Abstract
The current development in the profession of social work shows an increase in precarization, which seem to be accepted by both students and employees without any noticeable protest up to now. An insight of the causes leading to this alleged contradiction is given by the sociological paradigms of social movements, which this thesis combines with socioeconomical conditions and their importance and effectiveness on the development of social movements within the profession of social work. The gathered data on their own already provide an interesting insight into the development, however, only the combination of the paradigms clearly shows their effect on the profession. It becomes apparent that a variety of factors are responsible for hindering the development of a social movement within the profession and that under those circumstances a movement is unlikely to happen. Furthermore, the concluding overview of factors clearly shows that socioeconomical conditions have the greatest impact on the paradigm of the collective identity.
Einleitung
Während sich die Ausbildung an den Hochschulen immer weiter auf die Methoden in der Sozialen Arbeit konzentriert, verschlechtern sich zunehmend die Arbeitsbedingungen ohne erkennbare Proteste auf Seiten der Studierenden oder der Arbeitsleistungserbringer. Eine Hörersendung von Inforadio titelte im April 2014 „Sozialfall Sozialarbeiter?“ und stellte darin die Frage, ob die SozialarbeiterInnen trotz Vollzeitbeschäftigung zukünftig auf ergänzende Leistungen vom Arbeitsamt angewiesen sind. Dabei sind die bestehenden Strukturen zur Hinnahme und Gewöhnung an solche Verhältnisse bereits während des Praktikumssemesters im Studium verankert und geben diesbezüglich eine erste Orientierung für die Studierenden. Weniger plakativ, aber ebenso eindeutig, urteilte das Bundesarbeitsgericht am 21. August 2013 (4 AZR 933/11), dass die Eingruppierung von SozialarbeiterInnen zu niedrig wäre. Damit gab das Gericht den Gewerkschaften in ihrer Auffassung Recht, dass die Bezahlung für die Verantwortung und die lange Ausbildung nicht angemessen ist.
Für die Erklärung dieses Widerspruchs aus den zunehmenden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und dem Ausbleiben von Protesten der SozialarbeiterInnen gibt es derzeit nur Spekulationen. Allgemein vermutet werden Ursachen wie die Heterogenität der Berufsfelder, die Feminisierung, fehlender Habitus oder auch die hohen Arbeitsbelastungen. Zur Klärung dieses Widerspruchs wurden in dieser Arbeit die Erkenntnisse aus der Soziologie der sozialen Bewegungen herangezogen und mit den sozioökonomischen Verhältnissen in dieser Berufsgruppe hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirkungsweise aus der Perspektive der einzelnen Paradigmen beleuchtet. Ziel war es, durch diese Kombination neue Einblicke in diese Problematik zu ermöglichen. Die dabei zugrunde liegenden sozioökonomischen Daten sind oft ungenau und nicht klar von anderen Berufsgruppen im sozialen Bereich zu trennen. Bereits hier wird ein erstes wesentliches Problem für die Beschreibung der Problematik deutlich, da bislang keine konkreten statistischen Erhebungen für die Soziale Arbeit vorliegen. Diese Unklarheit bzw. Unsichtbarkeit der einzelnen Veränderungsprozesse in dieser Berufsgruppe erschwert die Wahrnehmung der Problematik und daran anknüpfend deren Thematisierung. Darüber hinaus wird die Thematisierung oft durch den Vergleich mit anderen Berufsgruppen oder der Lebenssituation von Arbeitsleistungserbringern in anderen Ländern erschwert, bei denen die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen noch weiter vorangeschritten ist. Solche Betrachtungsweisen führen zu einer Abwärtsspirale, bei der sich stets an den schlechteren Arbeitsbedingungen orientiert und der Abbau von fairen Arbeitsbedingungen hingenommen wird. Die Situation anderer Berufsgruppen mit einer weniger vorangeschrittenen Prekarisierung erscheint in einem solchen Vergleich nicht mehr diskussionswürdig und bedarf von daher keiner Thematisierung, wodurch der zunehmenden und flächendeckenden Prekarisierung der Weg geebnet wird.
Mit dem Begriff der Prekarisierung sind atypische Arbeitsverhältnisse gemeint, welche gekennzeichnet sind durch die Zunahme von Unsicherheit in der Erwerbstätigkeit. Gemeint sind unter anderem niedrige Löhne, der Abbau von Sozialleistungen und befristete Arbeitsverhältnisse, welche zum sozialen Abstieg führen. In diesem Zusammenhang wird auch von der Wiederkehr der sozialen Frage im 21. Jahrhundert gesprochen (Castel, Dörre, & Bescherer, 2009). Weitere Definitionen von „Soziale Arbeit“, „Sozialarbeiter“ und „soziale Bewegung“ werden in dieser Arbeit gesondert im Kontext ihrer thematischen Bezugnahme bestimmt.
Sprachlich wird in dieser Arbeit auf zwei Dinge geachtet, zum einen auf eine gendergerechte Ausdrucksweise, damit es zu keinen Diskriminierungen kommt, und zum anderen werden die Unternehmen auch als ArbeitskraftnehmerInnen bezeichnet und die sogenannten „Arbeitnehmer“ als ArbeitsleistungserbringerInnen. Dies soll dazu dienen die Verhältnisse korrekt darzustellen.
Ein weiteres Problem von fehlender Thematisierung kann bereits durch diese Arbeit gemindert werden, denn ein Problem vieler neuerer sozialer Bewegungen ist die „Geschichtsvergessenheit vieler Aktivisten, die glaubten, am Beginn eines neuen Zeitalters zu stehen und, bezogen auf Strukturen, Strategien und Taktiken, völlig neue Wege zu beschreiten und dabei versuchten, das Rad der Protestpolitik neu zu erfinden“ (Rucht, 2013: 133).