Hinführung zum Thema
Die ideale Gesellschaft braucht keine Soziale Arbeit, da es idealerweise keine soziale Ungleichheit gibt, mit der sich die Soziale Arbeit zu befassen braucht. Bei gelingender Sozialarbeit würde sich diese somit zunehmend selbst abschaffen. Nach der Einschätzung von Wolf tut sie das auch gerade (Wolf, 2011: 71). Dies geschieht jedoch nicht, weil die Gesellschaft zunehmend idealer wird, sondern weil die Soziale Arbeit immer stärker im logischen Widerspruch zu sich selbst steht. Die Rationalität des Marktes verlangt den Ausstoß von Arbeitskraftbesitzern zur Maximierung der Gewinne durch Senkung der Produktionskosten. Im sozialen Dienstleistungsbereich bestehen die größten Produktionskosten zu ca. 90 % aus Personalkosten. Zur Steigerung der Gewinne müssen demnach die Personalkosten durch die Entlassung von Arbeitskräften und Lohnkostenreduzierung gesenkt werden. Die zunehmende Übernahme dieser Rationalität im sozialen Bereich führt dazu, dass dieser Bereich demnach selbst Personen ausstoßen muss. Dies steht jedoch im Widerspruch mit dem klassischen Verständnis von Sozialarbeit (Kap. 2.1), denn wie kann sich eine Berufsgruppe einerseits um die Ausgestoßenen kümmern und andererseits selber Menschen ausstoßen. Das Verständnis von Sozialer Arbeit verändert sich hierdurch grundlegend. Die zunehmende Verinnerlichung dieser Logik des Marktes und des Wettbewerbs wird im sozialen Bereich demnach zu einer Prekarisierung der Arbeitsleistungserbringer und Entprofessionalisierung der Sozialen Arbeit führen. Die Ökonomisierung vollzieht sich dabei auf drei Ebenen:
1) Auf der Makroebene vollzieht sich eine Vermarktlichung nach außen, indem sich der Sozialsektor zum Markt hin öffnet (Kap. 3). Bei den dabei entstehenden wettbewerbsförmigen und -strukturierten Wohlfahrtsmärkten handelt es sich allerdings nur um Scheinmärkte, da diese weiterhin hauptsächlich vom Staat subventioniert werden. Im Ergebnis unterbieten sich die Unternehmen daher selbst im staatlich diktierten Preis-Leistungs-Verhältnis.
2) Auf der Mesoebene vollzieht sich die Vermarktlichung aufgrund der Internalisierung von Marktmechanismen nach innen. Die Unternehmen und der Staat wenden zunehmend Methoden der Betriebswirtschaftslehre an. Es kommt dabei durch die Anwendung vielzähliger struktureller und prozessualer Instrumente zu einem Prozess der Verbetriebswirtschaftlichung, wie z. B. zu dem Neuen Steuerungsmodell, zu Budgetvorgaben, Kosten-Nutzen-Analysen, Monitoring oder Controlling.
3) Auf der Mikroebene vollzieht sich die Vermarktlichung auf der subjektund verhaltensbezogenen Dimension. Hierbei kommt es zu einer „Erziehung der Individuen zu marktkonformen Verhalten“ (Wolf, 2011: 74). Das gewünschte Menschenbild orientiert sich dabei am „homo oeconomicus“ und geht davon aus, dass jedes Verhalten im Kosten-Nutzen-Kalkül zu stehen hat. Mit diesem Selbstverständnis versteht sich jede Person als unternehmerisches Selbst, das einerseits aufgefordert ist, das eigene Handeln an die Logik des Marktes anzupassen und andererseits alle eigenen Handlungen als Investition in das eigene Humankapital zu betrachten.
Mit diesem Denken und Handeln rückt die eigene professionelle Identität der Sozialen Arbeit immer weiter in den Hintergrund, bis sich diese ganz aufgelöst hat (Wolf, 2011). Der Staat verändert sich somit vom Welfare State zum Workfare State und mit ihm die sozialen Berufe. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch den Wegfall des Ost-West-Gegensatzes und dem damit einhergehenden Ausfall der Systemkonkurrenz. Infolgedessen „brauchte der Kapitalismus, keines menschlichen Antlitz mehr“ (Stapf-Finé, 2013: 19). Eine Notwendigkeit der Ökonomisierung ist dabei die zunehmende Ausbeutung der ArbeitsleistungserbringerInnen (Kap. 3.2), welche eigentlich Anlass für Proteste und Demonstrationen geben sollte. Stattdessen kommt es bei Aufrufen zu Großdemonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit immer wieder zu den gleichen Ergebnissen: „Smartmob in Berlin: 6 Schilder, 12 Sozialarbeiter*innen anwesend…“ (Unabhängiges Forum Soziale Arbeit, 18.03.2014). Dieses Ausbleiben von Protesten oder einer sozialen Bewegung ist dabei Gegenstand dieser Arbeit.