Gegenmaßnahmen und fehlende Ansätze
Spätestens seit der Vorbereitung auf die Fußball WM 2006 ist auch das Problemfeld von Gewalt und Extremismus im Fußball verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, nicht zuletzt da man um das gute internationale Renommee der Bundesrepublik bemüht war. Dementsprechend brachte man auch im Umfeld des Profifußballs weitere Maßnahmen auf den Weg, um gewalttätige und rechtsextreme Exzesse zu vermeiden, die das Image des Sports und der Vereine nachhaltig schädigen könnten.
Der von Politik und Sportfunktionären lange unterschätzten Fanarbeit kommt dabei eine tragende Rolle zu. Erste Schritte auf diesem Weg wurden Anfang der 1990er Jahre gemacht – damals als Reaktion auf die eskalierende Gewaltproblematik in den deutschen Stadien, die 1991 beispielsweise im Abbruch des Europapokalspiels zwischen Dresden und Roter Stern Belgrad gipfelte (vgl. Blaschke 2008: 55).
Unter dem Druck der sich zuspitzenden Entwicklung einigten sich der Deutsche Fußballbund, der Deutsche Sportbund, der Deutsche Städtetag, die Konferenzen der Innen-, Jugend-, Sportminister der Länder sowie die Bundesministerien des Innern und das damalige Bundesministerium für Frauen und Jugend auf ein gemeinsames Paket von Regelungen, die im Nationalen Konzept Sport und Sicherheit (NKSS) zusammengefasst wurden. Darin wurden Fragen zur Ausgestaltung der Stadionordnungen, der Stadionsicherheit und der Ordnerdienste ebenso geklärt wie der Umgang mit Stadionverboten und die Koordination der beteiligten Stellen. Ende 2011 wurde dieses Konzept akualisiert, wobei in der Neufassung Kommunikation und Dialog mit dem Ziel einer verstärkten Einbeziehung der Fußballfanszenen in den Mittelpunkt gestellt wurden. Diese Fortentwicklung wurde durch eine bundesweit umzusetzende polizeiliche Rahmenkonzeption für den Umgang mit Fangruppen ergänzt, die zum Ziel hat, dass Polizei einheitlich, differenziert, transparent und konsequent agieren soll (vgl. Koordinierungsstelle Fanprojekte 2012: 10).
Ein von Anfang an zentraler Baustein waren die im NKSS festgehaltenen Vorgaben zur weiteren Ausgestaltung der Fanarbeit, aus denen 1993 die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) hervorging. Diese in Frankfurt ansässige Einrichtung widmet sich der Koordinierung und Bewertung der Fanprojektarbeit in Deutschland und liefert darüber hinaus Beratungsdienstleistungen für Ansprechpartner aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Mittlerweile sechs Mitarbeiter betreuen ein Netzwerk von Fanprojekten, das von ursprünglich zwölf auf mittlerweile 60 Fanszenen an 53 Standorten angewachsen ist. Auf eine schriftliche Anfrage der Verfasser vom Sommer 2014 zog die KOS ein optimistisches Résümee hinsichtlich der jüngeren Entwicklung des Problemfelds Rechtsextremismus im Sport:
"Im Bezug auf die Fanszenen stellen wir fest, dass ganz allgemein das Wachsen der Ultrabewegung an den verschiedensten Orten dafür gesorgt hat, dass der offen artikulierte Rechtsextremismus zurückgegangen ist. Viele der Ultragruppen haben einen antirassistischen Konsens. Aber auch bei den meisten größeren Gruppen, die von sich behaupten, unpolitisch zu sein, passen "Uh-Uh"-Rufe oder das "U-Bahn-Lied" auch vom Niveau und Style nicht zur Ultra-Bewegung. Alle drei großen bundesweiten Faninitiativen (BAFF, ProFans und Unsere Kurve) über die Ultra-Bewegung hinaus haben bei dieser Thematik eine klare, öffentlich vertretene politische Haltung, die sich eindeutig gegen Rechtsextremismus, Rassismus und andere Diskriminierungsformen wendet. Hinzu kommt die gewachsene Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Verbände, Vereine und der eigenen Fanszene bei dieser Thematik durch die Arbeit der Fanprojekte, die Eigeninitiative von antirassistischen Fangruppen und in Ausnahmefällen auch durch eine klare Haltung der Vereinsverantwortlichen."
