Wissenschaftstheorie als Wissenschaftsprogramm

Jede Wissenschaft will möglichst wahre und objektive Aussagen treffen, die mit der Realität übereinstimmen, also über Sachverhalte reden, die unabhängig von der individuellen Betrachtungsweise eines Forschers existieren. Die erkenntnistheoretische Frage, die hinter allen wissenschaftlichen Aussagen steht, befasst sich mit dem generellen Problem von Objektivität und Wahrheit: Ist absolute Wahrheit möglich? Können wir überhaupt wahre Aussagen über die soziale Realität machen? Sind wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Mediennutzung von Menschen oder zu psychologischen Phänomenen objektiv und wahr?

Im Verlauf des Kapitels wurde die Differenz zwischen Naturund Sozialwissenschaft mit dem Unterschied zwischen nomothetischen und probabilistischen Aussagen erklärt – gesetzmäßig deterministischen versus wahrscheinlichkeitsorientierten Aussagen. Bei der Frage nach Wahrheit und Objektivität der Wissenschaft, insbesondere der Kommunikationswissenschaft, taucht dieser Punkt zum zweiten Mal auf. Es wurde erläutert, dass mittels empirischer Forschung der Versuch unternommen wird, so nahe wie möglich an nomothetische Theorien, gesetzmäßige Aussagen, heranzukommen. Man kann auch sagen: Man versucht, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Heißt dies nun, dass Forschungsergebnisse, wenn sie nicht objektiv und wahr sein können, deshalb subjektiv sind? Kommunikationswissenschaftliche Aussagen sind dem Begriff nach keine objektiven und wahren Aussagen. Dennoch repräsentieren sie keineswegs die willkürliche, subjektive Meinung eines Wissenschaftlers. Nicht die Erkenntnis über einen Sachverhalt ist wahr und objektiv, sondern der wissenschaftliche Forschungsprozess über ihn. So hat sich in der empirischen Sozialforschung ein Begriff etabliert, der außerhalb der Logik von Objektivität und Subjektivität steht: intersubjektive Nachvollziehbarkeit.

Intersubjektive Nachvollziehbarkeit bedeutet, dass sozialwissenschaftliche Aussagen im Rahmen empirischer Forschung mit von jedermann nachvollziehbaren, offengelegten empirischen Methoden gewonnen werden, d. h., die empirische Untersuchung läuft unabhängig von der Person und den persönlichen Vorlieben des Forschers ab.

Die Offenlegung des Ablaufs der Untersuchung eröffnet für jeden (intersubjektiv) die Möglichkeit, Daten einzusehen, Berechnungen noch einmal durchzuführen (Nachvollziehbarkeit), die ganze Studie noch einmal unter den gleichen Bedingungen zu wiederholen und auf diese Weise wissenschaftliche Aussagen zu bestätigen oder zu widerlegen.

Was die Aussagen selbst angeht – das wurde bereits betont –, greifen diese immer nur einen Ausschnitt aus der sozialen Realität auf. Ihre Gültigkeit endet stets an der Grenze, die der Forscher mit der Bestimmung seines Untersuchungsgebietes absteckt. Wenn also Ergebnisse innerhalb dieser Grenzen ihre Gültigkeit haben, ist dies stets relativ, immer einschränkend zu würdigen. Man kann sagen: Die Ergebnisse einer kommunikationswissenschaftlichen Untersuchung besitzen immer eine relative Gültigkeit. Sie beanspruchen keine Objektivität im Sinne einer umfassenden Gültigkeit, sie entstammen jedoch einem intersubjektiv nachvollziehbaren Prozess, der in seiner (empirischen) Vorgehensweise Objektivität beanspruchen darf.

Mit der Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben, beschäftigt sich die Wissenschaftstheorie. Wissenschaftstheorie wird in Zusammenhang mit verschiedenen Fächern gelehrt. Ob Psychologie, Pädagogik oder Sozialwissenschaften – jede Wissenschaft beschäftigt sich mit der „Theorie der Wissenschaft“. So ist diese Disziplin eine Meta-Wissenschaft: Sie entwickelt und untersucht die Regeln, nach denen jede Einzelwissenschaft vorgeht. Sie ist die Basis und die Klammer, die alle Einzeldisziplinen unabhängig von den konkreten Forschungsgegenständen zusammenhält.

Wissenschaftstheorie beschäftigt sich mit der Frage, wie Wissenschaft zu ihren Aussagen kommt und damit letztendlich mit Fragen nach Wahrheit, Objektivität und Subjektivität. Insofern ist Wissenschaftstheorie auch Erkenntnistheorie.

Im Rahmen einer Einführung kann Wissenschaftsbzw. Erkenntnistheorie nicht in der notwendigen Tiefe diskutiert werden. Hierzu sei auf die einschlägige Literatur verwiesen (z. B. Ströker 1992). Dennoch wird (und sollte) jeder, der sich mit empirischer Kommunikationsforschung befasst, schnell auf Fragen stoßen, mit denen sich Wissenschaftstheorie beschäftigt.

 
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