The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order
Samuel Huntington zählt zweifellos zu den wichtigsten Politikwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Jedoch verhalf ihm erst seine These des Clash of Civilizations (Huntington 1993b, 1996) zu Weltruhm, und vor allem deshalb gilt er heute innerhalb der Politikwissenschaft als Klassiker. Huntington entwickelte seine Argumentation zunächst in dem Artikel The Clash of Civilizations? (Huntington 1993b), der in Foreign Affairs erschien, und erweiterte sie schließlich in dem Buch The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order (Huntington 1996), das seitdem in insgesamt 39 Sprachen übersetzt wurde.
Die Tatsache, dass der Autor das Buch nutzt, um die in seinem früher erschienenen Artikel entwickelten Thesen mit empirischem Beweismaterial zu unterfüttern – im Wesentlichen also das Buch als detaillierte Ausformulierung des Artikels verstanden werden kann – führt dazu, dass die Inhalte dieser beiden Werke nicht voneinander getrennt, sondern weitgehend einheitlich präsentiert werden können. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass sich diese beiden Veröffentlichungen Huntingtons in einzelnen Punkten unterscheiden. Auf diese Divergenzen wird in der folgenden Darstellung jeweils aufmerksam zu machen sein. Insgesamt erschließt sich aus dem fehlenden Fragezeichen im Titel des Buches, das sich in der Überschrift des Artikels noch findet, dass dieser zunächst provozieren und für die Thematik sensibilisieren sollte, um die darin entwickelten Thesen erst anschließend in der Monographie systematisch zu untermauern (Jurewicz 2008, S. 9).
Die Veröffentlichung dieser beiden Publikationen fiel in eine Zeit des internationalen Optimismus. Der Kalte Krieg war vorbei, die Welt atmete nach dem Ende dieser Konfliktkonstellation spürbar auf und feierte den Westen als Sieger über seinen auseinanderbrechenden Gegenpart. Innerhalb der Politikwissenschaft entstand deshalb die Diskussion, ob der Westen nun dauerhaft eine dominierende Rolle in der Weltpolitik einnehmen werde und welcher Art zukünftige internationale Konflikte sein würden. Huntington beantwortete diese Fragen und beraubte damit die Staatengemeinschaft ein Stück weit ihrer Zuversicht: Ja, es würden sich künftig weiterhin blutige Konflikte entwickeln, jedoch nicht mehr zwischen Nationen oder Ideologien, sondern vielmehr zwischen verschiedenen Zivilisationen[1] (Huntington 1993b, S. 22 f.). Und nein, das internationale System werde nicht unipolar vom Westen dominiert werden, sondern sich als multipolares Gebilde verschiedener Zivilisationen gestalten (Huntington 1996, S. 21–29).
3.1 Der Zivilisationsbegriff
Im Zentrum von Huntingtons Ansatz stehen vor diesem Hintergrund die Zivilisationen. Zwar konstatiert er, dass Nationalstaaten weiterhin als wichtige Akteure auf internationaler Ebene gelten und handeln, sich jedoch ein sukzessiv wachsender Einfluss kultureller Faktoren auf deren Interessendefinition, deren Kooperationswillen und Konfliktpotential entwickeln werde (Huntington 1996, S. 36). Zivilisationen würden deshalb zentrale Funktionen innerhalb des internationalen Systems einnehmen. Er definiert sie als kulturelle Einheit, die sowohl charakterisiert ist durch objektive Elemente, wie Sprache, eine gemeinsame Geschichte, Religion, Bräuche oder Institutionen, als auch durch subjektive Eigenschaften, wie die individuelle Identifikation der Menschen, wobei die religiöse Ausrichtung in Huntingtons Argumentation eine besondere, ja geradezu determinierende Rolle einnimmt (Huntington 1996, S. 47).