Gleichzeitg deutete sich in der Stellungnahme bereits eine gewisse Sorge hinsichtlich der Entwicklung zwischen Rechtsextremen und Hooligans an:
"Andererseits müssen wir seit ca. zwei Jahren konstatieren, dass rechtsextreme Gruppen und Einzelpersonen an manchen Orten ein Come-back versuchen. Wir glauben, dass dies auch eine Reaktion auf die inzwischen zahlreichen antidiskriminierend agierenden Ultragruppen ist. Politische Differenzen innerhalb der eigenen Fanszene treten offener zu Tage und werden durchaus konfrontativ ausgetragen. Der "Kampf um die Hegemonie" in den Kurven ist hierbei teilweise auch wörtlich zu nehmen. Zumeist sind es nämlich die rechtsextremen bzw. rechtsaffinen Gruppen, die mit Hilfe der Hooligans, das "Gewaltmonopol" in den Kurven innehaben. So kann in einigen Standorten beobachtet werden, dass Gruppen, die sich gegen Diskriminierung engagieren und für gesellschaftliche Grundwerte einstehen, von anders denkenden Gruppen aus der eigenen Fanszene angegriffen werden."
Eng mit der Arbeit der Fanprojekte vernetzt sind verschiedene politische, verbandliche und zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich des Themas Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt im Fußball annehmen. Hier bleibt insbesondere das 2007 gestartete Projekt "Am Ball bleiben – aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung" erwähnenswert, das eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) und des DFB darstellte und 2010 nach dreijähriger Laufzeit endete. Hauptanliegen war es, die vielfältigen Präventionsund Informationsmaßnahmen, die sich mit Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung im Fußballumfeld befassen, zu dokumentieren und hierdurch dem gesamten Thema zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Zudem sollten lokale Netzwerke innerhalb und außerhalb des Fußballs aktiviert und gefördert werden, die sich aktiv gegen rechtsextreme Ideologien und andere Diskriminierungsformen wenden (vgl. Blaschke 2011: 209).
Gemeinsam mit der KOS und dem von der Bundesregierung gegründeten "Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt" organisierte "Am Ball Bleiben" im November 2007 einen bundesweiten Kongress zum Thema "Verein stark machen – Was tun gegen Rassismus und Diskriminierung im Fußballverein". Hier tauschten sich die Organisatoren mit engagierten Fans, Betreuern, Trainern, Schiedsrichtern, Vereinsund Verbandsfunktionären über die besten Ansätze aus, wie die entsprechenden Probleme auch auf Ebene der Amateurvereine angegangen werden können. Die erarbeiteten Ergebnisse finden sich komprimiert in einer Broschüre ("11 Fragen nach 90 Minuten"), die an dieser Stelle stellvertretend für zahlreiche Publikationen anderer Initiativen und Organisationen [1] angesprochen werden soll, die zwischenzeitlich zum Thema erschienen sind und sich als Hilfestellung für die Praxis vor Ort verstehen (vgl. Bündnis für Demokratie und Toleranz 2008).
Ebenfalls erwähnenswert ist die im Januar 2011 offiziell gestartete Initiative "Sport und Politik verein(t) gegen Rechtsextremismus" in das bis Juni 2014 Haushaltsmittel in Höhe von rd. 405 000 Euro geflossen sind. Getragen von einem Netzwerk aus Bundesinnenund Bundesfamilienministerium, dem Deutschen Olympischen Sportbund, der Deutschen Sportjugend, dem Deutschen Fußballbund, der Sportministerkonferenz, dem Deutschen Städteund Gemeindebund sowie den Landessportbünden, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Bündnis für Demokratie und Toleranz soll ein gemeinsames Handlungskonzept umgesetzt werden. Die darin enthaltenen Empfehlungen wurden im Vorfeld auf Grundlage auf einer Studie von Gunter Pilz u. a. (2009) formuliert. Dabei richtet die Initative ihren Blick auch über den Fußball hinaus, da beispielsweise auch Schützenund Kampfsportvereine zu attraktiven Zielen für Rechtsextreme werden können. Bislang wurden neben einer Kampagnenhomepage (vereint-gegen-rechtsextremismus.de) vor allem Öffentlichkeitsmaterialien, eine Wanderausstellung und ein Schulungsmodul für Trainer/ innen erstellt, sowie ein Workshop und eine weitere Handreichung konzipiert (vgl. Büttner/Schwenzer 2013).
