Kategorie 6: Die Bedeutung der Kehrwoche

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Das zentrale Thema im Datenmaterial stellt die Kehrwoche dar. Sie wird von den Patinnen durchgängig immer wiederkehrend thematisiert. Die Bedeutung des Themas erschließt sich auch durch die relativ hohe Anzahl der Codings und die Worthäufigkeit der Wortgruppe „Kehrwoche“.[2]

Die Kategorie Kehrwoche differenziert sich zunächst in die Subkategorie Äußerung zur Kehrwoche in einem negativen Kontext sowie Äußerungen in einem eher positiven Kontext.

Zunächst wird die Kehrwoche als Streitpunkt benannt. Sie ist immer – mehr oder weniger schwerwiegend – konfliktbehaftet:

„Ja, die Kehrwoche isch scho en Streitpunkt.“

„Da gibt's halt oft Streit, wie mer die Kehrwoch macht.“

„Isch doch immer a bissle en Konflikt.“

Ständig wiederkehrend geht es auch um Gerechtigkeit in Bezug auf die Kehrwoche. Es wird als ungerecht empfunden, wenn eine Person die Kehrwoche einhält, eine andere Person aber nicht. Als ungerecht gilt häufig auch, wenn jemandem die Kehrwoche zum Beispiel aus Krankheitsgründen (unentgeltlich) von einem anderen Hausbewohner entweder abgenommen wird oder wenn jemandem bei der Kehrwoche geholfen wird und die Person die Kehrwoche somit nicht selbst ausführt, wobei älteren Mitbewohnern der Vorwurf der Ungerechtigkeit nicht zukommt. Textbeispiel:

„Noi, er sagt i schaff 's it, i will ja, aber i schaff 's it. Der tut mir eigentlich leid, der Ma. Aber i find, mer kann's it anfange, ihm d Kehrwoch zu mache“

Die ordentliche Einhaltung der Kehrwoche gilt als Erfüllung einer Pflicht, die ein jeder, ungeachtet der Umstände, zu erbringen hat. Hält sich ein Bewohner nicht daran, so müsse er in die Pflicht genommen werden.

„Aber nicht die Arbeit abnehmen. Sie müssen bloß dastehen und sagen, was er machen soll und aufpassen, dass er nicht wieder weggeht. Aber machen muss er's scho selber.“

„Jo, i hon's ihm jo gsagt, i find's ungerecht, wenn die anderen dafür zahlen, die alten Frauen, und er isch jung und er macht's it. Um des geht's nämlich.“

„Denn sag i ammel, der wo nicht mache will, also der muss zahle und der wo zahlt, der braucht nix zu mache. Sonst isch des ungerecht. Des sag i au.“

Aufgrund der fest verankerten Leitnorm, dass die Kehrwoche ordentlich eingehalten werden muss, gibt es die Befürchtung (auch Aufregung, Ärgernis und Besorgnis), dass die Kehrwoche nicht „richtig“ (das bedeutet unter anderem nicht rechtzeitig) eingehalten wird. Die Befürchtung dreht sich um die Frage „Was, wenn was passiert?“ und damit um die Verantwortlichkeit.

„Do geht's au darum, dass der dann bis morgens um siebene de Schnee und im Herbst des nasse Laub wegkehre muss.“

„Jetzt, wenn er nicht kann, muss die Mutter überhaupt das klären, wers macht, wegen der Haftpflicht? Wenn da was passiert und er isch dran. Ja, des isch jetzt des Allerwichtigste. Denn sonst, wer soll denn dann dafür gradestehen? Ja eben, da kann ja niemand anders gradestehen. Und da kann man sich auch nicht sicher fühlen.“

Nach der Einlassung zum Nichteinhalten der Kehrwoche lassen sich die Patinnen mehr oder weniger intensiv auch auf das Thema „Kehrwoche als Indikator für gute Nachbarschaft“ ein.

