Die Rolle des Verfassungsschutzes
Der gesetzliche Auftrag der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern ist klar: die frühzeitige Erkennung von Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Doch bei der Aufdeckung der rechtsextremen Taten des NSU hat der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem unserer Gesellschaft umfassend versagt. Trotz eindeutiger Hinweise und zahlreicher Ansatzpunkte bestritten die Verfassungsschutzbehörden das bestehende Ausmaß rechtsterroristischer Bestrebungen über Jahre hinweg. Strukturen und Gefährdungen wurden nicht gesehen und nicht beachtet. Dem Verfassungsschutz lagen zahlreiche Informationen zu den untergetauchten "Bombenbastlern aus Jena", wie das Terrortrio genannt wurde, vor. Zu einer konsequenten Auswertung dieser Information kam es jedoch nicht. Darüber hinaus machte das Bundesamt für den Verfassungsschutz nach Aufdecken des NSU mit unerklärlichen Aktenvernichtungen im eigenen Haus von sich reden. Das Schreddern von wichtigen Unterlagen, die in Verbindung mit dem Terrortrio standen, erschütterte erneut das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den verfassungsschützenden Nachrichtendienst. Die Verfassung kann er jedoch nur erfolgreich schützen, wenn die Behörde das Vertrauen und die Akzeptanz in der Bevölkerung genießt.
Es ist von zentraler Bedeutung, dass der Verfassungsschutz einen Mentalitätswechsel erfährt: weg vom "Schlapphut-Image", hin zum offenen und effektiven Dienstleister an den Bürgerinnen und Bürgern mit neuem, verändertem Selbstverständnis. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesund Landesbehörden brauchen als geschulte Demokratinnen und Demokraten ein Gespür für die Gefahren, die der Demokratie und ihren Menschen drohen. Nur auf diese Weise ist es möglich, die Verfassung schlagkräftig zu verteidigen und gesellschaftliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen.
Dafür ist es notwendig, die Analysefähigkeit insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus zu verbessern und die Organisationsstrukturen in den Behörden zu reformieren. Eine Verbesserung der Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Personalauswahl im Hinblick auf interdisziplinäre Ausbildung stehen hier an erster Stelle. Es ist wichtig, dass wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Sachverstand bei der Ausbildung und Weiterbildung von Verfassungsschützerinnen und Verfassungsschützer einbezogen wird. Notwendig sind auch ein ständiger Dialog gegenüber der Gesellschaft und eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit.
Das Ziel der SPD ist es, den Verfassungsschutz neu im Bund und in den Ländern neu auszurichten und zukunftsfähig zu machen. Die Zusammenarbeit zwischen den Landesämtern und mit dem Bundesamt hat nicht erfolgreich funktioniert. Die föderale Aufgabenteilung ist richtig, erfordert allerdings eine gesetzliche Pflicht zum Informationsaustausch.
Großen Verbesserungsbedarf gibt es bei der Kontrolle und rechtsstaatlichen Regelung beim Einsatz von sogenannten "Vertrauens-Leuten". V-Leute beschaffen gegen finanzielle Entschädigung als Mitglied ihrer Szene verdeckt dem Nachrichtendienst nicht offen zugängliche Informationen. Während regelmäßig der Ruf nach Abschaffung von V-Personen laut wird, sind aus Sicht der SPD V-Leute der Nachrichtendienste notwendig, um gezielt an Informationen aus der rechtsextremen Szene zu kommen. Statt auf die V-Leute und somit auch auf internen Informationen gänzlich zu verzichten, müssen wir ihren Einsatz bundesweit einheitlich regeln und besser kontrollieren. Nur mit transparenten gesetzlichen Rahmenbedingungen wie klaren Anwerbeund Eignungsregeln wird es möglich sein, den Einsatz von V-Personen aus der rechtlichen Grauzone herauszuholen.
Eine Genehmigungspflicht für den Einsatz von V-Personen ist unabdingbar. Angesichts der hohen Missbrauchsgefahren bedarf es bei derartigen Einsätzen einer unabhängigen Prüfung durch die G10-Kommission und damit außerhalb der jeweiligen Behörde und der Exekutive.
Der NSU-Untersuchungsausschuss hat darüber hinaus eine deutlich verbesserte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste angemahnt. Mit einem gestärkten und neuausgerichteten Parlamentarischen Kontrollgremium wird der Deutsche Bundestag künftig seine Kontrollfunktion gegenüber den Nachrichtendiensten effektiver wahrnehmen können.