Die extreme Rechte in Sachsen
In diesem Kapitel gebe ich einen groben Überblick über aus meiner Sicht relevante Aspekte der extremen Rechten in Sachsen. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr geht es darum, einige Schlaglichter zu setzen. Dabei konzentriere ich mich darauf, die sichtbaren Dinge zu beschreiben. Aspekte der Einstellungsforschung über die Verbreitung rechtsextremer Ideologie oder einzelner Versatzstücke rechtsextremer Ideologie blende ich dabei aus, da eine fundierte Auseinandersetzung damit den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen würde. [1] Des Weiteren gehe ich in diesem Kapitel auf einige aus meiner Sicht wesentliche Rahmenbedingungen ein, die zur Verfestigung von Strukturen der extremen Rechten in Sachsen geführt haben.
Was ist sichtbar?
Zunächst wird es um die sichtbaren Strukturen der extremen Rechten gehen, dabei konzentriere ich mich auf parteiförmige Strukturen, die nicht parteigebundene Szene, rechte Gewalttaten sowie den Umstand, dass Sachsen über rund 14 Jahre hinweg als Ruheund Rückzugsraum von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, den Mitgliedern des so genannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), diente.
2.1.1 Parlamentarische Verankerung der extremen Rechten in Sachsen
Bei den letzten Kommunalund Europawahlen in Sachsen am 25. Mai 2014 traten eine Reihe Parteien der extremen Rechten an, darunter NPD, AfD, PRO NRW, BüSo, Republikaner und DSU. Von tatsächlicher Relevanz für Sachsen sind derzeit NPD und AfD. Die NPD, weil sie seit 2004 im Sächsischen Landtag vertreten ist und die AfD, weil sie bei den Bundestagswahlen 2013 und den Europawahlen 2014 ihr bundesweit bestes Ergebnis in Sachsen erzielte. Die AfD stand damit kurz vor dem Einzug in den Sächsischen Landtag, bei den Wahlen am 31. August 2014 und damit ihrem ersten – mittlerweile erfolgten – Einzug in ein Landesparlament. Die anderen genannten Parteien sind derzeit nicht in der Lage, flächendeckend Strukturen in Sachsen abzubilden. Deshalb beschränke ich meine Ausführungen hier auf NPD und AfD.
Das schließt jedoch nicht aus, dass andere der hier genannten Parteien in einzelnen sächsischen Regionen durchaus Erfolge erzielen können.[2]
Im Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen dabei die Kommunalwahlen vom
25. Mai 2014, weil diese Aufschluss über den Grad der Verankerung von Parteien geben können. Dies ist insofern bedeutsam, weil davon ausgegangen werden kann, dass nur eine stabile kommunale Verankerung auch langfristig Wahlerfolge auf höheren politischen Ebenen garantiert. Daran anknüpfend erfolgt eine kurze Auswertung der Landtagswahlergebnisse von NPD und AfD vom 31. August 2014.
2.1.1.1 NPD
Sachsen ist nach wie vor von zentraler Bedeutung für die NPD. Hier gelang ihr 2004 nach langer Zeit wieder der Sprung in ein Landesparlament. Sie erzielte 9,2 % der Stimmen und errang zwölf Mandate. Sachsen war auch das Bundesland, in dem es der NPD erstmalig gelang, den Wiedereinzug in den Landtag zu schaffen, auch wenn das Wahlergebnis mit 5,6 % und acht Abgeordneten deutlich unter dem Ergebnis von 2004 lag.
Dem Einzug in den Sächsischen Landtag vorausgegangen waren kommunale Wahlantritte bei Stadtund Gemeinderatswahlen 1999 und 2004 sowie den Kreistagswahlen 2004. Dabei erzielte die NPD bei den Stadtund Gemeinderatswahlen sachsenweit 1999 0,3 % der Stimmen und erlangte acht Mandate, 2004 erreichte sie 0,5 % der Stimmen und errang 26 Mandate. Bei den Kreistagswahlen 2004 erreichte sie 1,4 % der Stimmen und erhielt 13 Mandate. Diese niedrigen Zahlen sind vor allem dem Umstand geschuldet, dass die NPD bei diesen Wahlen nur sehr punktuell antrat. Schaut man etwas genauer auf die Wahlergebnisse, wird deutlich, dass die NPD dort wo sie antrat, bereits zu diesem Zeitpunkt zum Teil recht beachtliche Ergebnisse erzielte. So erreichte die NPD beispielsweise bei den Stadtratswahlen in Wurzen 1999 5,1 % und steigerte dieses Ergebnis 2004 auf 11,8 %. Bei den gleichen Wahlen erreichte sie in Königstein 1999 11,8 % und 2004 21,1 %. Auch bei den Kreistagswahlen 2004 gibt es eine Reihe von Gemeinden, in denen die NPD deutlich über 10 % lag, z. B. in Meißen, Reinhardtsdorf-Schöna und Wurzen. Der Blick auf die sachsenweiten Ergebnisse verdeckt hier also ein Stück weit die Stärke, die die NPD in manchen Regionen bereits erreicht hatte.
Die erste Kommunalwahl, bei der die NPD flächendeckend antreten konnte, war die Kreistagswahl 2008. Hier konnte sie in allen zehn sächsischen Landkreisen antreten und dabei alle Wahlkreise besetzen. Bei dieser Wahl erzielte sie 5,1 % der Stimmen und erreichte damit 44 Mandate. Auch zur Stadtund Gemeinderatswahl 2009 konnte die NPD in Kommunen in allen zehn Landkreisen sowie den drei kreisfreien Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig antreten. Sie stellte dabei in 103 der damals 491 Kommunen eigene Listen auf. Sachsenweit erreichte sie bei dieser Wahl 2,3 % der Stimmen und erzielte 74 Mandate. [3] Dabei zeigt sich, dass die NPD gegenüber den vorangegangenen Wahlen deutliche Sprünge nach vorn gemacht hatte. Auch darauf gründete sich mit großer Sicherheit der Erfolg des Wiedereinzugs in den Landtag bei der darauf folgenden Landtagswahl 2009.
Die Kommunalwahlergebnisse 2014 waren also auch von Interesse, um Prognosen für die Landtagswahl abgeben zu können, ob der NPD der Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag gelingt. Denkbar knapp scheiterte die NPD schließlich bei der Landtagswahl an der 5 %-Hürde. Wie ich nachfolgend ausführen werde, legten die Kommunalwahlergebnisse nahe, dass es sehr eng werden würde.