Dabei können Zivilisationen aus mehreren Nationalstaaten oder anderen politischen Einheiten bestehen oder auch nur ein einziges Land umfassen, wobei Huntington sie als sehr dynamische Gebilde definiert, die unter bestimmten Umständen die Fähigkeit besitzen, sich zu teilen oder miteinander zu fusionieren sowie neu zu entstehen oder auch zu verschwinden (Huntington 1996, S. 44). Trotz dieser Dynamik und ihrer möglichen Vergänglichkeit schätzt der Autor diese Zusammenschlüsse nach kulturellen Gesichtspunkten langlebiger ein als alle politischen Systeme, welche er lediglich als „[…] transient expedients on the surface of civilization […]“ (Huntington 1996, S. 43) sieht. So begründet er seine Aussage, dass Zivilisationen die unterschiedlichsten politischen, ökonomischen, sozialen oder sogar ideologischen Zäsuren überdauern können (Huntington 1996, S. 43 f.).
Auf diese Weise gruppiert er die weltweit existierenden Nationalstaaten in
sieben bis acht[2] zeitgenössische große Zivilisationen mit einem jeweiligen, den Kulturkreis lenkenden Kernstaat[3], deren Interaktionen die zukünftigen Strukturen und Dynamiken der Welt bestimmen werden: die westliche, mit den beiden Schwerpunkten Nordamerika und Europa, die konfuzianische oder sinische mit ihrem Kernstaat China, die japanische, die islamische mit ihren unterschiedlichen arabischen, türkischen, persischen und malaiischen Subkulturen, die hinduistische mit ihrem Kernstaat Indien, die orthodoxe mit Russland im Zentrum, die lateinamerikanische und – bis zu einem gewissen Maß – die afrikanische Zivilisation[4] (Huntington 1993b, S. 24 f., 1996, S. 45–48).
3.2 Die Bruchlinien zwischen Zivilisationen als zukünftige Konfliktlinien
Die Trennlinien zwischen diesen Zivilisationen definiert Huntington als Grenzen, entlang derer sich zukünftig die großen Konflikte der Weltpolitik entwickeln werden. „The fault lines between civilizations will be the battle lines of the future“ (Huntington 1993b, S. 22). Zwar gesteht er zu, dass diese auch innerhalb einer Zivilisation auftreten könnten, jedoch charakterisiert er Konflikte solcher Art als weniger intensiv sowie weniger wahrscheinlich und schreibt ihnen ein geringeres Potential zu, sich zu einem Krieg zu entwickeln, als solchen, die zwischen Staaten oder Gruppen verschiedener Zivilisationen entstehen (Huntington 1993b, S. 38 f., 1996, S. 28). Als Auslöser für die zukünftig auftretenden Auseinandersetzungen entlang dieser Bruchlinien identifiziert Huntington sechs Gründe:
1.Als grundsätzliche Ursache charakterisiert er den Wegfall der dichotomen ideologischen Feindbilder nach dem Ende des Kalten Krieges. Dadurch wurden tieferliegende und langlebigere, die verschiedenen Zivilisationen grundlegend unterscheidende Divergenzen, wie die gemeinsame Geschichte der einzelnen Völker, die Sprache, Kultur, Tradition und vor allem die Religion, freigelegt, die nun der Ausgangspunkt für die Entstehung von Konflikten sein werden (Huntington 1993b, S. 25, 31, 1996, S. 46, 100).
2. Durch die vor dem Hintergrund der Globalisierung zunehmenden Interaktionen zwischen den Zivilisationen werden diese Unterschiede evidenter, wodurch das Zivilisationsbewusstsein und in der Folge daraus erwachsende Animositäten, die tief in der Geschichte wurzeln, gestärkt werden (Huntington 1993b, S. 25 f., 1996, S. 43 f.).
3. Durch den Prozess der wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung, der Menschen von lokalen und nationalstaatlichen Identitäten entfremdet, entsteht eine Lücke, die durch Religion als identitätsstiftender Faktor gefüllt wird. Dieser Zusammenhang kann fundamentalistische Bewegungen stärken (Huntington 1993b, S. 26, 1996, S. 97).
