überaus ambitionierten Projekt gewidmet, der mondialen Geschichte politischer Entwicklung. Auch in diesem neuesten Werk ist der Bezug zum Ende der Geschichte evident. Der Autor zeichnet zunächst den Weg von Staaten von ihrer Entstehung über ihr Wachstum bis hin zur liberalen Demokratie nach. Dabei sind drei Elemente, ein starker Staat, Rechtsstaatlichkeit und die Rechenschaftspflicht politischer Eliten, zentral. Dann befasst er sich mit dem konstatierten Verfall moderner Demokratien, von dem auch die USA, die zu einer ‚Vetokratie' verkommen seien, nicht verschont geblieben seien (Fukuyama 2011, 2014b).

 
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