In die Wahlen 2014 startete die NPD geschwächt. Vorausgegangen waren immer wieder Personalquerelen, die zum Teil dazu führten, dass ganze Kreisvorstände geschlossen aus der Partei austraten. Am eindrücklichsten in dieser Hinsicht dürfte jedoch die Auseinandersetzung um den damaligen Bundesvorsitzenden der NPD, Holger Apfel, sein, der zugleich Vorsitzender der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen war. Nach Vorwürfen, Apfel habe einen Angehörigen der rechtsextremen Szene sexuell belästigt, legte dieser gegen Jahresende 2013 zunächst sowohl sein Amt als Bundesvorsitzender nieder als auch den Fraktionsvorsitz (Jansen: 2013). Später gab Apfel auch sein Landtagsmandat auf.
Deutlich wird eine recht drastische personelle Schwächung der NPD bei den Kommunalwahlen 2014 im Vergleich zu den Kreistagswahlen 2008 und den Stadtund Gemeinderatswahlen 2009. Zwar konnte die NPD auch 2014 bei den Kreistagswahlen alle Wahlkreise besetzen und bei den Stadtund Gemeinderatswahlen wiederum in allen 10 Landkreisen in Kommunen Listen aufstellen wie auch in den drei kreisfreien Städten, allerdings in deutlich reduzierterer Form als bei den Wahlen zuvor. Trat die NPD 2009 noch in 103 der 491 Kommunen mit eigenen Listen an, ging diese Zahl 2014 auf 77 von 432 Gemeinden zurück. Das bedeutet, 2009 konnte die NPD noch in rund 21 % der sächsischen Gemeinden eigene Listen aufstellen, 2014 waren es nur noch 17,8 %.
Deutlicher werden die Personalprobleme, wenn man die Zahl der Kandidaten der NPD betrachtet. 2008 traten bei den Kreistagswahlen für die NPD 224 Kandidatinnen und Kandidaten an, 2014 waren dies 175, d. h. hier war ein Rückgang um ca. 23 % zu verzeichnen. Bei den Stadtund Gemeinderatswahlen zeigt sich ein ähnliches Bild. 2009 traten 317 Kandidatinnen und Kandidaten für die NPD an, 2014 waren es noch 196, d. h. ein Rückgang um rund 38 %. Allerdings gibt es auch hier starke regionale Unterschiede. In Tabelle 1 werden die Veränderungen der Zahl der Kandidierenden bei den letzten beiden Kreistagswahlen und Stadtund Gemeinderatswahlen dargestellt, sowie die Veränderungen bei der Anzahl der Gemeinden, in denen die NPD bei den Stadtund Gemeinderatswahlen 2009 und 2014 mit eigenen Listen antrat. Dadurch können die zum Teil erheblichen regionalen Unterschiede verdeutlicht werden. [4]
Diese klar zu erkennende personelle Schwächung schlug sich auch in den Wahlergebnissen der NPD nieder. Bei den Kreistagswahlen verlor die NPD gegenüber 2008 0,5 % der Stimmen und steht nun bei 4,6 %. Damit verbunden war ein Rückgang der Mandatszahl von 44 auf 37.
Bei der Stadtund Gemeinderatswahl musste die NPD ebenfalls Verluste hinnehmen. Von sachsenweit 2,3 % im Jahr 2009, ging der Anteil der NPD-Stimmen 2014 auf 1,9 % zurück. Die Zahl der Mandate sank von 74 auf 59. Auch hier verdeckt allerdings der Blick auf das sachsenweite Ergebnis, dass die Ergebnisse in einzelnen Gemeinden z. T. deutlich höher liegen.
Interessant ist außerdem ein weiterer Vergleich: Errechnet man das Gesamtergebnis der NPD bei den Stadtund Gemeinderatswahlen nur für die 76 Gemeinden [5], in denen die NPD auch antrat, steigt das sachsenweite NPD-Wahlergebnis auf 3,6 %. Wirft man nun einen Blick auf die fünf Gemeinden, in denen die NPD durchgängig seit 1999 antrat [6] und die sechs Gemeinden, in denen die NPD durchgängig seit 2004 angetreten ist [7], zeigt sich, dass die NPD hier deutlich überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte. Im Fall der fünf Gemeinden liegt das NPD-Ergebnis im Durchschnitt bei 7,4 %. 2009 lag dieses Ergebnis noch bei 6,7 % (2004: 9,2 %; 1999: 5,0 %). Für die sechs Gemeinden, in denen die NPD seit 2004 kontinuierlich antritt, liegt das durchschnittliche Ergebnis bei 5,4 % und damit annähernd gleich wie 2009, als die NPD in diesen Gemeinden 5,6 % erzielte (2004: 6,8 %). Auch wenn die Ergebnisse schwanken, widerlegen sie meines Erachtens doch die weit verbreitete These, dass sich die NPD selbst entzaubert, wenn sie erst einmal gewählt ist. Auch die These, die NPD werde überwiegend aus Protest gewählt, kann angesichts dieser Ergebnisse kaum aufrechterhalten werden.
Aber auch das sachsenweite Ergebnis bedarf noch einmal eines differenzierten Blicks, um regionale Unterschiede abbilden zu können. Tabelle 2 enthält die Wahlergebnisse der NPD in den einzelnen Landkreisen bei den Kommunalwahlen 2008/ 2009 im Vergleich zu 2014 sowie die dabei erzielten Mandate.
Diese Aufgliederung nach Landkreisen zeigt deutlich, dass der NPD trotz der sachsenweiten Verluste in manchen Regionen eine weitere Verankerung gelungen ist.