4. Das Zivilisationsbewusstsein wird weiter verstärkt durch eine zweifache Rolle des Westens. Diese identifiziert Huntington einerseits in dessen Machtfülle, die die der anderen Zivilisationen übersteigt und so einen gewissen Integrationsdruck nach sich zieht, andererseits in der Gegenreaktion auf diese Situation durch nicht-westliche Zivilisationen. Er beobachtet, vor allem unter den Eliten solcher Kulturkreise, eine Rückkehr zu den jeweiligen kulturellen Wurzeln, mit dem Ziel, einen Gegenpol zum Machtanspruch des Westens zu generieren (Huntington 1993b, S. 26 f., 1996, S. 36).
5. Merkmale und Unterschiede auf kultureller Ebene, wie Religion oder Sprache, sind weniger leicht veränderlich oder aufzulösen als solche auf politischer oder ökonomischer Ebene (Huntington 1993b, S. 27, 1996, S. 21).
6. Ein voraussichtlich wachsender Regionalismus auf ökonomischer Ebene bietet nicht nur die Möglichkeit, das Zivilisationsbewusstsein zu stärken, sondern auch Staaten innerhalb einer Zivilisation stärker zu verbinden, da eine gemeinsame Kultur eine schnelle Expansion der wirtschaftlichen Beziehungen vereinfache und ein gemeinsamer Wirtschaftsraum wiederum zu einer stärkeren Integration beitrage, wie in der Europäischen Union (Huntington 1993b, S. 28, 1996, S. 130–135).
3.3 Der Westen in der Welt: The West against the Rest
3.3.1 Die Expansion des Westens
Einen Fokus bei der Analyse der verschiedenen Zivilisationen, ihrer Dynamiken und Interaktionen legt Huntington auf den Westen, der in seiner Argumentation eine exponierte Stellung einnimmt. Diese Einzigartigkeit begründet er zum einen damit, dass dieser Kulturkreis – anders als alle anderen – seit seiner Entstehung um 1500 einen starken Aufstieg erfahren habe und so einen extremen Einfluss auf alle Zivilisationen entwickeln konnte (Huntington 1996, S. 302). Die Grundlage dafür sieht Huntington darin, dass es der Westen nicht nur geschafft habe, durch seinen imperialistischen Charakter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts einen Großteil des weltweiten Territoriums zu kontrollieren – bis 1914 erweiterten europäische Länder ihren Einflussbereich auf 84 % der globalen Landoberfläche –, sondern auch den Prozess der Modernisierung und Industrialisierung anzustoßen, der sukzessive auch in andere Zivilisationen Eingang gefunden habe (Huntington 1996, S. 51). Zum anderen schreibt Huntington der überlegenen militärischen Macht des Westens eine ausschlaggebende Rolle für dessen dominante Stellung im Zivilisationengefüge zu (Huntington 1996, S. 51). Vor diesem Hintergrund bedeuteteten folglich „[.][f]or four hundred years intercivilizational relations […] the subordination of other societies to Western civilization“ (Huntington 1996, S. 51).
Während dieser Aufstiegsphase – seit 1500 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – beherrschte vor allem der europäische Teil des Westens die Geschicke dieser Zivilisation. Die europäische Phase des Westens ging schließlich über in eine amerikanische, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts andauert und die Vereinigten Staaten von Amerika zum Kernstaat und Machtzentrum dieses Kulturkreises erhob (Huntington 1996, S. 83). Auf der Basis dieser beiden Entwicklungsphasen gilt der Westen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als dominanter Akteur auf internationaler Ebene.
