Rezeption und Kritik

Empire von Hardt und Negri wurde nach seiner Veröffentlichung in den USA zu einem vielfach diskutierten Bestseller, auch außerhalb politikwissenschaftlicher Kreise (Thompson 2005, S. 73). Thompson beispielsweise spricht in diesem Zu-

sammenhang vom Empire als neue Bibel der Globalisierungsgegner, welche sowohl von linken Fachzeitschriften als auch in Literaturkreisen gelesen werde (Thompson 2005, S. 73). Bedenkt man die Thematik, den Verfall westlicher Macht und den Aufstieg einer neuen Weltordnung, und vermischt dies mit neomarxistischen Ideen, mutet der Erfolg der Publikation auf den ersten Blick etwas seltsam an. Die Rezensionen im englischsprachigen Raum fielen kurz nach der Veröffentlichung jedoch meist positiv aus. So bezeichnet Blakrishan Empire als „work of visionary intensity“ (Blakrishan 2000). Für Slavoj Zisek ist Empire nichts anderes als das Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts (Zisek 2001). Und Vulliamy behauptet sogar, dass Hardt und Negri mit ihrem Buch den Kommunismus rehabilitierten (Vulliamy 2001).

Nach dem Erscheinen des Buches in den USA und seinem dortigen Erfolg wurde es auch in Deutschland mit Spannung erwartet (Lau 2002). Bei der Vorstellung der deutschen Ausgabe kamen Hunderte nach Berlin, um den Autor Michael Hardt zu sehen. Die Zeit bezeichnete den Auflauf als „Radical-Chic-Happening […], in dem sich Popkultur, juveniler Linksradikalismus und die Sehnsucht nach der großen, allumfassend welterklärenden Theorie“ (Lau 2002) einer jungen Generation spiegelten. Die Resonanz auf die Veröffentlichung war dementsprechend auch hierzulande groß. Selten hat ein Buch der politikwissenschaftlichen Philosophie solche Nachfragen, auch außerhalb der wissenschaftlichen Kreise, ausgelöst. Nichtsdestotrotz fielen die Rezensionen wesentlich verhaltener aus als in den USA. Lau fällt in Der Zeit ein vernichtendes Urteil: „Das Buch ist eine einzige große Geschichtsklitterei im Dienste altlinker Gewissheiten, die man längst auf dem Müllhaufen der Geschichte wähnte“ (Lau 2002). Ganz im Gegensatz dazu steht die Rezension in der FAZ. Roellecke sieht den Versuch der Autoren, Marx fortzuführen, als gelungen und als „handwerklich hervorragend“ (Roellecke 2001) umgesetzt, trotz einiger Schwächen.

Spezifischere Rezensionen kritisieren vor allem zwei Punkte. Zum einen werden die Thesen des Buches abgelehnt, zum anderen werden Umsetzung und sprachliche Verständlichkeit bemängelt. Vielfach werden bei letzterem Punkt die Anwendung des foucaultschen Begriffes der Biomacht beziehungsweise Biopolitik und seine Anbindung an den Revolutionsbegriff kritisiert (u. a. Benl 2005). Die Missbilligung der Ideen Negris kommt auch vielfach aus dem linken Lager. Stanicic bringt hierzu eine oft vorgebrachte Kritik überspitzt auf den Punkt: „In dem Buch sind alle korrekten Aussagen nicht neu und alle neuen Aussagen nicht korrekt“ (Stanicic 2002). Er kritisiert vor allem das Konzept des Empires als allumfassendes Netzwerk ohne Machtzentrum. Für ihn zeigen die Geschehnisse der aktuellen Weltpolitik, dass Macht durchaus verortet werden kann und somit die Idee des Empires zu verwerfen sei (Stanicic 2002). Für Stanicic ist klar, dass die Ansichten von Hardt und Negri nichts mit der realpolitischen Situation zu tun haben und für die Antiglobalisierungsbewegung einen Rückschritt bedeuten (Stanicic 2002). Noch weiter geht Kettner, der behauptet, die Autoren hätten „keine Ahnung“ (Kettner o. J.) von Marx und diesen lediglich als „Stichwortgeber“ (Kettner o. J.) missbraucht. Es gibt jedoch auch positive Reaktionen der deutschen Linken auf die Ideen und Thesen des Empires. So sieht Fanizadeh in den Schriften von Hardt und Negri „Potenzial für eine künftige, emanzipatorische Linke“ (Fanizadeh 2002). Ähnlich sieht es Rapp, der das Werk Empire als gelungene Abkehr vom „tief sitzende[n] Pessimismus […] der Linken“ (Rapp 2002) bezeichnet. Statt der sonst vorherrschenden „Theorien der Ohnmacht“ (Rapp 2002) lieferten Hardt und Negri Hoffnung für die marxistische Bewegung.