Tabelle 1 Zahl der Kandidierenden der NPD bei den Kreistagswahlen 2008 und 2014 sowie den Stadtund Gemeinderatswahlen 2009 und 2014
Landkreis/kreisfreie Stadt Kreistagswahl Stadtund Gemeinderatswahl
2008 |
2014 |
2009 |
2014 |
||
Bautzen |
|||||
Kandidaten |
32 |
18 |
23 |
14 |
|
Gemeinden |
14 |
9 |
|||
Erzgebirgskreis |
|||||
Kandidaten |
21 |
14 |
23 |
13 |
|
Gemeinden |
14 |
9 |
|||
Görlitz |
|||||
Kandidaten |
24 |
30 |
19 |
25 |
|
Gemeinden |
11 |
12 |
|||
Landkreis Leipzig |
|||||
Kandidaten |
26 |
10 |
53 |
5 |
|
Gemeinden |
18 |
5 |
|||
Meißen |
|||||
Kandidaten |
24 |
12 |
18 |
7 |
|
Gemeinden |
7 |
3 |
|||
Mittelsachsen |
|||||
Kandidaten |
21 |
21 |
14 |
17 |
|
Gemeinden |
8 |
9 |
|||
Nordsachsen |
|||||
Kandidaten |
11 |
8 |
14 |
9 |
|
Gemeinden |
4 |
6 |
|||
Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge |
|||||
Kandidaten |
33 |
34 |
38 |
35 |
|
Gemeinden |
14 |
13 |
|||
Vogtlandkreis |
|||||
Kandidaten |
14 |
14 |
9 |
6 |
|
Gemeinden |
3 |
3 |
|||
Zwickau |
|||||
Kandidaten |
18 |
14 |
32 |
10 |
|
Gemeinden |
7 |
5 |
|||
Chemnitz |
15 |
9 |
|||
Dresden |
36 |
28 |
|||
Leipzig |
23 |
18 |
|||
Gesamt |
|||||
Kandidaten |
224 |
175 |
317 |
196 |
|
Gemeinden |
103 |
77 |
Tabelle 2 Wahlergebnisse der NPD in den Landkreisen bei den Kreistagswahlen 2008 und 2014 sowie den Stadtund Gemeinderatswahlen 2009 und 2014
Landkreis/kreisfreie Stadt Kreistagswahl Stadtund Gemeinderatswahl
2008 |
2014 |
2009 |
2014 |
||
Bautzen |
|||||
Ergebnis |
5,5 % |
5,7 % |
2,0 % |
1,7 % |
|
Mandate |
5 |
5 |
6 |
6 |
|
Erzgebirgskreis |
|||||
Ergebnis |
5,7 % |
4,7 % |
1,6 % |
0,8 % |
|
Mandate |
5 |
4 |
10 |
4 |
|
Görlitz |
|||||
Ergebnis |
5,5 % |
4,6 % |
2,2 % |
2,1 %* |
|
Mandate |
5 |
4 |
7 |
5 |
|
Landkreis Leipzig |
|||||
Ergebnis |
4,7 % |
4,0 % |
2,6 % |
1,0 % |
|
Mandate |
4 |
3 |
12 |
5 |
|
Meißen |
|||||
Ergebnis |
5,7 % |
4,1 % |
2,3 % |
1,3 % |
|
Mandate |
5 |
3 |
8 |
4 |
|
Mittelsachsen |
|||||
Ergebnis |
4,7 % |
3,8 % |
0,9 % |
1,1 % |
|
Mandate |
4 |
3 |
2 |
3 |
|
Nordsachsen |
|||||
Ergebnis |
4,7 % |
4,6 % |
1,4 % |
2,0 % |
|
Mandate |
4 |
3 |
4 |
5 |
|
Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge |
|||||
Ergebnis |
7,5 % |
6,5 % |
3,7 % |
4,2 % |
|
Mandate |
6 |
5 |
16 |
17 |
|
Vogtlandkreis |
|||||
Ergebnis |
3,6 % |
3,6 % |
1,0 % |
1,3 % |
|
Mandate |
3 |
3 |
1 |
3 |
|
Zwickau |
|||||
Ergebnis |
3,3 % |
4,0 % |
1,8 % |
0,9 % |
|
Mandate |
3 |
4 |
3 |
3 |
|
Chemnitz |
|||||
Ergebnis |
2,4 % |
2,0 % |
|||
Mandate |
1 |
1 |
|||
Dresden |
|||||
Ergebnis |
3,7 % |
2,8 % |
|||
Mandate |
2 |
2 |
|||
Leipzig |
|||||
Ergebnis |
2,9 % |
2,5 % |
|||
Mandate |
2 |
1 |
|||
Gesamt |
|||||
Ergebnis |
5,1 % |
4,6 % |
2,3 % |
1,9 % |
|
Mandate |
44 |
37 |
74 |
59 |
* Hier fehlt allerdings noch das Wahlergebnis der Stadt Zittau, so dass das Wahlergebnis der NPD und die Zahl der Mandate für den Landkreis Görlitz noch steigen dürfte.
Außerdem zeigt sich, dass sich der massive personelle Einbruch bei der Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten nur bedingt in den Wahlergebnissen niederschlägt. Vor dem Hintergrund des schwächeren Kreistagswahlergebnisses 2014 im Vergleich zu 2008 bedeutete dies für die bevorstehende Landtagswahl am 31. August 2014, dass die Chancen der NPD erneut in den Sächsischen Landtag einzuziehen gegenüber 2009 gesunken waren. Insbesondere die Verluste in den drei kreisfreien Städten waren dabei aus NPD-Sicht problematisch, da sie am Ende über Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag oder Scheitern entscheiden könnten. Dies erklärt die Nervosität der sächsischen NPD im Hinblick auf die AfD. Auch wenn sich die Wählerschaft der AfD offenkundig nicht in großem Maße aus der bisherigen Wählerschaft der NPD rekrutiert, können selbst leichte Wanderungsbewegungen der Wählerinnen und Wähler von der NPD zur AfD am Ende dazu beitragen, dass die NPD bei der Landtagswahl unter 5 % bleibt. Vor dem Hintergrund der Kommunalwahlergebnisse der NPD war es sehr wahrscheinlich, dass die NPD dem nächsten Sächsischen Landtag nicht mehr angehören würde, wenngleich eine Restunsicherheit bestand und klar war, dass es sehr eng werden würde. [8]
Die Landtagswahl hat diese Eindrücke von der Kommunalwahl voll und ganz bestätigt. Am späten Abend des 31. August 2014 schlugen für die NPD 81060 Zweitstimmen zu Buche. Dies entspricht einem Wähleranteil von 4,95 %. Magere 809 Stimmen fehlten der NPD, um den erneuten Einzug in den Sächsischen Landtag zu schaffen.
Sachsen ist für die Landtagswahl in 60 Wahlkreise eingeteilt. Die NPD-Ergebnisse reichen dabei von 1,8 % im Wahlkreis Leipzig 5 bis 10,9 % im Wahlkreis Bautzen 5.
Der Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass die NPD im Vergleich zu 2009 in 15 Wahlkreisen ihr Ergebnis hielt oder verbesserte. Darunter befinden sich sieben Wahlkreise, in denen die NPD ihr Ergebnis signifikant, d. h. um 0,5 % oder mehr steigern konnte. Spitzenreiter war dabei der Wahlkreis Bautzen 5, in dem die NPD ihr Ergebnis um 3,9 % auf nunmehr 10,9 % steigerte.
Auf der anderen Seite stehen 45 Wahlkreise, in denen die NPD im Vergleich zu 2009 geschwächt wurde. Darunter befinden sich 36 Wahlkreise, in denen die Verluste mehr als 0,5 % betrugen. Spitzenreiter ist hier der Wahlkreis Görlitz 1, in dem das Wahlergebnis um 2,9 % auf nun 5,6 % sank. Mehr als 2 % verlor die NPD darüber hinaus in den Wahlkreisen Görlitz 2 und Görlitz 3.
