Ein Blick zurück: Querpässe von rechts außen bei der WM 2006
In Deutschland ist Fußball ein Breitenund Nationalsport. Er ist weit über seine Rolle als beliebte Freizeitbeschäftigung hinaus Gesprächsthema, Identifikationsobjekt und Politikum. Das macht ihn zum Gegenstand politischer Vereinnahmungsversuche (vgl. Mittag/Nieland 2007) – auch von Seiten bundesund landespolitischer Prominenz, die sich des Fußballs als öffentlicher Bühne und Imagekomponente bedient. Nicht erst seit dem "Wunder von Bern" (vgl. Scheuble/Wehner 2006: 26; vgl. ebenfalls Gebauer 2013) wurde der Fußball immer wieder als Deutungsschablone des politischen Zeitgeschehens herangezogen und Parallelen zwischen dem Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft und der Lage der Nation konstruiert. Gerade internationale Fußballturniere erhalten als Medienereignisse dadurch politische Bedeutung, dass sie integrierend wirken und zur kollektiven Identität von Nationen beitragen können (vgl. Holtz-Bacha 2006: 7).
Nationale Identität stellt einen – wenn nicht den – zentralen Bezugspunkt rechter Ideologien dar. Entsprechend naheliegend ist die Annahme, dass gerade in diesem politischen Spektrum verstärkte Bestrebungen existieren, sich den Fußball als Vehikel politischer Botschaften und Glaubenssätze dienstbar zu machen. Die unumstritten große Bedeutung des Fußballs für die nationale Kultur bietet gerade dem extrem rechten Spektrum Ansatzpunkte für strategische Instrumentalisierungsbestrebungen aller Art. Beobachtet und kommentiert werden die entsprechenden Tendenzen bereits seit Jahren und das keineswegs nur in Deutschland. So konstatierte Michael Funk anlässlich der WM 2006, die in der Bundesrepublik ausgerichtet wurde:
"Rechtes Gedankengut ist wieder ›chic‹ im Spitzenfußball, und das auf paneuropäischer Ebene. Betroffen sind so hochkarätige Spielklassen wie die englische Premier League, die italienische Serie A oder die spanische Primera División, in deren Stadien Hooligans und radikale Fangruppen, so genannte ›Ultras‹, gleichermaßen gefürchtet wie stillschweigend toleriert werden. Abgesehen haben es diese bei ihren Verbalattacken vorrangig auf Spieler nicht-weißer Hautfarbe. Rassistische Gesänge gehören ebenso zur Tagesordnung wie Nazi-Schmierereien oder das Zeigen von Hitlergruß und antisemitischen Symbolen" (Funk 2006: 38).
Sicherlich ist es irreführend, Ultras und Hooligans undifferenziert in den Kontext rechtsextremer Ideologien zu stellen: Das Gros der deutschen Ultras steht Gewalt und politischen Hintergründen distanziert gegenüber; ihr Selbstverständnis kreist um die bedingungslose Unterstützung ihres Vereins (vgl. Blaschke 2008: 11; vgl. ebenfalls Dembowski 2013). Das von Funk gezeichnete düstere Lagebild wurde jedoch im Vorfeld der 2006er FIFA-WM auch im Ausrichterland Deutschland durch eine ganze Reihe von Vorfällen untermalt, die auf bedrohliche Konvergenzen zwischen Teilen der Ultraszene, dem deutschen Hooliganismus und dem rechtsextremistischen Spektrum [1] hindeuteten. Die Reaktionen von Politik und Gesellschaft blieben nicht aus: Schnell entwickelte sich eine neue Dynamik bei Fanprojekten, Vereinen, Verbänden und Polizei, die – zumeist aber nicht immer mit Rückenwind aus der Politik – verstärkt aktiv wurden, um Gegenstrategien zu entwickeln und zu erproben (vgl. Pilz u. a. 2006: 11).
Gleichzeitig rüsteten auch die Vertreter des organisierten deutschen Rechtsextremismus anlässlich der Fußball-WM im eigenen Land auf: Das massive mediale Interesse an diesem sportlichen Großereignis sollte gezielt genutzt werden, um sich durch provokante Aktionen und Aufmärsche mediale Publizität zu erschleichen (Funk 2006: 40). So beabsichtigte die rechtsextreme NPD, einen eigenen WM-Planer herauszugeben, in dem der damals in Bremen spielende Bundesligaprofi Patrick Owomoyela wegen seiner deutsch-afrikanischen Abstammung verspottet werden sollte. Auf dem Cover prangte der Schriftzug "Weiß. Nicht nur eine Trikot-Farbe! Für eine echte NATIONAL-Mannschaft!" vor dem Torso eines weißen Spielers mit Owomoyelas Rückennummer, der 25. Zwar konnte das Machwerk mit einer einstweiligen Verfügung unterbunden werden, die Partei reagierte jedoch mit einer Abänderung des Entwurfs, der kaum weniger rassistisch war, als der vorige (vgl. Abbildungen 1 und 2) und mit Blick auf 2010 ebenfalls gegen eine vermeintliche Überfremdung der Nationalelf polemisierte. Nach einem Strafantrag des DFB wurde auch dieser zweite WM-Planer mittels einer einstweiligen Verfügung aus dem Verkehr gezogen, die Verantwortlichen Udo Voigt, Klaus Beyer und Frank Schwerdt wurden wegen Volksverhetzung angeklagt.