Huntington sieht ihn im Gegensatz zu anderen Zivilisationen nicht nur an der Spitze militärischer und wirtschaftlicher Macht bei gleichzeitiger Sicherung des Friedens in seinem Inneren, sondern auch als dominanten Faktor in internationalen politischen und ökonomischen Institutionen (Huntington 1993b, S. 39). Dies spiegele sich auch in der Selbsteinschätzung des Westens, der sich als universale Zivilisation sehe, also als Kulturkreis, dessen zentrale Werte – Demokratie, freie Märkte, kontrollierte Regierung, Menschenrechte, Individualismus und Rechtsstaatlichkeit – als kulturelle Werte weltweit akzeptiert würden (Huntington 1996, S. 183 f.).
3.3.2 Der Aufstand gegen den Westen
Jedoch stuft Huntington diese dominante Stellung und insbesondere das westliche Selbstbewusstsein als Grundlage einer trügerischen Vision der Unverwundbarkeit ein. Er argumentiert, dass gerade diese herausragende Rolle der westlichen Gesellschaften, gepaart mit einem Sendungsbewusstsein, wie er es vor allem im Falle der USA beobachtet, zu einer Gegenreaktion der nicht-westlichen Zivilisationen führen könne. Diese habe das Ziel, einen machtvollen Gegenpol gegen die westliche Dominanz zu errichten und den eigenen Kulturkreis vor einer als bedrohlich perzipierten Verwestlichung zu bewahren (Huntington 1996, S. 183 f.).
Ein solches Aufbegehren gegen die dominante westliche Zivilisation wird durch eine künftige Verschiebung des Machtgleichgewichts zwischen den Zivilisationen zu Ungunsten des Westens möglich werden, die ab Mitte des 21. Jahrhunderts zu erwarten sei (Huntington 1996, S. 82). Diese hat das Potential, so Huntington, den Niedergang des Westens anzustoßen, welcher zwar nicht geradlinig oder in kurzer Zeit verlaufen werde, jedoch charakterisiert sei durch einen sukzessiven Machtverlust in Relation zu anderen Zivilisationen. Macht, so Huntington, basiert auf dem Besitz von Ressourcen, wie Territorium und Population, Wirtschaftsproduktion und militärischer Leistungsfähigkeit, die in ihrer Summe die aller anderen Zivilisationen übersteigen (Huntington 1996, S. 83–91).
In dem Maße also, in dem die Kontrolle und der Besitz von Ressourcen durch andere Zivilisationen zunehme, steige nicht nur deren Selbstbewusstsein als Kulturkreis sowie deren Kraft und Wille, sich dem Westen entgegenzustellen, sondern schrumpfe auch das Machtpotential des Westens selbst (Huntington 1996, S. 95). Vor diesem Hintergrund wird nach Huntingtons Aussage die Welt bis zum Ende des 21. Jahrhunderts ihre westlich geprägte Epoche hinter sich lassen und eintreten in eine multikulturelle Phase. „The intercivilizational clash of political ideas spawned by the West is being supplanted by an intercivilizational clash of culture and religion“ (Huntington 1996, S. 54). War das internationale System bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein multipolares, westlich geprägtes, entwickelte es sich während des Kalten Krieges zu einem bipolaren halbwestlichen und wird sich durch die Machtverschiebung[5] zu Ungunsten des Westens zu einem multipolaren multikulturellen System entwickeln (Huntington 1996, S. 54).
Auf der Grundlage des steigenden Selbstbewusstseins der nicht-westlichen Zivilisationen, das in Huntingtons Argumentation vor allem durch demographischen oder wirtschaftlichen Aufschwung angestoßen wird, kommt es zu einer Indigenisierung, die sich am stärksten in der Revitalisierung der unterschiedlichen religiösen Werte und Vorstellungen äußert (Huntington 1996, S. 93–95). Die größte Gefahr für die westliche Dominanz sieht er vor diesem Hintergrund vor allem in der islamischen und der konfuzianischen Zivilisation. Während der konfuzianische Kulturkreis sein erstarktes Selbstbewusstsein aus dem schnellen Wirtschaftswachstum, das vor allem in China als Kernstaat des Konfuzianismus stattfindet, ziehen kann, erkennt der Autor auf Seiten der islamischen Zivilisation den relativen Machtgewinn in der Stärke der sozialen Mobilisierung, die im Kern von einer Re-Islamisierung ausgeht und ergänzt wird durch ein extremes demographisches Wachstum (Huntington 1996, S. 102 f.).