Interessant sind auch die Ergebnisse, wenn einzelne Wahlkreise nicht isoliert betrachtet, sondern die durchschnittlichen Wahlergebnisse der NPD für die zehn Landkreise sowie die drei kreisfreien Städte in Sachsen berechnet werden. In sechs der zehn Landkreise erzielte die NPD dabei Wahlergebnisse von über 5 %. Spitzenreiter sind dabei die Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 7,7 % und Bautzen mit 7,2 %. In den übrigen vier Landkreisen blieb die NPD mit Ergebnissen zwischen4,5 % und 4,9 % nur knapp unter der 5 %-Hürde. In den drei kreisfreien Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig lag die NPD dabei wie schon 2009 unter 5 %. In Chemnitz konnte die NPD ihr Ergebnis leicht um 0,3 % verbessern und landete nun bei 3,9 %. In Dresden verlor die NPD 0,8 %, in Leipzig 0,5 % und liegt in beiden Städten nun bei 3,3 %.
Dieses Land-Stadt-Gefälle bei der Landtagswahl spiegelt die Kommunalwahlergebnisse wider. Es ist vor allem in einer weiteren Hinsicht relevant. Berechnet man die NPD-Ergebnisse bei der Landtagswahl 2014 für die zehn Landkreise auf der einen Seite und die drei kreisfreien Städte auf der anderen Seite, ergibt sich folgendes Bild: In den zehn Landkreisen verschlechterte die NPD ihr Wahlergebnis gegenüber 2009 zwar um 0,7 %, lag aber dennoch bei 5,7 %. In den drei kreisfreien Städten verschlechterte sich das NPD-Ergebnis gegenüber 2009 um 0,5 % auf nun 3,4 %. Die relativ gesehen schlechtere Verankerung der NPD in den drei kreisfreien Städten, die es immer gegeben hat seitdem die NPD in Sachsen zu Wahlen antritt, hat sie diesmal um den Landtagseinzug gebracht. Tabelle 3 stellt die NPD-Wahlergebnisse in den zehn Landkreisen und den drei kreisfreien Städten bei den Landtagswahlen 2009 und 2014 dar. Der erneute Einzug in den Sächsischen Landtag wäre für die NPD jedoch nahezu lebenswichtig gewesen. Für die finanziell chronisch klamme Partei hing daran, ob sie durch die Fraktion in großem Umfang Mitarbeiter beschäftigen und sachsenweit Informationsmaterialien zur Verfügung stellen kann. Zuletzt erhielt die NPD-Fraktion den gesetzlich geregelten Fraktionszuschuss in Höhe von 1,423 Millionen Euro im Jahr. [9]
Das Scheitern an der 5 %-Hürde bedeutete somit für die NPD einen massiven finanziellen Verlust, den sie nicht ohne weiteres wird kompensieren können. Welche längerfristigen Effekte dies hat, ob also beispielsweise nun nicht mehr bezahlte NPDKader aus Sachsen fortgehen und somit die Verankerung der NPD weiter schwächen oder ob diese in den kommenden fünf Jahren als außerparlamentarische Opposition mit allen Mitteln versuchen, 2019 den erneuten Einzug in den Sächsischen Landtag sicherzustellen, lässt sich noch nicht absehen.
Es reicht jedoch nicht aus, lediglich auf die Zahl der Mandate der NPD zu schauen. Denn neben der parlamentarischen Verankerung der NPD und der damit verbundenen parlamentarischen Arbeit ist die NPD immer wieder auch bemüht, im gesellschaftlichen Raum zu agieren. Dabei versucht sie auf Themen zu setzen, denen aus Sicht der NPD eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz innewohnt. Auf diese Weise versucht sich die NPD als wählbare Alternative zu inszenieren und die eigene Wählerschaft zu vergrößern.
Tabelle 3 Ergebnisse der NPD in den Landkreisen und kreisfreien Städten bei den Landtagswahlen 2009 und 2014
Landkreis/kreisfreie Stadt |
Wahlergebnis 2009 |
Wahlergebnis 2014 |
Gewinn/Verlust |
Bautzen |
6,5 % |
7,2 % |
+0,7 % |
Erzgebirgskreis |
6,9 % |
5,9 % |
−1,0 % |
Görlitz |
7,7 % |
5,6 % |
−2,1 % |
Landkreis Leipzig |
5,4 % |
4,7 % |
−0,7 % |
Mittelsachsen |
5,8 % |
4,9 % |
−0,9 % |
Meißen |
7,0 % |
5,6 % |
−1,4 % |
Nordsachsen |
6,7 % |
5,6 % |
−1,1 % |
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge |
7,9 % |
7,7 % |
−0,2 % |
Vogtlandkreis |
4,5 % |
4,5 % |
+−0,0 % |
Zwickau |
4,9 % |
4,6 % |
−0,3 % |
Chemnitz |
3,6 % |
3,9 % |
+0,3 % |
Dresden |
4,1 % |
3,3 % |
−0,8 % |
Leipzig |
3,8 % |
3,3 % |
−0,5 % |
Gesamt |
5,6 % |
4,95 % |
−0,65 % |
Ende 2013 und Anfang 2014 setzte die NPD dabei vermehrt auf das Thema Asyl. Vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen mobilisierte die NPD gegen mögliche Aufnahmeeinrichtungen. Insbesondere im erzgebirgischen Schneeberg agierte die NPD dabei sehr offen und organisierte eine Reihe von Demonstrationen. Organisatorischer Kopf hinter den Demonstrationen war Stefan Hartung, der für die NPD zu diesem Zeitpunkt im Gemeinderat der Nachbargemeinde Bad Schlema saß. An den drei Demonstrationen im Herbst und Winter 2013 sollen jeweils zwischen 1 500 und 1 800 Personen teilgenommen haben. Der Anteil der Rechtsextremisten wird dabei von der Staatsregierung auf 200 bis 250 geschätzt worunter sich zwischen 40 und ca. 80 NPD-Mitglieder befunden haben sollen. An der letzten Demonstration im Jahr 2013 sollen zudem noch rund 250 Personen teilgenommen haben, die dem HooliganSpektrum zugerechnet werden. [10] Im Januar 2014 folgte eine weitere Demonstration, die jedoch deutlich weniger Zulauf hatte, wenngleich immer noch mehrere hundert Menschen demonstrierten (Kulturbüro Sachsen e. V. 2014: 5 [11]).
