Ablauf des empirischen Forschungsprozesses am Beispiel
Der Ablauf des Wissenschaftsprozesses, insbesondere der empirischen Forschung, ist schematisch in Abb. 1.4 dargestellt. Ähnliche Darstellungen finden sich in anderen Einführungen zu den Methoden der empirischen Sozialforschung (vgl. zum Beispiel Friedrichs 1990; Schnell et al. 2011). Dabei ist wichtig zu wissen, dass dieser Ablauf bei jeglicher Methode des Fachs im Wesentlichen derselbe bleibt. Egal, ob eine Befragung oder eine Inhaltsanalyse durchgeführt wird: Die Begriffe ändern sich, das Instrumentarium ebenfalls, nicht jedoch die Struktur. Es ist deshalb möglich, alle Stufen dieses Prozesses für die jeweilige Methode zu „übersetzen“.
Man sieht auf den ersten Blick, dass die Beherrschung der Methoden zwar ein zentraler, aber nicht ausreichender Bestandteil wissenschaftlicher Vorgehensweise ist. Bis zum Einsatz des Fragebogens oder einer experimentellen Untersuchungsanlage befasst sich die Forschung – ausgehend vom konkreten sozialen Phänomen – mit dem ihr zur Verfügung stehenden theoretischen Instrumentarium. In der Literatur findet man häufig eine Dreiteilung des gesamten Prozesses in Entdeckungs-, Begründungsund Verwertungszusammenhang.
Der Forschungsablauf sei am Beispiel der gesellschaftlichen Debatte über die täglichen Talkshows im Fernsehen erläutert[1].
Abb. 1.4 Der Forschungsprozess
Der Entdeckungszusammenhang
Das soziale Problem wird in der Öffentlichkeit diskutiert und für wichtig erachtet. In der Praxis beantragen daraufhin die Wissenschaftler sogenannte Drittmittel: Das sind Gelder, die von öffentlichen Institutionen, z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von verschiedenen Ministerien oder von privaten Auftraggebern für die wissenschaftliche Befassung mit dem Problem zur Verfügung gestellt werden. Forschung und wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn finden häufig nur dann statt, wenn dafür gezahlt wird, ob nun der Auftraggeber an bestimmten Ergebnissen interessiert ist (meist bei privaten Geldgebern) oder nicht. Sobald die allgemeine Themenstellung skizziert ist, wird man daraus eine oder mehrere wissenschaftliche Fragestellungen formulieren, die das Herz der folgenden Untersuchung sein sollen. Die Trennung zwischen kommerzieller und akademischer bzw. grundlegender und angewandter Forschung ist dabei auch schwer zu ziehen. Häufig erwachsen aus kommerziellen Projekten neue Theorien und Ergebnisse von Grundlagenprojekten werden in der Praxis genutzt bzw. nutzbar gemacht.
Zurück zur Fragestellung hinsichtlich der Wirkung von Talkshows. Werden Kinder und Jugendliche, die ja nachmittags sehr häufig fernsehen, durch solche Talkshows sittlich und moralisch gefährdet? Wenn dieses Problem von den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder den Landesmedienanstalten als brennend genug empfunden wird, werden sie sich an die Wissenschaft wenden. Um die Frage, ob und inwiefern Daily Talks jugendgefährdend sind, zu beantworten, werden die beauftragten Forscher möglicherweise die Kultivierungshypothese heranziehen. Ohne an dieser Stelle auf das Belastetheitskonto dieser Theorie einzugehen, würde zunächst der Satz gelten „(Jugendliche) Vielseher beziehen ihre Weltsicht aus den Medien.“ Dieser Zusammenhang zwischen sozialem Problem, Auftrag und Theorie ist der Entdeckungszusammenhang.
- [1] Vgl. beispielsweise die Beiträge von Paus-Haase und Kollegen (1999) oder Schneiderbauer (2001)