Im Gegensatz dazu schätzt Huntington die Beziehung zwischen dem Westen und den anderen nicht-westlichen Zivilisationen als weniger konfliktträchtig ein. Während er die afrikanische und die lateinamerikanische Zivilisation hinsichtlich ihrer Ressourcen als relativ schwach einordnet, charakterisiert er sowohl Russland als auch die hinduistische und japanische – beide gestärkt durch wirtschaftliches Wachstum – als Pendlerkulturen, die zwischen den beiden Polen, dem Westen und dem erstarkten islamischen und konfuzianischen Kulturkreis, oszillieren (Huntington 1996, S. 184 f.).
3.3.3 Die Zukunft des Westens
Die zentrale Konfliktlinie der Zukunft verortet Huntington vor diesem Hintergrund in der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Rest (Huntington 1996,
S. 183). So definiert er so genannte Bruchlinienkriege – gewaltsame Konflikte zwischen Staaten oder Gruppen, die sich an der Grenze zwischen zwei verschiedenen Zivilisationen gegenüberstehen – als wahrscheinlichste Konflikte auf der Mikroebene. Die Quelle zu solchen Auseinandersetzungen findet Huntington vor allem in der Dynamik des Islam (Huntington 1996, S. 209). Zum anderen werde das veränderte weltweite Machtgefüge auf der Makroebene Kernstaatenkriege auslösen. Konflikte letzterer Art, so Huntington, würden geführt werden zwischen zwei Staaten, die die zentrale Rolle innerhalb sich gegenüberstehender Zivilisationen einnehmen und unterstützt werden durch so genannte Bruderländer, also Nationen, die sich im jeweils gleichen Kulturkreis befinden. Die größte Gefahr für einen solchen Krieg auf internationaler Ebene erkennt Huntington in der Machtverschiebung zwischen den USA als Kernstaat des Westens und China als Kernstaat der konfuzianischen Zivilisation (Huntington 1996, S. 207–209).
Im Speziellen aber sieht der Autor das größte Konfliktpotential im Aufbegehren der konfuzianischen und der islamischen Zivilisation gegen den Westen. Diese beiden Kulturkreise stuft der Autor, auf der Grundlage ihres relativen Machtgewinns durch demographischen und wirtschaftlichen Aufschwung, bei gleichzeitigem Wiedererstarken ihres Selbstbewusstseins gegen westlichen Einfluss, für den Westen als zentrale Herausfordererzivilisationen ein (Huntington 1996, S. 184).
Das ihnen gemeinsame Interesse der Gegenmachtbildung gegen die westliche Dominanz habe sie dazu veranlasst, seit den frühen 1990er Jahren trotz großer kultureller Differenzen zu kooperieren und eine gemeinsame Front gegen den Westen aufzubauen (Huntington 1996, S. 185). Zentrale Streitthemen, entlang derer sich ein Konflikt zwischen westlichen und islamischen beziehungsweise konfuzianischen Staaten entzünden könnte, verortet Huntington nicht nur im westlichen Versuch, seine militärische Überlegenheit durch die Nicht-Weitergabe von ABC-Waffen an andere Zivilisationen zu behaupten, sondern auch in der gezielten Förderung der eigenen Werte und Institutionen in anderen Kulturkreisen. Die Beschränkung der Einwandererund Flüchtlingszahlen, um die westliche Identität auf kultureller, sozialer und ethnischer Ebene zu gewährleisten, wirke ebenfalls konfliktfördernd (Huntington 1996, S. 185 f.). Die so entstandene antiwestliche, konfuzianisch-islamische Achse, die Huntington in den Beziehungen zwischen China und Nordkorea zu Pakistan, Iran, Irak, Syrien, Libyen und Algerien verortet, manifestiere sich vor allem in einem Transfer von Waffen zwischen diesen Ländern (Huntington 1996, S. 185, 189 f.).
