Gegenstrategien Politik und Parteien

Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus vor Ort – Das Fallbeispiel Sachsen

Miro Jennerjahn

Einleitung

Geht es in der bundesweiten Berichterstattung um Sachsen, steht immer wieder auch das Thema Rechtsextremismus im Fokus der Öffentlichkeit. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die NPD in Sachsen im Jahr 2004 ein von vielen nicht erwartetes parlamentarisches Comeback feierte, als sie mit 9,2 Prozent (%) der Stimmen und zunächst zwölf Mandaten in den Sächsischen Landtag einzog. Aber auch im Kontext massiver rechter und rassistischer Gewaltund anderer schwerer Straftaten war und ist Sachsen regelmäßig in den bundesweiten und zum Teil auch internationalen Medien präsent. Erinnert sei hier an die pogromartigen Ausschreitungen gegen AsylbewerberInnen in Hoyerswerda im September 1991, die extrem gewalttätige Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die schließlich 2001 verboten wurde, die rassistisch motivierte Hetzjagd auf eine Gruppe von Indern auf einem Stadtfest in der sächsischen Kleinstadt Mügeln im August 2007 oder eben bis zuletzt die Präsenz der NPD im Sächsischen Landtag und vielen sächsischen Kommunalparlamenten.

Gleichzeitig stand Sachsen auch immer wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit wegen seines besonders restriktiven Umgangs mit Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus

[1] engagieren. Sei es das massive Ausspähen von Handydaten im Kontext der Anti-Nazi-Demonstrationen in Dresden im Umfeld des 13. Februar und die damit verbundene weitreichende Kriminalisierung des Protests gegen Neonazis, sei es der von vielen Beobachtern als politisch motiviert eingestufte Prozess gegen den Pfarrer Lothar König wegen Landfriedensbruchs.[2] Der vom damaligen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse geprägte Begriff der "sächsischen Demokratie" im Hinblick auf die offensichtlichen demokratischen Missstände in Sachsen hat sich mittlerweile verselbständigt und ist zu einer Art geflügeltem Wort geworden.

In diesem Artikel gebe ich einen schlaglichtartigen Überblick über einige zentrale Facetten der extremen Rechten in Sachsen sowie Rahmenbedingungen, die zu deren Erstarken geführt haben. Im Anschluss gehe ich auf die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus ein und insbesondere auch auf die Herausforderungen, die diese in der sächsischen Demokratie bewältigen muss.

Damit schließe ich an zwei ältere Aufsätze von mir an, die dadurch gleichzeitig eine Aktualisierung erfahren (vgl. Jennerjahn 2009a, Jennerjahn 2012).

Die mehrfache Verschiebung der Drucklegung brachte es mit sich, dass dieser Artikel in zwei Phasen entstand, um aktuellen Entwicklungen gerecht zu werden. Die Ursprungsfassung dieses Artikels entstand im Juni und Juli 2014. Eine Aktualisierung habe ich Anfang September 2014 unmittelbar nach den Wahlen zum Sächsischen Landtag vorgenommen, um auch deren Ergebnisse noch mit veröffentlichen zu können.

Um die Jahreswende 2014/2015 ergab sich weiterer Aktualisierungsbedarf durch die aufkommende PEGIDA-Bewegung. Dieser Aktualisierungsbedarf erwies sich als umfangreicher als ursprünglich angenommen, so dass Ende Januar ein zweiter Artikel mit dem Titel "Sachsen als Entstehungsort der völkisch-rassistischen Bewegung PEGIDA" entstand, der sich ausschließlich mit PEGIDA befasst und an diesen Artikel anschließt.

  • [1] Ich benutze im Folgenden durchweg die Begriffe Rechtsextremismus oder extreme Rechte. Dabei verwende ich den Begriff Rechtsextremismus ausdrücklich nicht im Kontext der Extremismustheorie. Rechtsextremismus fungiert für mich als Sammelbegriff für:

    • autoritäre, antidemokratische Einstellungen

    • einen völkischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus

    • weitere menschenfeindliche Einstellungen, die – wie beispielsweise Sexismus und Homophobie – auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruhen

    • Antiindividualismus und Ablehnung des gesellschaftlichen und politischen Pluralismus. Die Problematik, die sich daraus ergibt, ist mir durchaus bewusst, jedoch hat sich meines Erachtens kein adäquater Ersatzbegriff herausgebildet, der als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Spielarten der verschiedenen ideologischen Strömungen innerhalb der extremen Rechten taugen würde. Den vor einiger Zeit ins Spiel gebrachten Vorschlag, den Begriff "Rechtsextreme" durch Nazis zu ersetzen und folglich statt von Rechtsextremismus von (Neo-)Nazismus (vgl. Liebscher/ Schmidt 2007: 192) zu sprechen, halte ich für nicht zielführend. Dies blendet aus, dass es Strömungen innerhalb der extremen Rechten gibt, die nicht unmittelbar an den ideologischen Traditionslinien des Nationalsozialismus anknüpfen und diese für die Gegenwart fruchtbar machen wollen. Insbesondere das Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) vor allem in Sachsen macht den Begriff Neonazismus als Sammelbegriff unbrauchbar. Auch wenn die AfD nach wie vor Wandlungsprozesse durchläuft, kristallisiert sich nach meiner Einschätzung zusehends ein Demokratieverständnis der AfD heraus, das mit der Wertorientierung des Grundgesetzes und insbesondere dem Gleichheitsprinzip aller Menschen, wie es im Grundgesetz angelegt ist, nicht vereinbar ist. Gleichwohl wäre es unzutreffend, die AfD als neonazistische Partei zu bezeichnen (vgl. Häusler 2013: 91). Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den problematischen Implikationen der Extremismus-Theorie vgl. Jennerjahn 2010.

  • [2] Der Prozess gegen König wurde im Juli 2013 ausgesetzt, weil Videomaterial (im Umfang von rd. 200 Stunden) auftauchte, das sich nicht in den Akten zum Gerichtsprozess befand und die Vorwürfe gegen König – zumindest in Teilen – widerlegte (Kaul/Bartsch 2013). Im November 2014 wurde das Verfahren gegen König nach einer Einigung mit der Staatsanwaltschaft schließlich gegen Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 3 000 Euro eingestellt.
 
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