Dass Empire Optimismus für die zukünftige Entwicklung hinsichtlich einer marxistischen Bewegung versprüht, kann nicht abgestritten werden. Statt wie viele Linksintellektuelle die Globalisierung zu verdammen und zu resignieren, sehen beide Autoren in ihr den Anfang vom Ende (Hardt und Negri 2003, S. 58 f.). Der Aufstieg des Empires und damit des Kapitalismus sei gleichzeitig Wegbereiter für dessen Untergang (Hardt und Negri 2003, S. 93). Das neue Proletariat, das die veränderten Produktionsweisen und den Netzwerkcharakter des postmodernen Kapitalismus in sich vereine, berge Revolutionspotenzial (Hardt und Negri 2003,

S. 400, 410). Die Autoren machen damit all jene Hoffnungen zunichte, die nach dem Ende der Sowjetunion die marxistische Bewegung am Ende sahen.

Trotzdem ist Empire nicht als Manifest zu lesen. Dafür gibt es zu wenige Handlungsanweisungen. Die Autoren beschreiben lediglich den neuen Feind, das Empire, und weisen immer wieder auf in ihm enthaltene Möglichkeiten der Revolution beziehungsweise des Widerstandes hin (u. a. Hardt und Negri 2003, S. 57 ff.). Wie genau die Organisation oder der Ablauf eines Umschwunges genau aussehen könnte, darauf gehen sie nicht ein. An einem Punkt geben sie auch zu, dass es in der Realität bisher keinen bestehenden Gegenentwurf zum Empire gibt (Hardt und Negri 2003, S. 218). Es kann auch bezweifelt werden, dass eine Handlungsanweisung zur Revolution eine Zielsetzung des Autorenduos war, dafür ist das Werk zu theoretisch, philosophielastig und ausschweifend. Immerhin weisen sie selbstkritisch daraufhin, dass ein solcher Gegenentwurf zum Empire aus der Realität und nicht zwingend aus theoretischen Überlegungen hervorgehen müsse (Hardt und Negri 2003, S. 218). Hardt und Negri haben eher den Anspruch, eine Beschreibung der aktuellen Ordnung im Stil von Karl Marx zu verfassen (Hardt und Negri 2003, S. 14 f.). Sie sehen Empire als logische Fortsetzung der Erzählung der Weltgeschichte von Marx und setzen dabei in der Moderne ein (Hardt und Negri 2003, S. 14 f.).

Viele der Konzepte, die sie dabei vorstellen, entsprechen der realen weltpolitischen Situation und sind vielfach politikwissenschaftlich diskutiert worden. Dazu zählen beispielsweise der Machtverlust der Nationalstaaten, die Globalisierung, die veränderte Produktionsweise und eine zunehmende Vernetzung der Lebensund Arbeitsweise. Jedoch sind ihre Verknüpfung und die Folgerungen, die die Autoren daraus ziehen, manchmal fragwürdig. So sind die Aufweichung staatlicher Souveränität und der Machtverfall von Nationalstaaten richtig erkannte Phänomene, allerdings ist die Aussage der Autoren, dass kein geopolitisches Machtzentrum mehr existiere, so nicht haltbar. Zwar gibt es keine Hegemonialmacht im eigentlichen Sinne mehr, es bestehen im 21. Jahrhundert jedoch sehr wohl politische und ökonomische Machtzentren, beispielsweise in Washington, Moskau, Berlin oder London. Dies abzustreiten bedeutet die reale politische Situation grundlegend zu verkennen.

