Zum Stand der Forschung
Für mehr Transparenz im Journalismus zu sorgen ist – das wird noch deutlich werden eine vielschichtige Aufgabe, die sich aus verschiedenen Forschungsperspektiven heraus betrachten lässt. Auf theoretischer Ebene haben sich Wissenschaftler mit den folgenden Fragen beschäftigt: Was ist unter Transparenz im Journalismus zu verstehen? Wie und durch wen lässt sie sich erzeugen? Welche Bedeutung hat die Transparenz des Entstehungsprozesses journalistischer Beiträge für das Zustandekommen von Kommunikation und Verständigung und für die Glaubwürdigkeit der Anbieter? Und welche Risiken für die redaktionelle Autonomie und die Arbeitsfähigkeit der Redaktionen sind damit verbunden? Des Weiteren wird im medienethischen Diskurs über den Zusammenhang zwischen Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen und über die Voraussetzungen für das Entstehen von Transparenz reflektiert. (vgl. Allen 2008; Borden 2012; Craft & Heim 2009; Karlsson 2010; Kovach & Rosenstiel 2007; Meier & Reimer 2011; Neuberger & Wendelin 2012; Phillips 2010; Plaisance 2007; Singer 2007) Insbesondere im Zusammenhang mit den sich wandelnden Funktionen und Möglichkeiten des Journalismus im Internet denken einige Autoren über innovative Instrumente nach, die zu mehr Transparenz der journalistischen Arbeitsprozesse beitragen können. (vgl. Hayes, Singer & Ceppos 2007; Lasica 2004; Meier 2003; Meier & Reimer 2011; Singer 2007)
Außerdem gibt es neben empirischen Studien zur Quellentransparenz (vgl. z.B. Schulz 2010) auch solche, die sich auch oder nur mit der Transparenz der Redaktionsorganisation und insbesondere ihrer Content-Produktionsprozesse befassen (vgl. u.a. Fengler 2003; Groenhart 2010; Karlsson 2010; Meier & Reimer 2011; Rupar 2006; Ruß-Mohl 2001). Verica Rupar hat Artikel in drei neuseeländischen Tageszeitungen einer qualitativen und quantitativen Analyse unterzogen. Sie wollte unter anderem herausfinden, wie transparent die Nachrichtenprozesse in diesen Zeitungen sind und wie die entsprechenden Informationen die Bedeutung der Nachrichten verändern. Bei der Inhaltsanalyse von insgesamt 674 Artikeln kam heraus, dass fast zwei Drittel von ihnen keine Informationen über den Rechercheprozess enthielten. (vgl. Rupar 2006, S. 129f.)
Andere empirische Studien zielen vor allem darauf, eine Bestandsaufnahme von Transparenz-Instrumenten zu liefern, die in der journalistischen Praxis zum Einsatz kommen. Michael Karlsson unterzieht die Online-Versionen der Titelnachrichten dreier Tageszeitungen aus den USA, Großbritannien und Schweden einer Inhaltsanalyse, um herauszufinden, welche Transparenz-Techniken sie anwenden. Dabei unterscheidet er nur zwischen Techniken, die vor allem auf Kommunikation (disclosure transparency) und solchen, die auf Partizipation beruhen (participatory transparency). In die erste Kategorie fallen zum Beispiel externe Links oder im Text hervorgehobene und erklärte Korrekturen, in die zweite Beiträge von Lesern. Andere von ihm untersuchte Elemente wie E-Mailoder Kommentarfunktionen lassen sich aber beiden Kategorien zuordnen – je nachdem, wozu sie eingesetzt werden. (vgl. Karlsson 2010, S. 537ff.)
Die Kategorienbildung ist daher wenig trennscharf und außerdem recht grob: Karlsson verzichtet darauf, Techniken zur Sichtbarmachung der Quellen von Techniken zur Sichtbarmachung der Arbeitsprozesse zu unterscheiden, die sich bei ihm auf den Prozess der Fehlerkorrektur beschränken. Die Studie ist zudem durch eine willkürlich wirkende Auswahl von Untersuchungselementen (Items) gekennzeichnet, die teilweise das Vorhandensein technischer Möglichkeiten (Kommentarfunktion, externe Links), teilweise aber auch bestimmte Inhalte erfassen (Erklärung von Fehlerkorrekturen). Die Folge ist, dass die Transparenzbemühungen der untersuchten Zeitungen nur zum Teil abgebildet und wenig differenziert dargestellt werden.
Für den deutschen und europäischen Raum sind eine Studie und mehrere aus dem Forschungsprojekt „MediaAcT“ hervorgegangene Veröffentlichungen hervorzuheben, die sich ebenfalls mit dem Vorhandensein von TransparenzInstrumenten beschäftigen. Die Studie hat den vielsagenden Titel „Mogelpackung im WWW? Wie europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen“ (vgl. Fengler, Bettels et al. 2011a, 2011b). Durchgeführt wurde sie vom European Journalism Observatory (EJO), einem Netzwerk von Forschungsinstituten in zwölf europäischen Ländern, darunter das Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund.