Spätere Versuche, mit ähnlichen Aktionen mehr öffentiche Reichweite für NPDAktivitäten zu erzielen, fanden allerdings weitaus weniger Resonanz in der Berichterstattung (vgl. Vieregge 2014). So mühte sich die Partei auch zu den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 relativ vergeblich mit weiteren Planern um Aufmerksamkeit. Deren Gestaltung fiel allerdings auch weitaus weniger explizit aus, als bei ihren Vorgängern. So spielte die Partei 2014 vergleichsweise vorsichtig mit den rechts kodierten Motiven Nationalfarben und Hautfarbe: Ein zur Faust geballter weißer Arm hält ein Schwarz-Rot-Goldenes Banner unter dem Slogan "Wir stehen zu unseren Farben" (vgl. Abbildung 3).
Auch auf der neurechten Seite dieses politischen Spektrums wurde die 2006er Weltmeisterschaft entlang ihrer ideologischen Linienführung aufgearbeitet. So räsonierte der Chefredakteur der Jungen Freiheit (JF) (vgl. Braun/Geisler/Gerster 2006) – analog zur einleitend zitierten Kommentierung des WM-Erfolgs 2014 – die Bedeutung der Weltmeisterschaft für die nationale Selbstfindung der Deutschen:
"Mittlerweile sind sich alle Kommentatoren einig darüber, daß der patriotische Taumel, der überall im Land herrscht, nicht nur reiner Partylaune entsprungen ist. Es gibt unübersehbare Indizien, die diese nationale Begeisterung zu einem Politikum machen. Deutschland schwimmt sich seelisch frei. Deutscher zu sein, ist keine Erbkrankheit oder lästige Hypothek – es ist plötzlich etwas, worauf man stolz sein kann, ohne daß dies ins gegenteilige Extrem umschlüge. […] Nach dem Ende der WM werden sicherlich viele schwarzrot-goldene Fahnen eingerollt und eingemottet. Die schwarz-rot-goldene Schminke wird auf den Wangen der Mädchen verblassen. Mancher wird den Text der Nationalhymne wieder verlernen. Folgenlos wird diese einmal ausgelebte und von der überwältigenden Mehrheit des Volkes getragene nationale Begeisterung aber nicht bleiben. Die WM 2006 wird mehr sein als das neudeutsche Woodstock-Erlebnis der heutigen Generation. Lehrer werden sich auf ganz veränderte Weise den Fragen von Schülern stellen müssen, die sich mit einer antinational-depressiven Geschichtserzählung nicht weiter abspeisen lassen wollen. Dem patriotischen Gefühl wird die nationale Erkenntnis folgen müssen" (Stein 2006).
Fußballerisch gedeutet versuchte sich innerhalb des rechten Spektrums die NPD als propagandistische Sturmspitze, während man bei der Jungen Freiheit den rechtskonservativen Strafraum mittels tendenziell revisionistischer Pässe zum ›unverkrampftnationalen‹ Libero freizuhalten suchte.
Sicherlich stellen diese Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit nur Momentaufnahmen dar. Dennoch bleibt von Interesse, welche Rolle der Sport für die extreme Rechte spielt. Und warum und mit welchem Erfolg sich dieses politische Spektrum den Breitensport als strategisches Einfallstor in die gesellschaftliche Mitte auserkoren
Abbildung 1 Der ursprüngliche NPD-WM-Planer Abbildung 2 Der modifizierte Entwurf
Abbildung 3 Der NPD-WM-Planer 2014
hat. Auch gilt es darzustellen, welche Gegenmaßnahmen Politik und Zivilgesellschaft ergriffen haben und wie deren bisherige Bilanz zu bewerten ist. Als Ausgangspunkt dient dabei die Frage, was den Sport – speziell den hier im Mittelpunkt stehenden Fußball – so attraktiv für die politische Rechte macht.
Eine Antwort darauf sollen einleitende Überlegungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Sports unter besonderer Berücksichtigung der Fußballkultur geben. Hieran knüpft eine kurze Darstellung unterschiedlicher extrem rechter Deutungsund Handlungsmuster an, die auf eine strategische Instrumentalisierung des ›Volkssports‹ Fußballs und seiner gesellschaftlichen Wirkung hindeuten. Abschließend gilt es, den politischen Umgang mit den entsprechenden Phänomenen anzusprechen und die Erfolgspotentiale der dargestellten Strategien perspektivisch zu bewerten.
- [1] Zu dieser Diagnose vgl. auch den Beitrag von Gunter Pilz im vorliegenden Band.