Hardt und Negri reihen Behauptung an Behauptung, ohne Belege oder weitere Erklärung. Dies zieht sich durch das ganze Buch. Die Konzeptualisierung des Empires als grenzenlos (Hardt und Negri 2003, S. 11) färbt auf die Verwendung von Begrifflichkeiten ab. Es gibt wenig Definitionen und Abgrenzungen, was der Verständlichkeit und damit der Nachvollziehbarkeit im Weg steht. Beispielsweise kann nicht abgestritten werden, dass sich durch neue Technologien und eine veränderte Produktionslandschaft die Zusammensetzung des Proletariats verändert hat. Das Konzept des Proletariats von Marx kann deshalb richtigerweise als veraltet betrachtet werden (Hardt und Negri 2003, S. 66 f.). Hardt und Negri schlagen mit einer Weiterentwicklung des Begriffes hierbei einen sinnvollen Weg ein. Allerdings fassen sie unter der neuen Klasse des Proletariats alle Individuen, deren „Arbeitskraft direkt oder indirekt [in einem kapitalistischen System, LW] ausgebeutet wird“ (Hardt und Negri 2003, S. 66), zusammen.

Diese neue Definition ist recht weit gefasst, und es stellt sich die Frage, ob damit nicht eigentlich die Gesamtheit der arbeitenden Weltbevölkerung eingeschlossen werden kann, was wiederum das Konzept karikieren würde. Die Autoren bleiben eine genaue Definition schuldig, wie so oft. Ein weiteres Beispiel für die fehlende sprachliche Trennschärfe ist die Verwendung der Begriffe rund um den Imperialismus. Schon anfangs stellen die Autoren klar, dass die Begriffe Empire und Imperium sowie Empire und Imperialismus voneinander abzugrenzen seien (Hardt und Negri 2003, S. 10 ff.). Im Laufe des Werkes verschwimmen jedoch manchmal die begrifflichen Unterschiede. So ist beispielsweise von imperialem Recht und imperialer Autorität bei der Entstehung des Empires die Rede (Hardt und Negri 2003, S. 32). Die Unklarheit der Begriffsverwendung dient der Verständlichkeit und Klarheit der Hypothesen damit nicht im Geringsten.

Daran ändert auch der Rückgriff auf zahlreiche Philosophen und deren Konzepte wenig. Im Gegenteil, da die Autoren zwar bereits dagewesene Begrifflichkeiten nutzen, diese aber ohne genaue Definition neu einsetzen, geht viel an Kontext verloren. Prominente Beispiele hierfür sind die Begriffe Biomacht und Biopolitik von Foucault (Hardt und Negri 2003, S. 38), deren Einsatz und Anbindung an den Revolutionsbegriff u. a. von Benl kritisiert wurde (Benl 2005). Anderes, wie ihre Meinung zum islamistischen Fundamentalismus, mutet etwas seltsam an. So sehen Hardt und Negri in ihm „eine paradoxe Art postmoderner Theorie“ (Hardt und Negri 2003, S. 162), was sich darin manifestiere, dass er sich nicht gegen westliche Kräfte per se richte, sondern sich „gegen diejenigen Mächte zur Wehr setzt, die sich in der neuen imperialen Weltordnung herausbilden“ (Hardt und Negri 2003, S. 162). Hardt und Negri klassifizieren deshalb die iranische Revolution als „machtvolle Zurückweisung des Weltmarktes“ (Hardt und Negri 2003, S. 162). Nichtsdestotrotz ist Empire von Hardt und Negri ein etwas anderer Versuch, die bestehenden und veränderten Machtverhältnisse der westlichen Welt aufzuarbeiten. Mit ihrer Idee, dass im Aufstieg gleichzeitig der Verfall dieser neuen Machtkonzeption liege, sind sie jedoch nicht wirklich originell – dass der Aufschwung eines Imperiums gleichzeitig seinen Untergang einleitet, ist eine gängige Theorie seit der Antike (Hardt und Negri 2003, S. 378). Die Originalität von Hardt und Negri liegt eher darin, im Aufstieg des Kapitalismus und seiner Ausformung zu Ende des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit einer neuen Revolution in marxistischer Tradition (Hardt und Negri 2003, S. 57 ff.) zu sehen.

 
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