2.1.1.2 AfD
Die AfD erzielte bei der Bundestagswahl 2013 mit 6,8 % und bei der Europawahl 2014 mit 10,1 % ihre bundesweit besten Ergebnisse. Über den tatsächlichen Charakter der AfD gibt es nach wie vor Streit. Die AfD selbst wehrt sich massiv dagegen, als rechtspopulistisch oder gar extrem rechte Partei bezeichnet zu werden. Der Umstand, dass diese nach wie vor im Aufbau befindliche Partei noch kein umfassendes Programm hat, macht es umso schwerer, sie zu fassen. Gleichwohl gibt es immer wieder deutliche Hinweise darauf, dass es sich bei der AfD um eine im Kern antidemokratische Partei handelt, die jedoch strategisch versucht den Demokratiebegriff inhaltlich anders zu füllen. Nachgewiesen werden können immer wieder Querverbindungen ins neurechte Spektrum, aber auch personelle Überschneidungen mit der offen rechtsextremen Szene (Häusler 2013: 60 ff.). In Sachsen machte im vergangenen Jahr der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD, Dr. Thomas Hartung, mit behindertenfeindlichen Aussagen auf sich aufmerksam (Alexe/Henkel 2014). Nach massiven öffentlichen Protesten, legte Hartung am 25. 06. 2014 sein Amt als stellvertretender Landesvorsitzender nieder und trat von seiner Kandidatur auf Platz 2 der AfD-Landesliste für die Wahl zum Sächsischen Landtag zurück (mdr 2014a).
Für die AfD stellten die Kommunalwahlen 2014 den ersten Antritt bei rein sächsischen Wahlen dar. Auch für die AfD ist es wichtig, sich perspektivisch möglichst flächendeckend zu verankern, wenn sie sich als dauerhafter Bestandteil des sächsischen Parteienspektrums etablieren will. Dabei wurde deutlich, dass die AfD zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage ist, flächendeckende Wahlantritte zu gewährleisten. Allerdings ist dies für eine vergleichsweise junge Partei nicht weiter verwunderlich.
Bei der Kreistagswahl gelang es der AfD 83 der 121 Wahlkreise zu besetzen und dabei 121 Kandidatinnen und Kandidaten ins Rennen zu schicken. Dabei konnte sie lediglich in den Landkreisen Erzgebirge, Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge alle Wahlkreise besetzen. Im Landkreis Bautzen konnte sie lediglich 2 von 14 Wahlkreisen besetzen. Im Landkreis Nordsachsen trat sie gar nicht an.
Zur Stadtund Gemeinderatswahl trat sie lediglich in 15 Gemeinden mit insgesamt 130 Kandidatinnen und Kandidaten an. Davon entfielen allerdings 93 allein auf die drei kreisfreien Städte Chemnitz, Dresden und Leipzig. In den Landkreisen Bautzen, Meißen und Nordsachsen konnte die AfD dabei keine Listen für Kommunen aufstellen. In den anderen Landkreisen kam sie auf maximal drei Gemeinden, in denen sie mit eigenen Listen antrat.
Tabelle 4 Ergebnisse der AfD bei den Kommunalwahlen 2014
Landkreis/kreisfreie Stadt |
Kreistagswahl 2014 |
Stadtund Gemeinderatswahl 2014 |
Bautzen |
||
Ergebnis |
1,3 % |
0,0 % |
Mandate |
1 |
0 |
Erzgebirgskreis |
||
Ergebnis |
7,6 % |
0,4 % |
Mandate |
7 |
5 |
Görlitz |
||
Ergebnis |
8,0 % |
0,0 %* |
Mandate |
7 |
0 |
Landkreis Leipzig |
||
Ergebnis |
2,7 % |
0,4 % |
Mandate |
2 |
2 |
Meißen |
||
Ergebnis |
8,0 % |
0,0 % |
Mandate |
7 |
0 |
Mittelsachsen |
||
Ergebnis |
4,2 % |
1,2 % |
Mandate |
4 |
5 |
Nordsachsen |
||
Ergebnis |
0,0 % |
0,0 % |
Mandate |
0 |
0 |
Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge |
||
Ergebnis |
9,8 % |
1,8 % |
Mandate |
8 |
4 |
Vogtlandkreis |
||
Ergebnis |
6,2 % |
0,2 % |
Mandate |
5 |
1 |
Zwickau |
||
Ergebnis |
5,0 % |
2,7 % |
Mandate |
5 |
5 |
Chemnitz |
||
Ergebnis |
5,6 % |
|
Mandate |
3 |
|
Dresden |
||
Ergebnis |
7,0 % |
|
Mandate |
5 |
|
Leipzig |
||
Ergebnis |
6,0 % |
|
Mandate |
4 |
|
Gesamt |
||
Ergebnis |
5,4 % |
2,5 % |
Mandate |
46 |
34 |
* Hier kommen unter Umständen noch Mandate in der Stadt Zittau hinzu, da die Stadtund Gemeinderatswahl abgesagt werden musste und nun zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet.
Tabelle 5 Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen 2014 in den Landkreisen und kreisfreien Städten
Landkreis/kreisfreie Stadt |
Wahlergebnis AfD |
Bautzen |
11,9 % |
Erzgebirgskreis |
10,8 % |
Görlitz |
13,2 % |
Landkreis Leipzig |
9,1 % |
Meißen |
11,3 % |
Mittelsachsen |
9,3 % |
Nordsachsen |
8,2 % |
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge |
11,4 % |
Vogtlandkreis |
10,8 % |
Zwickau |
8,9 % |
Chemnitz |
9,2 % |
Dresden |
8,2 % |
Leipzig |
7,3 % |
Gesamt |
9,7 % |
Dies ist ein Hinweis darauf, dass einerseits die Personaldecke der AfD sehr dünn ist und andererseits der Fokus wohl gezielt auf die Kreistagswahl gelegt wurde. Trotz des nicht flächendeckenden Wahlantritts erhielt die AfD sachsenweit bei der Kreistagswahl 5,4 % der Stimmen und erreichte 46 Mandate und bei der Stadtund Gemeinderatswahl 2,5 % der Stimmen, die für 34 Mandate reichten. Letzteres ist angesichts der sehr geringen Zahl der Gemeinden, in der die AfD antrat, durchaus beachtenswert. Auch hier verstellt das sachsenweite Ergebnis den Blick auf die regionale Stärke der AfD, die in allen Gemeinden, in denen sie antrat, weit über 5 % erzielte. Berechnet man das durchschnittliche Ergebnis der AfD nur für die Gemeinden, in denen sie auch antrat, kommt sie hier auf 6,7 %. Die dünne Personaldecke hat auch dazu geführt, dass die AfD in Bad Lausick und Deutschneudorf mehr Mandate errang, als sie Kandidaten aufgestellt hatte.