Dabei wird die Kehrwoche als Indikator für „gute“ Bewohner und gute nachbarschaftliche Beziehungen gesehen. Ob und wie die Kehrwoche eingehalten wird, zeugt von guter (beziehungsweise beweist gute) Nachbarschaft sowie von persönlicher Integrität. Übersteigertes Lob und Anerkennung gebührt denjenigen, die sich mit dem Ausführen der Kehrwoche in die Gemeinschaft einbringen (wie es erwartet wird), somit Verantwortung übernehmen und sich solidarisch zeigen. Textbeispiele:

„Nee, des war wunderschön, da sind meine Nachbarn dann gekommen und haben mir die Kehrwoche gemacht. Des war des letzte schöne Ereignis. Also, einer hat den Boden gekehrt und der andere hat unten gemacht und des fand ich toll.“

„Also, bei eurem Hauseingang macht zum Beispiel jeder seine Kehrwoche, ohne dass man drüber schwätzen muss. Ja, jeder macht sie. Bei uns au. Also, da räumt da jeder seinen Schnee weg, ohne dass des überhaupt erwähnt werden muss.“

„Er hat auch gefragt: Was muss ich machen. Und dann hat sie ihm eine kurze Liste gegeben, was an der großen Kehrwoche isch, und der macht des. Und auch der 13-Jährige wird schon angehalten, der hilft dann au seim Vatter d'Stroß kehre. Es isch eine Freude.“

„Und der hat sich auch so integriert. Der macht freiwillig seine Kehrwoche. Er kehrt die Straße, er kehrt sogar seinen Schnee. Da war ich sowieso platt neulich, dass er morgens um siebene scho unte war und hat seinen Schnee weggemacht. Also, mir ham so Glück gehabt. Und ganz still, ganz wunderbar.“

Ebenso wird die Möglichkeit der Kontaktsuche und -gelegenheit bei der Kehrwoche anerkannt. Die Kehrwoche dient zur Kontaktsuche und -gelegenheit. Weniger durch Absprachen, sondern vor allem während der Ausführung der Kehrwoche ergeben sich Begegnungen mit anderen Hausbewohnern:

„Also ich mach Kehrwoch gern, des muss i au sage, ich mach se eigentlich gern, grad, wenn mer manchen dabei trifft, vor dem Haus oder im Treppehaus und so und schwätze kann.“

„Es isch vor allen Dingen ne Brücke, wenn mer sich im Hausflur begegnet oder wenn mer grad vorm Haus d'Stroß kehrt, dass mer e Schwätzle macht. Des isch a prima Sache.“

„Ja, muss ich sagen, wenn mein Mann seine Straße kehrt, da isch er stundelang drauße. Und er freut sich über jeden, wo mit ihm redet. Und do hot er Unterhaltung und des liebt er. Und wie wär des, wenn jetzt die Kehrwoche nicht da wäre? Ja, da dät ihm was fehle.“

Die Kehrwoche kann insoweit als Brücke dienen, als dass Bewohner auf andere Bewohner und somit auf deren potenzielle Probleme und Bedürfnisse aufmerksam werden, die sonst nicht erkannt werden würden. In den Daten gibt es einen Einzelfall, in dem eine Patin auf einen Mitbewohner, der unter Depressionen leidet, aufmerksam wird, da er die Kehrwoche nicht gemacht hat. Einzelbeispiel:

„Da gibt's ja einen Bewohner, der sie eben nicht macht. Wenn die Kehrwoche jetzt vergeben wäre, würde es ja gar nicht auffallen. Würden Sie denn diesen Mann dann bemerken? Aber andererseits, den bemerkt mer ja au sonscht itte, der macht ja Kehrwoch it, denn kommt er jo au it raus. Ja, aber Sie bemerken, dass er die nicht macht. Ist das nicht dann auch so, dass, wenn er sie jetzt nicht macht, Sie sich fragen, warum er sie nicht macht und eigentlich sind Sie doch da hin und haben geklopft oder geklingelt. Hätten Sie das gemacht, wenn die Kehrwoche vergeben wäre? Nein, des bestimmt itte.“

  • [1] Die Kehrwoche ist eine Verpflichtung der Mieter, im Wechsel die allgemeinen Räume (Treppenhaus, Keller) und die Gehwege um das Haus zu reinigen.
  • [2] Worthäufigkeiten Wortgruppe „Kehrwoche“ gesamt: 84.
 
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