Zur Situation der Studierenden
Die Daten des folgenden Abschnitts sind das Ergebnis einer repräsentativen, zumindest in Berlin, wenn nicht in ganz Deutschland, einmaligen Initiative von Studierenden der sozialen Arbeit mit dem Namen: „Netzwerk prekäres Praktikum“. Erstmalig wurde hochschulübergreifend eine Erhebung vorgenommen, an der insgesamt 1814 Studierende der drei Berliner Hochschulen für Soziale Arbeit teilgenommen haben (Alice Salomon Hochschule, Evangelische Hochschule und Katholische Hochschule für Sozialwesen). Die Autorin des Fragebogens ist Svenja Ketelsen, welche im Rahmen ihrer Masterarbeit mit dem Titel: „Praktika in sozialen Berufen – eine empirische Studie über die sozioökonomische Lebenssituation von Studierenden“ die gesamte Erhebung auswertet und separat veröffentlichen wird. Durchgeführt wurde die Erhebung im Zeitraum von September bis Oktober 2013 und sie beinhaltete 127 Variablen, von denen die wichtigsten (für diese Arbeit) vorgestellt werden. Dabei sind primär die Belastungsfaktoren und der Organisationsgrad von Bedeutung.
Die folgenden ausgewählten Daten wurden zu diesem Zweck mit SPSS 22 ausgewertet. Alle Zahlen werden in absoluten Werten angegeben und für die bessere Lesbarkeit leicht gerundet (nur im Falle von Prozentangaben), wodurch sich bei den Summenbildungen und bei der Berechnung von Prozentangaben geringfügige Abweichungen der Werte ergeben.
Ausgewählte Ergebnisse der Befragung
Die soziodemografischen Daten zeigen folgende Verteilung: Insgesamt haben 1814 Studierende an der Befragung teilgenommen. Die genaue Aufteilung der Teilnehmer zwischen den drei Hochschulen verhält sich, wie in Abbildung 24 aufgeführt.
Alle Angaben im Fragebogen waren freiwillig und anonym. Bei dieser Frage haben sich 229 Personen gegen eine Angabe entschieden. Im Altersdurchschnitt ist der größte Teil der Studierenden zwischen 20 und 30 Jahren alt (76,7 %), siehe Abbildung 25.
Abbildung 24: Teilnehmeranzahl der Studierendenbefragung des Netzwerks Prekäres Praktikum (eigene Darstellung)
Abbildung 25: Altersdurchschnitt (eigene Darstellung)
Zu erkennen ist, dass 53,6 % zwischen 20 und 25 Jahren alt waren, sowie weitere 23,1 % zwischen 26 und 30 Jahren. Der Anteil über 30-Jähriger betrug 14,5 %. Hingegen der Anteil unter 20-Jähriger 3,1 % betrug. Die restlichen Personen mit einem Anteil 5,5 % haben dazu keine Angaben machen wollen. In der Geschlechterverteilung zeigt sich die zu erwartende Verteilung, s. Abbildung 26.
Abbildung 26: Geschlechterverteilung der Studierenden (eigene Darstellung)
Abbildung 27: Anteil der Studiengänge (eigene Darstellung)
Von den Befragten gaben an, 77 % weiblich zu sein, 21,5 % männlich und 0,7 % transgender bzw. intersexuell. Des Weiteren studierten die meisten Teilnehmer Soziale Arbeit mit einem Anteil von 70,3 %, siehe Abbildung 27.
Weitere Studiengänge in der Erhebung waren: Kindheits-, Heilund Religionspädagogik. Die Daten zur familiären Situation ergaben, dass von den Studierenden 13,7 % mind. ein Kind haben, s. Abbildung 28.
Abbildung 28: Studierende mit Kind (eigene Darstellung)
Abbildung 29: Anzahl der Kinder (eigene Darstellung)
83,7 % gaben an, kein Kind zu haben und 2,6 % trafen keine Äußerungen. Von den 13,7 % (n = 249) der Studierenden mit Kind haben 243 nähere Angaben zur Anzahl der Kinder gemacht (vgl. Abbildung 29).
In ca. 60 % der Fälle gaben diese an, ein Kind zu haben, und die restlichen Studierenden hatten zwei Kinder und mehr. Die meisten Kinder (75,6 %) waren dabei jünger als sieben Jahre (vgl. Abbildung 30).
Abbildung 30: Alter des ersten Kindes (eigene Darstellung)
Abbildung 31: Studierende, die in Pflege von Familienangehörigen eingebunden sind (eigene Darstellung)
24,4 % hatten bereits ältere Kinder. Darüber hinaus waren von allen Befragten 6,6 % in die Pflege von Familienangehörigen eingebunden (vgl. Abbildung 31).
Die restlichen 93,4 % haben entweder mit nein geantwortet oder keine Angabe machen wollen. Des Weiteren betrug der Anteil der Studierenden mit einem Ehrenamt 35,1 %, woran sich auch wieder die Entwicklungsursprünge erkennen lassen (vgl. Abbildung 32).
Abbildung 32: Studierende mit einem Ehrenamt (eigene Darstellung)
Abbildung 33: Einkommensquellen der Studierenden (eigene Darstellung)
Der Anteil von Studierenden ohne ein Ehrenamt beträgt 63 %. Demzufolge geht bereits jeder Dritte im Studium einem Ehrenamt nach. Hinsichtlich der Arten von Einkommensquellen ergibt die Erhebung das in Abbildung 33 aufgeführte Ergebnis.