Auch in dieser Publikation wird die grundsätzliche Frage angesprochen, wie auch kleinere Vereine und Verbände effizient und gut vernetzt gegen rassistische, antisemitische und sonstige rechtsextreme Tendenzen im sportlichen Umfeld vorgehen können. Sie informiert über Kennzeichen der rechtsextremen Szene und gibt Handlungsempfehlungen für präventive Maßnahmen und den richtigen Umgang mit Problemfällen in Verein und Kommune. Abschließend werden konkrete Vorschläge dargestellt, wie Satzungsklauseln, Stadienordnungen und Ausschlussklauseln gestaltet werden können, um Rassisten und Rechtsextremen frühzeitig die rote Karte zu zeigen.
Hierzu ist speziell innerhalb der kleineren Vereine ein Umdenken notwendig, das sich auch beim DFB vor allem unter seinem vormaligen Präsidenten Theo Zwanziger [2] (vgl. Blaschke 2008: 103 f.) vollzogen hat und mittlerweile auch in die regionalen Fußballverbände hineinwirkt, die in unterschiedlichem Ausmaß mit den entsprechenden Phänomenen zu kämpfen haben. Analog zur Politik sind auch bei Vereinen und Verbänden nach wie vor Tendenzen zu beobachten, eventuell vorhandene Probleme mit Rassismus und Rechtsextremismus eher totzuschweigen, um nicht stigmatisiert zu werden. Eben dieses Totschweigen ist jedoch als das gröbstmögliche Foul zu betrachten. Genau wie bei Bundes-, Landesund speziell Kommunalpolitikern sind auch im Fußball zunächst Ehrlichkeit und Aufmerksamkeit notwendig, um rechtsextremistischen Ideologielementen erfolgreich begegnen zu können. Gefordert ist die gelebte Zivilcourage der Fans, der Vereinsvorstände und Funktionäre – vom Zeugwart bis zum Stadionsprecher.
Um diese öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen und der Tolerierung rechtsextremen Denkens in und vor den Stadien entgegenzuwirken, ist dabei speziell das öffentliche Engagement prominenter Spieler und Trainer hilfreich. Gerade die Vorbildfunktion von Sportlerinnen und Sportlern kann helfen, junge Menschen gegen den Missbrauch des Sports als Transportvehikel rechtsextremer Scheinargumente zu immunisieren.
- [1] In ähnlicher Form haben sich beispielsweise auch Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung Mecklenburg-Vorpommern (LfK) (2007), der Landessportbund Thüringen e. V. (2008), oder die Deutsche Sportjugend (DSJ 2009) der Schwierigkeiten der Vereine angenommen und entsprechende Ratgeber bzw. praxisorientierte Handlungsleitfäden veröffentlicht.
- [2] So ist der DFB beispielsweise Mitinitiator der 2008 gestarteten Projektes "Netz-gegen-Nazis" ( netz-gegen-nazis.de), das die Amadeu-Antonio Stiftung gemeinsam mit der Wochenzeitung DIE ZEIT, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der Deutschen Bundesliga und dem Deutschen Feuerwehrverband ins Leben gerufen hat. Gemeinsam mit Medienpartnern wie dem ZDF oder dem Internetportal "Mut gegen rechte Gewalt" soll hier über Formen extrem rechten Denkens aufgeklärt und Gegenstrategien gefunden bzw. entsprechende Initiativen gefördert werden. 2012 kam das Partnerportal "Fußball gegen Nazis" (fussball-gegen-nazis.de) hinzu, das sich als Projekt der Amadeu Antonio Stiftung, gefördert durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, speziell dem Thema Fußball und Rechtsextremismus widmet.