Die Forschungspartner analysieren für 13 westund osteuropäische Länder jeweils die Online-Auftritte der auflagenstärksten Zeitungen der drei größten Verlage sowie die Websites einer Wochenzeitung und der drei quotenstärksten Nachrichtensendungen. Dafür teilen sie die „Transparenzinstrumente“ in die folgenden Kategorien ein: 1. Informationen über die Redaktion und ihre Rahmenbedingungen, 2. Informationen über journalistische Arbeitsprozesse und Quellen, 3. Informationen über redaktionelle Entscheidungsprozesse, 4. Instrumente zur Fehler-Korrektur und 5. Instrumente zur Förderung von Diskussionen mit und unter den Nutzern. (vgl. Fengler, Bettels et al. 2011b, S. 2–4)
Hier stellt sich unter anderem die Frage, ob redaktionelle Entscheidungsprozesse nicht als Teil der journalistischen Arbeitsprozesse anzusehen sind. Und während die ersten drei Kategorien auf die zum Zweck der Transparenz transportierten Inhalte abstellen (Was wird transparent gemacht?), ist der Blick bei den Instrumenten zur Fehler-Korrektur und zur Förderung von Diskussionen auf die kommunikative Vorgehensweise gerichtet (Wie können Leser und Redaktion miteinander kommunizieren?). Auch in den einzelnen Kategorien werden zum Teil nur Inhalte (die Redaktion stellt ihre Mitglieder vor), zum Teil nur bestimmte Kommunikationsformen (Redaktions-Blog) und zum Teil auch Kombinationen aus beidem (Webcasts von Redaktionskonferenzen) als „Instrumente“ behandelt und untersucht. Warum andere Kombinationen wie „Blogs von Redaktionsmitgliedern“ hingegen nicht gebildet werden, bleibt unklar. Eine systematische Kombination der Kriterien „Inhalt“ und „kommunikative Vorgehensweise“ hätte daher zu einem wesentlich feinstrichigeren Bild geführt. (vgl. ebd.)
Die Verfasser der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Redaktionen überwiegend solche Transparenz-Tools in ihre Websites integriert haben, die schnell zu installieren und einfach zu pflegen sind – darunter Kommentarfunktionen und Links zu sozialen Netzwerken. „Instrumente, die den Redaktionen mehr Engagement und insbesondere einen echten Dialog mit dem Publikum abverlangen“, fänden sich jedoch sehr viel seltener. Als Beispiele nennen die Autoren unter anderem Redaktions-Blogs, Ombudsleute oder Webcasts von Redaktionskonferenzen. Das Fazit der Untersuchung: Viele Redaktionen schüren vor allem die Illusion von Transparenz, statt mit den Lesern in einen Dialog zu treten und ihnen tiefer gehende Einblicke in redaktionelle Entscheidungsprozesse zu geben. (vgl. ebd., S. 9f.)
Im „MediaAcT“-Projekt [1] untersuchte ein Forschungsteam unter Federführung des Dortmunder Erich-Brost-Instituts von Februar 2010 bis Juli 2013 die
Medienselbstkontrolle und Transparenz der Medien in elf europäischen und zwei arabischen Ländern. Daraus entstanden mehrere Projektberichte (vgl. u.a. Evers & Eberwein 2011; Heikkilä, Domingo et al. 2012; MediaAcT 2012). Die Instrumente zur Erzeugung von Redaktionstransparenz (newsroom transparency) ordnen die Autoren jeweils den inhaltlichen Kategorien actor transparency, production transparency und responsiveness zu. (vgl. MediaAcT 2012, S. 6f.) Diese Kategorienbildung wirft ähnliche Probleme auf wie die in den beiden zuvor genannten Studien.
Die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, dass es noch einer tiefer gehenden theoretischen Beschäftigung mit Transparenzdimensionen bedarf, um den empirischen Studien ein schlüssiges und detailliertes Kategoriensystem zugrunde legen zu können. Wie sich die inhaltliche Dimension der Transparenz (Was wird transparent gemacht?) weiter auffächern lässt, hängt dabei ganz entscheidend davon ab, aus welcher Theorieperspektive das Erfahrungsobjekt „Redaktion“ bzw. „integrierte Zeitungsund Online-Redaktion“ betrachtet wird. Beides – die Entwicklung eines mehrdimensionalen Transparenzkonzeptes und die Analyse der Redaktionsorganisation aus einer bestimmten Theorieperspektive heraus – soll diese Dissertation leisten, um damit den Boden für weitere Forschungsarbeiten zu ebnen.
- [1] MediaAcT steht für “Media Accountability and Transparency in Europe”