Wie der Abbildung zu entnehmen ist, beträgt der Anteil von Studierenden, welche einer Erwerbstätigkeit nachgingen, 60,5 %, gefolgt von Bafög mit 44,4 %, Unterstützung der Eltern mit 41,9 % und Kindergeld mit 40,8 % sowie eigenen Ersparnissen (21,6 %), anderen Einkommensarten (15,4 %), Studienkrediten (4,1 %) und Stipendien (2,5 %). Bezüglich der anderen Einkommensarten war es möglich, eigene Angaben vorzunehmen, wodurch noch weitere Faktoren genannt wurden, wie das Einkommen des Ehepartners oder Unterhaltszahlungen. Auf die Frage nach der Haupteinkommensquelle wurden die in Abbildung 34 gezeigten Einnahmequellen angeben.
Abbildung 34: Haupteinkommensquellen der Studierenden (eigene Darstellung)
Die drei hauptsächlichen Einkommensquellen sind das Bafög mit 30,3 %, die eigene Erwerbstätigkeit mit 24,2 % und die Unterstützung der Eltern mit 19,7 %. Aufaddiert finanzieren sich somit 74,2 % der Studierenden aus diesen Einkommensquellen. Zu den restlichen Einkommensquellen (11,6 %) gehören, Ersparnisse, Studienkredite, das Kindergeld und Stipendien. Insgesamt haben 13,9 % ungültige Angaben vorgenommen oder wollten keine geben. Warum es trotz dieses hohen Anteils von erwerbstätigen Studierenden und der damit einhergehenden Nähe zum beruflichen Alltag nicht zu einer stärkeren Thematisierung dieser Problematik kommt bleibt fraglich.
In der Höhe des monatlichen Gesamteinkommens lagen 72,4 % unter dem gesetzlichen Existenzminimum von ca. 814 Euro, s. Abbildung 35. Berechnet wurde dies aus dem aktuellen Harz-IV-Regelsatz in Höhe von 391 Euro (Sozialleistungen.info, 2014) und dem durchschnittlichen Anspruch auf Mietzuschuss für jeweils eine Person, in Berlin lebend, in Höhe von 423 Euro (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, 2014). Der Abbildung nach sind es nur 24 % der Studierenden, welche laut Angaben mehr als 801
Abbildung 35: Durchschnitteinkommenshöhe der Studierenden (eigene Darstellung)
Euro zur Verfügung zu haben. Die restlichen 3,5 % waren entweder ungültige oder fehlende Angaben.
Angesichts der Situation auf dem späteren Arbeitsmarkt wurden die Studierenden gefragt, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Berufsverbandes sind. Dabei haben 80,7 % mit nein geantwortet, s. Abbildung 36. 15,5 % haben keine Angabe gemacht und lediglich 3,7% gaben an, Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein. Diese Quote deckt sich mit dem Ergebnis einer früheren Erhebung von 2012, bei der die Quote bei ähnlichen 3,6 % (Heinz, 2012) lag.
Abbildung 36: Berufspolitischer Organisationsgrad der Studierenden (eigene Darstellung)
Abbildung 37: Gewerkschaftsmitgliedschaft der Studierenden (eigene Darstellung)
Auf die offene Frage, bei welcher Gewerkschaft oder welchem Berufsverband die Studierenden sind, wurden die in Abbildung 37 dargestellten Angaben getroffen. Die drei meistgenannten Angaben waren Ver.di, GEW und der DBSH.
Zusammenfassend stellen sich die resultierenden sozioökonomischen Belastungsfaktoren folgendermaßen dar: 6,6 % sind in die Pflege von Familienangehörigen eingebunden, 13,7 % haben mindestens ein Kind, davon sind die meisten (75 %) im Kleinkindalter, 35 % gehen einem Ehrenamt nach und 60,5 % haben eine Erwerbstätigkeit, bei der es sich für 24,2 % um die Haupteinkommensquelle handelt. Trotz dieses gesellschaftlichen Engagements und hoher Leistungsbereitschaft haben 72,4 % der Studierenden in diesen Studienrichtungen weniger als das gesetzliche Existenzminimum zur Verfügung. Zusätzlich verschärft wird die Lebenssituation in der Zeit der Praktika, welche in Berlin ein Semester beträgt, da es in dieser besonderen Phase keine Praktikumsvergütung gibt, aber die Studierenden ihre Arbeitskraft in Vollzeit zur Verfügung stellen müssen. Wie aus den Daten zur Einkommenssituation hervorgeht, bestreitet jeder Vierte sein Haupteinkommen aus eigener Erwerbstätigkeit und jeder Zweite bekommt kein Bafög. Die Phase der Praktika ist somit für viele Studierende besonders erschwert.
Die Bedeutung der Praktika ist auch aus Sicht der Arbeitssozialisation von besonderer Bedeutung und zeigt weitreichende Konsequenzen. In dieser Phase finden prägende und nachhaltige Prozesse statt. Unter anderem kommt es zu einer Gewöhnung an die gegebenen Arbeitsbedingungen, und dies beeinflusst die Erwartungen an die zukünftigen Arbeitsplätze (Schatz, Jenkins, & Sheafor, 1990: 222). Das Praktikum vermittelt eine erste Vorstellung des professionellen Habitus, aufgrund der erlebten Praxis und des Umgangs der SozialarbeiterInnen damit. Das Praktikumssemester weist somit eine besondere Bedeutung in der Berufssozialisation resp. Sekundärsozialisation auf. Denn „jede Berufsausbildung ist also in gewissem Sinn sekundäre Sozialisation“ (Berger & Berger, 1976: 53) und stellt gleichzeitig hierbei eine der schwierigsten Herausforderung dar. Somit wird eine wichtige Voraussetzung zur Duldung und Akzeptanz von prekären Arbeitsbedingungen bereits im Studium geschaffen, da jeder zukünftige Arbeitsplatz eine ökonomische Verbesserung darstellen wird, egal wie unangemessen die Arbeitsbedingungen sein werden.