Einleitung

Reicher Mann und armer Mann Standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich:

Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Soziale Ungleichheit und mögliche real existierende politische Strategien der Gleichstellung stehen im Zentrum dieser Arbeit. Damit wird ein Problemkomplex aufgegriffen, der historisch betrachtet einerseits eine Konstante darstellt, gleichzeitig aber auch in den letzten Jahrzehnten verstärkt zu Tage tritt. Im 20. Jahrhundert wurden innerhalb vieler Länder die Ungleichheiten reduziert, während sich die Ungleichheiten zwischen den Staaten vergrößerten. Seit den 1980er Jahren ist jedoch eine Trendumkehr zu beobachten: Vordergründig aufgrund des wirtschaftlichen Aufstiegs von semi-peripheren Staaten wie China, Indien oder Brasilien begannen die Ungleichheiten zwischen Staaten abzunehmen, während sie innerhalb der meisten Staaten begannen, zuzunehmen (Milanovic 2011; Palma 2011). Während der 1990er Jahre begann sich innerhalb der größten internationalen Institutionen ein neuer „Anti-Armuts Konsens“ durchzusetzen (Noël 2006). Damit wurde auf die negative Seite der Zunahme von Ungleichheiten fokussiert, aber nicht deren relationaler Charakter (Milanovic 2003), der in obigem Zitat von Brecht betont wird. Erst nach der Jahrtausendwende begann sich der Fokus zu ändern. Institutionen wie UNDP (2005), Weltbank (World Bank 2006) oder die OECD (2011) widmeten sich dem Thema, da steigende Ungleichheit zusehends als Gefahr für soziale Kohäsion und politische Stabilität betrachtet wurde.

Die vorliegende Arbeit folgt diesem neuen Fokus und widmet sich dem Thema soziale Ungleichheit und möglichen Strategien ihrer Bekämpfung. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen zwei Staaten, die einerseits zu den aufstrebenden Ländern der Semi-Peripherie zählen und andererseits über Regierungen verfügen, die sich der Reduktion sozialer Ungleichheiten explizit verschrieben haben: Brasilien und Südafrika.

Besonderes Augenmerk wird auf den relationalen Charakter der Ungleichheit gelegt: Die Aufmerksamkeit gilt daher nicht bloß der Armutsbekämpfung, sondern auch den Formen von Politik, die sich auf Reichtum und Herrschaftsverhältnisse beziehen. Einleitend werden methodologische Fragen bearbeitet, die vordergründig relevanten Theorien vorgestellt und die Fallauswahl wird begründet. Daran anschließend werden Theorien präsentiert, die das Themenfeld soziale Ungleichheit bearbeiten (Kapitel 2): Dabei wird die Bandbreite des Phänomens ebenso umrissen wie Literatur, die sich mit Möglichkeiten der Produktion sowie der Reduktion sozialer Ungleichheiten beschäftigt. Auf dieser Grundlage werden in Kapitel 3 die für die hier durchgeführte Analyse zentralen Theorien vorgestellt: Zurückgreifend auf strategisch-relationale Staatstheorie in der Nachfolge Gramscis und Poulantzas' sowie Regulationstheorie und Zugänge zum peripheren Staat wird ein strategisch-relationaler Institutionalismus entworfen. Die hier vorgestellten zentralen Analysekonzepte sind Konjunkturanalyse, Hegemonieprojekte, Ungleichheitsregime und Selektivitäten staatlicher Macht.

Die Kapitel vier bis fünf widmen sich der empirischen Betrachtung ungleichheits- und gleichheitsorientierter Politik in Brasilien und Südafrika. Brasilien gilt das Hauptaugenmerk, da es bislang weniger intensiv im Hinblick auf die hier relevante Fragestellung beforscht wurde. Brasilien wurde maßgeblich durch die weite Verbreitung der Sklaverei und ihre lange Dauer geprägt, die zur Etablierung informeller Herrschaftsverhältnisse führte. Soziale Exklusion betraf große Gruppen der Bevölkerung, politische und soziale Inklusion wurde während des 20. Jahrhunderts aber nur wenigen Gruppen zugestanden. Als während der 1950er und 1960er Jahre gleichheitsorientierte Politik radikalisiert wurde, beendeten ein Militärputsch und eine zwanzigjährige Militärdiktatur diese Bestrebungen. Seit der Demokratisierung Mitte der 1980er Jahre bis 2002 zur Wahl von Lula zum Präsidenten wurden sowohl gleichheitsals auch ungleichheitsorientierte Impulse gesetzt: Während der Einfluss sozialer Bewegungen auf die Verfassungserstellung zur Universalisierung von Sozialpolitik und dem Ausbau von Armutsbekämpfung führte, konterkarierten neoliberale wirtschaftspolitische Reformen den gleichheitsorientierten Kurs. Nach dem Amtsantritt Lulas kam es zu einer schrittweisen und langsamen Abkehr vom Neoliberalismus und zu einer beträchtlichen Reduktion der Einkommensungleichheiten.

Kapitel 5 behandelt die historische und aktuelle Entwicklung des südafrikanischen Ungleichheitsregimes. Im Gegensatz zu Brasilien etablierte sich eine weitaus formellere ungleichheitsgenerierende Politik, die anhand ethnischer und rassistischer Kriterien die afrikanische Bevölkerungsmehrheit diskriminierte. Zwischen 1948 und 1994 wurde diese Politik vom Apartheid-Regime radikalisiert. Dagegen formierte sich Widerstand, der vordergründig anti-rassistisch motiviert war, aber auch Klassen- und Geschlechterverhältnisse betraf. Nach der Demokratisierung 1994 etablierte sich mit dem African National Congress (ANC) die wichtigste Widerstandsbewegung zur zentralen politischen Kraft, die die rassistischen gesetzlichen Bestimmungen beseitigte, aber dennoch wenig Erfolge in der Reduktion von Einkommensungleichheit erzielen konnte. Der Fokus gleichheitsorientierter Politik liegt in Südafrika besonders bei Affirmative Action Maßnahmen, die auf eine Besserstellung von früher benachteiligten Gruppen abzielen.

In den Schlussfolgerungen werden die Ergebnisse des empirischen Vergleichs mit Hilfe der eingangs dargestellten Theorien reflektiert. Besonders herausgearbeitet wird der historische Einfluss der Ungleichheitsregimes sowie der dominanten politischen Projekte auf aktuelle Gleichheitsorientierung der sozialreformistischen Regierungen. Das wirkte sich auf die Formierung von Identitäten und Hegemonieprojekten aus, die nun unterschiedliche Bereiche gleichheitsorientierter Politik priorisieren.

 
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