In Tabelle 4 sind die Wahlergebnisse für die Kreistagssowie die Stadtund Gemeinderatswahlen nach Landkreisen aufgeschlüsselt.
Die Landtagswahl verlief aus Sicht der AfD äußerst erfolgreich. Mit 9,7 % erreichte sie nicht nur fast das gleiche Ergebnis wie zur Europawahl in Sachsen. Erstmals gelang ihr der Einzug in ein Landesparlament. Der Umstand, dass die AfD künftig über 14 Landtagsabgeordnete verfügt und daraus resultierend nach gegenwärtigem Stand jährlich rund 1,6 Millionen Euro als Fraktionsfinanzierung erhält, dürfte den Strukturausbau der noch jungen Partei in Sachsen erheblich beschleunigen.
In allen 60 Wahlkreisen erzielte die AfD bei der Landtagswahl Ergebnisse über 5 %. Die Spannbreite reicht dabei von 5,2 % im Wahlkreis Leipzig 2 bis 14,8 % im Wahlkreis Bautzen 5. Dabei erreichte die AfD in 34 Wahlkreisen Ergebnisse zwischen 5 % und 10 % in den übrigen 26 Wahlkreisen lagen die Stimmanteile über 10 %. Auch bei der AfD ist ein Land-Stadt-Gefälle der Wahlergebnisse zu beobachten. Berechnet man das Landtagswahlergebnis nur für die zehn Landkreise, so lag die AfD hier bei 10,5 %; in den drei kreisfreien Städten lag sie bei 8 %. Tabelle 5 schlüsselt die Wahlergebnisse für die zehn Landkreise sowie die drei kreisfreien Städte auf.
2.1.1.3 Bewertung der Ergebnisse der Landtagswahl
Mit der AfD trat erstmals zu einer Landtagswahl eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die NPD an, die die NPD schließlich den Wiedereinzug in den Landtag kostete. Auch wenn die vorherigen Wahlergebnisse nahelegten, dass die AfD die NPD lediglich in einer Größenordnung zwischen 0,5 % und 1 % Wählerstimmen kostete, war dies genau der kritische Bereich für die NPD. Laut Infratest dimap wanderten rund 13 000 ehemalige NPD-Wähler bei der Landtagswahl zur AfD ab (Knaack/Hebel 2014). Ohne diese Wählerwanderung hätte das NPD-Ergebnis bei 5,7 % gelegen und sich damit in dem gleichen Spektrum bewegt wie 2009. Auf der anderen Seite erklärt diese Wählerwanderung von der NPD zur AfD nicht die hohen Wahlergebnisse der AfD. Laut Infratest dimap erhielt die AfD Zulauf von 40 000 Stimmen aus dem Lager der sonstigen Parteien. Darüber hinaus generierte sie 33 000 Stimmen von ehemaligen CDU-Wählern, mit einigem Abstand folgen die FDP mit 18 000 Stimmen und die LINKE mit 15 000 Stimmen (ebd.).
Der ohne Zweifel erfreuliche Nichtwiedereinzug der NPD in den Sächsischen Landtag darf nicht den Blick darauf verstellen, dass ein erheblicher Rechtsruck im politischen Parteienspektrum in Sachsen stattgefunden hat. Die AfD zog mit einem ähnlich spektakulären Wahlergebnis in den Sächsischen Landtag ein wie die NPD 2004. Und dies obwohl die innerparteilichen Skandale bei der AfD bis kurz vor der Wahl nicht abrissen. Nicht nur der bereits oben beschriebene Rücktritt des stellvertretenden Landesvorsitzenden machte dabei Schlagzeilen, sondern auch die Streichung des von einem ordentlichen Landesparteitag auf Platz 14 der Landesliste gewählten Arvid Samtleben, die ohne dessen Zustimmung erfolgte (Lachmann 2014). Die von Samtleben eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde indes abgewiesen (mdr 2014b). Kurz vor der Wahl nahm die Staatsanwaltschaft zudem Ermittlungen gegen die Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin der AfD zur Landtagswahl, Frauke Petry, wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung auf (Bender 2014).
Die ganze Dramatik des Rechtsrucks zeigt sich erst, wenn die Wahlergebnisse von AfD und NPD bei der Landtagswahl addiert werden. 14,7 % der Wählerinnen und Wähler gaben ihre Stimme entweder der NPD oder AfD. Die Spannbreite reicht da-
Tabelle 6 Kumulierte Ergebnisse von AfD und NPD bei den Landtagswahlen 2014 in den Landkreisen und kreisfreien Städten
Landkreis/kreisfreie Stadt |
Wahlergebnis AfD + NPD |
Bautzen |
19,1 % |
Erzgebirgskreis |
16,7 % |
Görlitz |
18,7 % |
Landkreis Leipzig |
13,7 % |
Meißen |
16,9 % |
Mittelsachsen |
14,2 % |
Nordsachsen |
13,8 % |
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge |
19,1 % |
Vogtlandkreis |
15,3 % |
Zwickau |
13,5 % |
Chemnitz |
13,1 % |
Dresden |
11,5 % |
Leipzig |
10,7 % |
Gesamt |
14,7 % |
bei von 10,7 % in Leipzig bis 19,1 % in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen. Spitzenreiter war dabei der bereits erwähnte Wahlkreis Bautzen 5, in dem AfD und NPD zusammen 25,6 % der Stimmen erhielten. Tabelle 6 gibt eine Übersicht der kumulierten Wahlergebnisse von NPD und AfD in den zehn Landkreisen und den drei kreisfreien Städten.
Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2014 bei lediglich 49,2 % lag und damit den bereits bedenklichen Wert von 2009, als 52,2 % der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten, noch einmal unterschritt. Deutlich wird hier eine massive Erosion von Demokratie, die Sachsen vor eine gewaltige Herausforderung stellt.
Mitursächlich für das Erstarken der AfD dürfte die Haltung der sächsischen CDU gewesen sein, die lange Zeit eine mögliche Koalition mit der AfD nicht ausschloss und die AfD damit als wählbare und seriöse Alternative erscheinen ließ. Erst am Wahlabend selbst, nach der Schließung der Wahllokale, schloss Ministerpräsident Stanislaw Tillich eine Koalition mit der AfD explizit aus. Vorausgegangen war jedoch eine Intervention des Bundesvorstandes der CDU, die deutlich machte, dass die AfD für die CDU kein Partner sein kann. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit meines Erachtens entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die starke Verankerung der extremen Rechten in Sachsen erfolgt in den Kapiteln 2.2 und 3.
