Fragestellung und theoretische Verortung

Die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung wird nun schematisch dargestellt und im weiteren Verlauf des einleitenden Kapitels näher präzisiert. Das generelle Thema sind Möglichkeiten und Grenzen sozial-reformistischer Politik im Hinblick auf Bekämpfung sozialer Ungleichheit. Dazu werden zwei Länderbeispiele herausgegriffen: Brasilien und Südafrika. Somit ist die generelle Fragestellung:

Was sind die Möglichkeiten und Grenzen sozial-reformistischer Politik in Brasilien und Südafrika?

Diese Fragestellung wird mit Hilfe verschiedener untergeordneter Fragen bearbeitet, deren theoretische Einbettung im weiteren Verlauf dieses Kapitels dargestellt wird. Angelehnt an den historischen Institutionalismus wird nach der konkreten institutionellen Ausgestaltung von ungleichheitsrelevanter Politik in Brasilien und Südafrika und den Einflüssen der Kräfteverhältnisse gefragt. Dafür werden erst grundlegende „was“-Fragen gestellt, die dann zu weiterführenden

„warum“-Fragen führen:

Was kann im Hinblick auf die Entwicklung sozialer Ungleichheit vor und insbesondere nach den liberal-demokratischen Umbrüchen in Brasilien und Südafrika festgestellt werden? Wie entwickelten sich die Sozialstrukturen und was trug maßgeblich dazu bei?

Welche sozialen Akteure nahmen dabei wichtige Rollen ein? Welche Interessen verfolgten sie und wie bezogen sie den jeweiligen Staat in ihre entsprechenden Strategien ein? Wie wirkte sich das Engagement dieser Akteure auf die institutionellen Arrangements im Hinblick auf soziale Ungleichheit aus?

Warum kam es zur Ausprägung strategischer Prioritäten und warum unterschieden sie sich trotz ähnlicher Ausgangspunkte?

Diese Fragen dienen zur Bestimmung des Status Quo sozial-reformistischer Politik in den beiden Ländern. Gleichzeitig öffnen sie das Feld dahin gehend,

„wie“-Fragen nach möglichen Alternativen anzudiskutieren. Die damit zusammenhängende Thematisierung nicht erfolgter Politik ist wichtig, um der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen sozial-reformistischer Politik nachgehen zu können. Inhaltlich steht die Frage um den gesellschaftlichen Umgang mit sozialer Ungleichheit im Mittelpunkt.

Um mit dem breiten Feld der für die Fragestellung relevanten disziplinären Zugänge umgehen zu können, werden akademische Disziplinen miteinander kombiniert. Die vorliegende Arbeit verortet sich im politikwissenschaftlichen Kontext, da politische Einflüsse auf soziale Ungleichheit im Zentrum der Arbeit stehen. Die facettenreiche Natur des Themas führt dazu, dass die Integration theoretischer und empirischer Beiträge aus anderen Disziplinen hilfreich ist. Als

„disziplinäre Nachbarn“ dienen andere Sozialwissenschaften, insbesondere die Soziologie, politische Ökonomie, politische bzw. soziale Geografie sowie die Kulturwissenschaft. Soziologische Ungleichheitstheorien thematisieren einerseits kollektive Akteure bzw. Kategorien sozialer Ungleichheit: Neben Klasse und Einkommen gelten auch Ethnizität und Rassismus sowie Geschlecht bzw. Gender als wichtige „Achsen sozialer Ungleichheit“ (Klinger et al. 2007). Andererseits unterscheidet die Ungleichheitssoziologie auf einer generellen Ebene verschiedene Formen von Produktion, Reproduktion und Bekämpfung von Ungleichheiten. Polit-ökonomische Theorien werden dazu genutzt, die Mechanismen der Generierung bzw. Bekämpfung sozialer Ungleichheit im Kontext kapitalistischer Vergesellschaftung zu begreifen: Die Regulationstheorie unterstützt die zeitliche Verortung der untersuchten Prozesse und stellt Analysekategorien zur Verfügung, um Ungleichheitsregimes zu beschreiben. Dependenz- und Weltsystemtheorien öffnen den Blick auf die internationale Staatenhierarchie und ihre Auswirkungen auf nationalstaatliche Politik und behandeln also die Frage des Raumes im Hinblick auf internationale Prozesse. Der historische Institutionalismus dient dann gewissermaßen als „Klammer“, um strukturelle Auswirkungen von Prozessen zu erfassen, die auf Basis der eben dargestellten Theorien thematisiert wurden. Ungleichheitsrelevante Politik selbst wird dann vordergründig mit Hilfe von Jessops „strategisch-relationalem“ Zugang (Jessop 2007a) analysiert, der es ermöglicht, Strukturen mit ungleichheitsrelevantem Handeln verschiedener gesellschaftlicher Akteure in Verbindung zu bringen. Dazu werden auch Diskurse und ihre Auswirkungen auf Kultur und Entwicklung berücksichtigt. Die letztendlich verwendeten Theorien tendieren damit in Richtung eines Zuganges „kultureller politischer Ökonomie“ (Sum und Jessop 2013).

 
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