Qualität und Qualitätskriterien in der beruflichen Bildung
Folgt man einem zweckorientierten Verständnis, dann heisst das für die betriebliche Ausbildungsqualität, dass sie von den Zielen der dualen Berufsausbildung abgeleitet werden kann. In der Schweiz gilt als formalisiertes, übergeordnetes Outputziel für die berufliche Ausbildung die Vermittlung von Fähigkeiten, welche eine berufliche und persönliche Entfaltung sowie eine gelungene Integration in die Gesellschaft, insbesondere in die Arbeitswelt ermöglichen (Bundesgesetz über die Berufsbildung, 2002). Welche Input- und Prozessqualität(en) nötig ist bzw. sind, um diese Ziele zu erreichen, bleibt weitgehend offen. Um diese festzulegen, können im ersten Zugriff Ergebnisse empirischer Studien zur Relevanz bestimmter Merkmale für den Lernerfolg von Schülern und Schülerinnen beigezogen werden (Krey & Rütters, 2011). In diesen, zumeist auf den allgemein bildenden Bereich bezogenen Studien zeigen sich Faktoren wie das Klassenmanagement (z.B. Klassenführung, Planung der Aufgaben), die kognitive Aktivierung (z.B. Aufgabenschwierigkeit, Aufgabenvielfalt) und sozial-kommunikative Aspekte (z.B. Feedback, Unterstützung) als Merkmale, welche die Lernzuwächse der Schüler und Schülerinnen beeinflussen (Wang, Haertel & Walberg, 1993; Marzano, Gaddy & Dean, 2000; Seidel & Shavelson, 2007; Hattie, 2009; Künsting, Billich
& Lipowsky, 2009; Kunter & Voss, 2011; Kunter, Klusmann, Baumert, Richter, Voss & Hachfeld, 2013). Die Forschung zu den Faktoren, welche das Lernen am betrieblichen Ausbildungsplatz begünstigen, ist hingegen eher bescheiden (Nickolaus, 2009). Eine konzeptuelle Klärung des Konstrukts der Qualität beruflicher Bildung kann aber nur dann sinnvoll erfolgen, wenn in den Arbeiten die Besonderheiten der beruflichen Bildung eine angemessene Berücksichtigung finden.
Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass sich die bisherige Diskussion zur „Qualität in der beruflichen Bildung“ im Wesentlichen nicht von der „allgemeinen“ Diskussion zur Qualität im Bildungswesen unterscheidet. Ohne eine angemessene Berücksichtigung der Spezifika der betrieblichen Ausbildung wird jedoch eine entsprechende Qualitätskonzeption einseitig bleiben oder zumindest wesentliche Aspekte unterschätzen.
Zu den Studien, welche die Spezifika beruflicher Bildung zu berücksichtigen versuchen, gehört die Untersuchung von Frieling, Bernard und Bigalk (2006). Gestützt auf Theorien der Lern- und Arbeitspsychologie betrachten sie aufgabenorientierte Merkmale (z.B. Variabilität und Komplexität der Aufgaben), Elemente des Tätigkeitsspielraums (z.B. der Anteil an Selbständigkeit und/oder die Handlungsfreiheit der Lernenden) sowie soziale Aspekte wie Kommunikation, Feedback oder Kooperation als relevant für die betriebliche Ausbildungsqualität (Frieling et al., 2006). Ähnliche Merkmale werden auch von Zimmermann, Müller und Wild (1994) in ihrem „Mannheimer Inventar zur Erfassung betrieblicher Ausbildungssituationen (MIZEBA)“ genannt. Dabei kommen unter anderem das Arbeitsklima, die soziale Einbindung, die Komplexität der Arbeitsaufgaben und die Autonomie der Lernenden als wichtige Merkmale, welche die Ausbildungsqualität fördern, vor (Zimmermann et al., 1994). Eine neuere Studie legen Velten und Schnitzler (2012) vor, in dem sie ein Inventar zur betrieblichen Ausbildungsqualität (IBAQ) entwickeln, das von acht Dimensionen der Qualität ausgeht. Auch dieses Instrumentarium beinhaltet Elemente der Arbeitsaufgaben (z.B. die Skalen Arbeitsaufgaben, Bedeutsamkeit und Handlungsspielraum) und sozial-kommunikative Aspekte (z.B. die Skalen „Kollegen“ und „Feedback“) (Velten & Schnitzler, 2012). In der Schweiz hat sich u.a. die Gruppe um Oser mit der betrieblichen Ausbildungsqualität befasst, wenngleich sich die Arbeiten primär auf die Kompetenzen von Berufsbildnern und Berufsbildnerinnen konzentrieren, die eine gute Ausbildungsqualität ermöglichen sollten (Oser, 2013). Mittels einer Quasi-Delphi-Technik haben sie berufsspezifische Kompetenzprofile formuliert. Dieses Verfahren zielt somit nicht auf die Bestimmung von Qualitätsmerkmalen einer erfolgreichen betrieblichen Ausbildung i.e.S., sondern eher auf die Bestimmung der Kompetenzen der Berufsbildner/innen, die eine gute betriebliche Ausbildung ermöglichen sollten. Eine weitere Studie, die sich mit der Ausbildungsqualität in der Schweizerischen Berufsbildung befasst, stammt von Häfeli, Kraft & Schallberger (1988). Um den Einfluss der Berufsbildung auf die Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter zu untersuchen, wurde ein heuristisches Schema von potentiell entwicklungsrelevanten Merkmalen der Arbeits- und Ausbildungssituation spezifiziert. Basierend auf der Befragung von Jugendlichen und berufskundlichen Experten (Berufsinspektoren, Dozenten psychologischer Berufskunde, Berufsberater, etc) sowie der Analyse der Reglemente und Statistiken konnten fünf Merkmalsbereiche ermittelt werden (Arbeitsinhalt und –bedingungen, soziale Situation am Arbeitsplatz, Ausbildungssituation, berufliche Entwicklungschancen sowie gesellschaftliche Anerkennung).