Die künftige Präsenz der AfD wird auch die demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag vor enorme Herausforderungen stellen. Nach dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag gab es eine Zeit der Verunsicherung, in der die Fraktionen sich zunächst über ein geschlossenes Agieren gegenüber der NPD klar werden mussten. Am Ende stand eine Vereinbarung der fünf demokratischen Fraktionen von CDU bis LINKE, die beinhaltete, dass sämtliche parlamentarische Initiativen der NPD geschlossen abgelehnt werden. Um die inhaltliche Auseinandersetzung mit der NPD zu führen, ohne sie zu einem quasi politisch gleichberechtigten Partner zu machen, verständigten sich die demokratischen Fraktionen zudem darauf, dass bei NPD-Initiativen jeweils nur ein Redner für die Regierungskoalition und ein Redner der Oppositionsfraktionen redet. [12] Dieses Arrangement überdauerte auch die Landtagswahl 2009 ohne förmlich erneuert zu werden. Im Hinblick auf die AfD wird es absehbar kein vergleichbares Herangehen der demokratischen Fraktionen geben. Zu unterschiedlich sind die Interpretationen über den Charakter der Partei. Die Gefahr der Normalisierung der AfD im Parlamentsbetrieb ist damit sehr viel größer als sie es damals bei der NPD war.
2.1.2 Außerparlamentarische Aktivitäten der extremen Rechten in Sachsen
Neben der meist am stärksten beachteten parlamentarischen Verankerung der extremen Rechten hat sich eine sehr vielfältige "freie Szene" in Sachsen ausgebildet, die zum Teil regional eng begrenzt agiert, zum Teil aber auch deutlich überregional auftritt. Diese Szene durchläuft beständig Wandlungsprozesse, Strukturen bilden sich neu oder lösen sich auf. Diese Wandlungsprozesse sind einerseits szeneinternen Diskussionen geschuldet, andererseits bisweilen aber auch Folge staatlichen Repressionsdrucks. Das Verbot von diversen organisatorisch recht starren Kameradschaften in der Vergangenheit hat zu eher informelleren Formen der Organisation geführt. Das Verhältnis zwischen "freier Szene" und NPD ist angespannt. Es gibt zwar immer wieder Beispiele für NPD-Kader, die wichtige Akteure auch innerhalb der "freien Szene" sind, jedoch hat der Führungsanspruch der NPD innerhalb der rechten Szene auch zu Verwerfungen geführt. Gleichzeitig steht die sächsische NPD in der Kritik, nicht radikal genug zu sein. Zur Anbahnung des Wiedereinzugs in den Sächsischen Landtag 2009 postulierten Jürgen Gansel und Holger Apfel nach dem NPD-Bundesparteitag Anfang April 2009, auf dem – trotz erheblichen Widerstands – Udo Voigt erneut als Bundesvorsitzender gewählt wurde, den so genannten "sächsischen Weg". Mit diesem versuchten Gansel und Apfel der Partei einen nach außen hin gemäßigteren Anschein zu verpassen. In "unpolitische(r) Nostalgiepflege, ziellosem Verbalradikalismus und pubertärem Provokationsgehabe" (NPD 2009) sahen sie offenkundig die Gefahr, für ein bürgerliches Publikum nicht mehr wählbar zu sein, das aber augenscheinlich aus Sicht der sächsischen NPD benötigt wurde, um die 5 %-Hürde zu überspringen. [13]
Ein Beispiel für die personelle Verbindung von NPD und "freier Szene" sowie deren angespanntes Verhältnis ist Maik Scheffler aus Nordsachsen. Scheffler ist sowohl stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Sachsen als auch einer der führenden Köpfe hinter dem "Freien Netz", einem überregional agierenden Neonazi-Netzwerk. Scheffler trat zudem bei der Landtagswahl 2009 als Direktkandidat für die NPD an, für die Landtagswahl 2014 stand er auf Listenplatz 9. Im November 2011 wurde durch Antifa-Kreise das gehackte interne Forum des Freien Netzes geleakt. In einem Maik Scheffler zugeordneten Forumseintrag heißt es:
"Wir hier arbeiten nicht in Nordsachsen mit NPD Leuten aus dem KV. Wir arbeiten nach wie vor nur in unseren Gruppen. Nur mal etwas anschaulicher, ich habe bisher seit November ganze zwei Mal mit Apfel telefoniert. Einmal rief er mich an wegen des Objektes in Lpz Lindenau und einmal rief ich ihn an wegen eines Termines für meine Unterlagen. Ich habe den Kontakt lediglich mit Gansel und auch da geht es nur darum, was ich brauch um das zu machen, was wir hier für richtig halten. Du kannst es als 80 % Forderungen von mir und 20 % Aufträge von ihm betrachten, ich denk, dass ist eine anschauliche Kraftverteilung." (gamma 2011)
Nach wie vor ist Sachsen Schauplatz einer Vielzahl rechtsextremer Aktivitäten. Die jährlichen Großdemonstrationen rund um den 13. Februar in Dresden erfahren regelmäßig bundesweite Aufmerksamkeit, auch wenn es in den letzten Jahren zunehmend gelungen ist, durch zivilgesellschaftlichen Protest das Ausmaß dieser Demonstrationen einzudämmen. Beteiligten sich zu deren Hochzeiten mehrere Tausend Neonazis, waren es zuletzt noch etwa 500. Der "Verlust" des 13. Februar als europaweit größtem Nazi-Aufmarsch ist ein schwerer Rückschlag für die extreme Rechte in Sachsen. Der Versuch, am 7. Juni 2014 mit dem "Tag der deutschen Zukunft" eine Art Ersatzveranstaltung in Dresden zu etablieren, muss als gescheitert betrachtet werden. Anstatt, wie vom Veranstalter erwartet, eine deutlich vierstellige Teilnehmerzahl zu erreichen, nahmen lediglich rund 400 Neonazis an der Demonstration teil.
Eine besondere Bedeutung für den szeneinternen Zusammenhalt haben Rechtsrockkonzerte. Fanden in der Vergangenheit in Sachsen im Durchschnitt nahezu wöchentlich Konzerte mit einschlägigen Bands und Liedermachern statt, waren die Zahlen in den Jahren 2012 mit 30 geplanten Konzerten und 2013 mit 17 geplanten Konzerten deutlich rückläufig (Staatsministerium des Innern des Freistaats Sachsen 2014: 71 f.). [14] Eine der wesentlichen Ursachen dafür dürfte die Schließung eines einschlägigen Szeneobjektes im April 2012 sein, wo zuvor eine Vielzahl der in Sachsen durchgeführten Konzertveranstaltungen stattfand.
