Unstrukturiertes Interview
Das Gegenstück zu dieser standardisierten Form ist eine vollkommen unstrukturierte Form der Befragung. In diesen Fällen ergeben sich die Fragen hauptsächlich aus dem Kontext, der Zeit und der Länge des jeweiligen Interviews. Nicht alle Befragten erhalten notwendigerweise dieselbe Frage: Sie beeinflussen mit ihrem Antwortverhalten die nächste Frage. Es existiert kein vorgefertigter Fragebogen, sondern höchstens ein Stichwortkatalog. Man erhält unterschiedliche, untereinander nicht direkt vergleichbare Interviews. In diesen Fällen ist häufig der Forscher auch der Interviewer. Ein professioneller Interviewer hätte nicht das Hintergrundwissen, das er bräuchte, um etwa nach bestimmten Antworten adäquat nachzufragen. Dieser Befragungstyp wird in qualitativen Forschungsvorhaben, bei denen der Untersuchungsgegenstand relativ unbekannt ist, eingesetzt. Ein Beispiel: Wie intensiv werden eigentlich Bannerwerbungen im Internet genutzt? Das ist ein relativ neues Thema, welches vor allen Dingen die Werbetreibenden interessiert. Bevor sie nicht wissen, wie viele Personen aus welchen Zielgruppen mit Internetwerbung erreicht werden, werden sie im Internet keine Werbung schalten. Um zunächst erste Anhaltspunkte zu bekommen, wie Internetwerbung überhaupt genutzt wird, wird man in diesem Fall wenige Internetnutzer befragen – z. B., wie sehr Bannerwerbung akzeptiert wird, welche Typen von Bannerwerbung die Nutzer unterscheiden etc.
Dieser Typ von Befragung ist dann sinnvoll, wenn man selbst noch wenig über ein Thema weiß und durch die Ergebnisse ein Forschungsgebiet erst vollständig exploriert werden kann. Die Ergebnisse erlauben selbstverständlich keinen Repräsentationsschluss – zum Beispiel auf alle Internet-Experten oder gar die Bevölkerung. Was
Abb. 6.1 Fragebogenausschnitt eines standardisierten schriftlichen Interviews
man jedoch erreicht hat, ist eine Stoffsammlung, um in einem bestimmten Bereich Informationen und Meinungen zu bekommen, die den Kenntnisstand derart erweitern, dass vielleicht auf dieser Grundlage später einmal ein standardisiertes Interview mit einer repräsentativen Stichprobe möglich wird.
Leitfadeninterview
Beide bisher dargestellten Befragungstypen sind Extrempole. Zwischen beiden Extremen werden nun verschiedene Abstufungen von Befragungstypen angewendet. Das heißt, bei der Konzipierung einer Befragung bewegt man sich auf einem Standardisierungs-Kontinuum. Je nach Forschungsgegenstand und Detailinteresse wird die Befragung mehr oder weniger standardisiert sein. Zu den halbstandardisierten Befragungen zählt das Leitfadeninterview, in der Literatur als Tiefeninterview bezeichnet. Bei diesem Typ konzipiert man im Vorfeld mehr als nur ein paar Stichworte. Hier wird ein Leitfaden entwickelt und damit die Reihenfolge der Fragen vorgegeben. Die Befragten erhalten dann im Interview die Möglichkeit, mehr Information zu geben als man vielleicht ursprünglich dachte, der Interviewer kann entsprechend mit spontanen Fragen nachhaken, so dass am Ende zwar jedes Interview Antworten zu den gewünschten Bereichen enthält, jedoch in unterschiedlicher Detailliertheit.