Den Niedergang des Westens, wie ihn Huntington in seiner Analyse beschreibt, sieht er jedoch nicht als unausweichliches Schicksal an. Vielmehr erkennt er auch die Möglichkeit, seine dominante Rolle auf internationaler Ebene durch eine Erneuerung der westlichen Zivilisation zu erhalten. Dies könne allerdings nur durch bestimmte Instrumente gelingen, die die Faktoren des westlichen Machtverfalls– insbesondere geringeres Wirtschaftswachstum und niedrigere Geburtenraten – kompensieren könnten (Huntington 1996, S. 302–305). Ein solches Mittel sei vor allem das Eintreten in eine „[…] third Euroamerican phase of Western economic affluence and political influence“ (Huntington 1996, S. 308), die, nach der europäischen und der amerikanischen Phase bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, die Macht des Westens durch eine Erneuerung der moralischen Basis, durch einen Fokus auf die kulturellen Gemeinsamkeiten und durch die Entwicklung einer starken Integration auf wirtschaftlicher und politischer Ebene stabilisieren könne (Huntington 1996, S. 308). Vor allem eine gestärkte Integration und Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Pol charakterisiert er als möglichen Ausgleich für den relativen Rückgang des demographischen, wirtschaftlichen und militärischen Machtpotentials und dadurch als denkbaren Mechanismus für die Erneuerung der westlichen Macht (Huntington 1996, S. 308).
- [1] Die deutsche Übersetzung tut sich mit den beiden Schlüsselbegriffen, die Huntington innerhalb seiner These des Clash of Civilizations aufwirft, schwer. Darauf weist schon Holger Fliessbach hin, der diesem Hindernis in seiner Funktion als Übersetzer der Monographie aus dem Amerikanischen ins Deutsche gegenüberstand. Die beiden zentralen Begriffe „civilization“ und „culture“, so Fliessbach, unterscheiden sich im deutschen Sprachgebrauch stark vom englischen. Aus diesem Grund habe er sich – entgegen Huntingtons ausdrück-
- [2] Die Zahl der Kulturkreise, die Huntington definiert, variiert zwischen Aufsatz und Buch: Während er im Aufsatz zwischen dem westlichen, dem konfuzianischen (oder sinischem), dem japanischen, dem islamischen, dem hinduistischen, dem slawisch-orthodoxen, dem
- [3] Der Begriff des Kernstaates wird im Artikel nicht thematisiert, während er im Buch einen zentralen Stellenwert einnimmt. Jurewicz (2008, S. 7) vermutet deshalb, dass die Einführung dieses Begriffes eine Reaktion des Autors auf die Kritik an seinem Aufsatz darstellt, die die Rolle der Nationalstaaten als Hauptakteure auf internationaler Ebene – entgegen Huntingtons Ausführungen – auch nach dem Ende des Kalten Krieges als gegeben annimmt.
- [4] Der afrikanische Kontinent wird nicht bedingungslos als eigene Zivilisation anerkannt, da dort viele unterschiedliche Einflüsse zu Tragen kommen: Nordund Ostküste sind islamisch geprägt, andere Teile beinhalten westliche Einflüsse durch den europäischen Imperialismus. Es existiert nur wenig gemeinsame afrikanische Identität, sondern vielmehr herrschen Stammesidentitäten vor (vgl. Huntington 1996, S. 47).
- [5] Diese Machtverschiebung zwischen dem Westen und anderen zentralen Kulturkreisen umreißt Huntington in seinem Buch sehr ausführlich, während sie im Artikel nur geringe Erwähnung findet.