Von Bedeutung ist auch die rechtsextreme Vertriebsszene, die CDs, T-Shirts und andere Neonazi-Devotionalien im Programm hat. Mit OPOS-Records in Dresden, PC-Records in Chemnitz, Front Records in Wurzen und dem Deutsche Stimme Verlag der NPD in Riesa haben mehrere bundesweit bedeutsame Unternehmen ihren Sitz in Sachsen. Auch wenn keine genauen Zahlen bekannt sind, muss von einem Umsatz von mehreren hunderttausend Euro jährlich ausgegangen werden. Die Unternehmen sind dabei von doppelter Bedeutung. Einerseits fungieren sie als Arbeitgeber für die rechte Szene, andererseits fließen Teile der Umsätze zurück in die Szene und tragen so zum Strukturaufbau und -erhalt bei.
Deutlich zugenommen hat die rechtsmotivierte und rassistische Gewalt in Sachsen. So zählte die unabhängige Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt des RAA Sachsen e. V. im Jahr 2013 223 Angriffe mit 319 Betroffenen. Im Jahr 2012 waren es noch 155 Angriffe mit 215 Betroffenen (RAA Sachsen e. V. 2014). Die Zahlen der RAA Sachsen e. V. liegen damit deutlich über den offiziellen Zahlen der politisch motivierten Kriminalität rechts, die für 2013 74 und für 2012 58 rechtsmotivierte Gewaltdelikte ausmachte. Die Ursachen für diese Differenz sind vielfältig. So scheuen sich viele Opfer rechter Gewalt aus Angst, Anzeige zu erstatten. Ein weiteres Problem besteht darin, ob eine rechtsmotivierte oder rassistische Straftat auch als solche von der Polizei und später der Justiz eingestuft wird. In der Vergangenheit ist es in Sachsen wiederholt vorgekommen, dass die Polizei in Hakenkreuz-Schmierereien kein politisches Motiv erkennen konnte.
Diese wenigen Beispiele zeigen zum einen die Vielschichtigkeit, mit der das Problem Rechtsextremismus in Sachsen in Erscheinung tritt, zum anderen dokumentiert dies auch die Alltäglichkeit, mit der die extreme Rechte in Sachsen nach wie vor präsent ist.
- [1] Wer dennoch Interesse hat, sich mit diesem Thema vertieft auseinander zu setzen, dem seien die so genannten "Mitte-Studien" von Oliver Decker und Elmar Brähler (zuletzt Decker/Kiess/Brähler: 2014) sowie die Langzeitstudie "Deutsche Zustände" unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer (Heitmeyer: 2002 bis 2012) empfohlen.
- [2] So ist etwa die DSU im sächsischen Vogtlandkreis stark verankert. Zur Kreistagswahl 2014 stellte sie hier mit 95 Kandidatinnen und Kandidaten mit deutlichem Vorsprung die quantitativ umfangreichste Liste auf. Die CDU folgte mit 83 und die SPD mit 71 Kandidierenden.
- [3] Für systematische Wahlanalysen der Kommunalwahlergebnisse der NPD 2008 und 2009 in Sachsen siehe Jennerjahn 2008 und 2009b.
- [4] Inwiefern es dabei zu Doppelkandidaturen gekommen ist, habe ich nicht systematisch überprüft. Aufgrund der dünnen Personaldecke ist jedoch davon auszugehen, dass zahlreiche Kandidaten der NPD sowohl bei der Kreistagsals auch der Stadtund Gemeinderatswahlen angetreten sind. Insofern können die Kandidatenzahlen für beide Wahlen nicht einfach addiert werden.
- [5] Die NPD hat zwar in 77 Gemeinden Wahllisten aufgestellt. Die Wahl in Zittau musste jedoch abgesagt werden, da der Wahlvorschlag AfD nicht wahlrechtskonform zustande kam, dies jedoch zu spät bemerkt wurde. Aus diesem Grund liegen bislang nur die Wahlergebnisse für 76 Gemeinden vor, in denen die NPD antrat.
- [6] Dabei handelt es sich um Königstein, Riesa, Sebnitz, Trebsen und Weißwasser.
- [7] Das sind Freiberg, Limbach-Oberfrohna, Neustadt, Pirna, Reinhardtsdorf-Schöna und Struppen.
- [8] In Vorträgen zu diesem Thema, die ich im Vorfeld der Landtagswahl über die Kommunalwahlergebnisse der NPD hielt, gab ich als wahrscheinlichsten Korridor bei der Landtagswahl ein Ergebnis zwischen 4,5 % und 5 % an.
- [9] Dieser Betrag setzt sich aus dem monatlichen Sockelbetrag je Fraktion in Höhe von 71 723,03 €, dem monatlichen Fraktionszuschuss je Abgeordneten in Höhe von 2 532,00 € sowie dem monatlichen Oppositionszuschlag in Höhe von 26 596,59 € zusammen.
- [10] Die Zahlen basieren auf den Antworten der sächsischen Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage von mir mit dem Titel "Demonstrationen in Schneeberg im Oktober und November 2013" (Drucksachennummer 5/13167). Sie kann im elektronischen Dokumentationsund Archivsystem des Sächsischen Landtags eingesehen werden unter edas.landtag.sachsen.de.
- [11] Die hier genannte Broschüre führt weitere Beispiele an, wie die NPD in Sachsen systematisch versucht hat, die Themen Zuwanderung und Asyl zu besetzen und rassistisch aufzuladen.
- [12] Wichtig ist dabei, dass die Rechte der NPD nicht eingeschränkt wurden. Es ging mit dieser Vereinbarung lediglich darum, den Spagat zu vollziehen, dass die NPD aufgrund ihrer Ideologie etwas wesentlich anderes ist als die demokratischen Parteien, sie aber gleichzeitig inhaltlich zu stellen. Damit sollte signalisiert werden, dass die NPD keine normale Partei wie jede andere ist, gleichzeitig sollte vermieden werden, dass sich die NPD selbst öffentlich in einer Opferrolle inszenieren kann.
- [13] Eine ausführlichere Analyse des "sächsischen Weges" der NPD habe ich in dem Artikel "Sächsische, deutsche und andere Irrwege" vorgenommen (Jennerjahn 2009c).
- [14] Hierbei handelt es sich um die offiziellen Angaben durch das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Ob und inwieweit Konzerte stattgefunden haben, die den sächsischen Behörden nicht zur Kenntnis gelangten oder nicht dem Bereich Rechtsextremismus zugeordnet wurden, muss dabei offen bleiben.