Aufbau der Arbeit
In dieser Arbeit wird nicht die globale Ebene internationaler Organisationen, sondern die nationalstaatliche Ebene im Zentrum der Betrachtung stehen. In diesem Zusammenhang sollen Probleme im Zusammenhang mit dem „methodologischen Nationalismus“ dadurch vermieden werden, dass einerseits internationale Einflüsse berücksichtigt werden und andererseits die Aufmerksamkeit semiperipheren Staaten geschenkt wird, die über ein gewisses Maß an Autonomie bezüglich ihrer Entscheidungen verfügen und nicht hochgradig außenabhängig sind. Dabei werden Brasilien und Südafrika als Länder der Semi-Peripherie für Fallstudien ausgewählt, da sie unter den sozial ungleichsten entsprechenden Staaten sind und gleichzeitig über reformistische Regierungen verfügen.
In Bezug auf die Kräfteverhältnisse kann die These aufgestellt werden, dass in beiden Fällen soziale Bewegungen maßgeblich zur Transition zu liberalen Demokratien beitrugen, die sich am Idealtypus der „radikalen Sozialdemokratie“ orientierten. Gleichzeitig führte der unterschiedliche geschichtliche Hintergrund zu andersgearteten institutionellen Voraussetzungen und Ausrichtungen der sozialen Bewegungen. Diese Kontraste ermöglichen die besondere Betrachtung der Bedeutung der Kräfteverhältnisse im Hinblick auf die institutionelle Ausprägung der reformistischen Politik.
Der Literaturüberblick liefert Hinweise für näher zu betrachtende Politikfelder. Affirmative Action kristallisiert sich als interessant heraus, da es hier deutliche Unterschiede zwischen Brasilien und Südafrika gibt. Den größten Raum in der Literatur nimmt jedoch die Debatte um Umverteilung ein, um die sich die Diskussion um die Diagnose der Regierungen als sozialdemokratisch oder neoliberal rankt. Da eine qualitative Analyse angestrebt wird, scheint es sinnvoll, einzelne Felder aus dem großen Bereich der Politik der Umverteilung herauszugreifen. Dafür bietet sich – wie dargelegt – besonders das Feld der Einkommenstransfers an, das sich in den letzten Jahren dynamisch entwickelte und dabei gleichzeitig auch von handelnden Akteuren als wichtiges Feld anerkannt wird.
Die in der Debatte um Sozialdemokratie oder Neoliberalismus verwendeten gramscianisch inspirierten Metaphern (z.B. „passive Revolution“ oder „umgedrehte Hegemonie“) können auch diese Arbeit befruchten und sollen dafür durch ähnlich anwendbare Heuristiken ergänzt werden. Dem manchmal etwas moralischen Unterton der Kritik an den beiden Regierungen am „Verrat“ der sozialen Bewegungen u.ä. soll mit Hilfe von strukturalistischen Konzepten begegnet werden, die dazu beitragen sollen, den Freiheitsgrad der handelnden Akteure zu relativieren. Aufgrund der fehlenden analytischen Schärfe und Ambivalenz der Konzepte „Neoliberalismus“ und „Sozialdemokratie“[1] wird von einer Zuordnung zur Politik Brasiliens und Südafrikas abgesehen. Stattdessen diese Debatte in die Fragestellung nach Möglichkeiten und Grenze gleichheitsorientierter Politik integriert.
Im folgenden Kapitel werden Theorien sozialer Ungleichheit behandelt, mit Hilfe derer das zu betrachtende Feld erschlossen werden soll. Um die Komplexität des Phänomens einfangen zu können, werden drei Teilbereiche herausgegriffen: Kategorien sozialer Ungleichheit, um Akteure benennen zu können und erste Anschlüsse für die danach folgende Darstellung von generativen Mechanismen sozialer Ungleichheit zu finden. Schließlich wird im Rahmen der Aufarbeitung von verschiedenen Gegenstrategien versucht, den Bogen für Möglichkeiten reformistischer Politik zu spannen. Das darauf folgende Kapitel widmet sich auf Basis einer kritischen Würdigung der zuvor dargestellten Theorien der kritischen Staatstheorie. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Auswirkungen der sozialen Kräfteverhältnisse und die Besonderheiten (semi-)peripherer Gesellschaftsformationen. Auf dieser Grundlage wird die konkrete Methodik für die danach folgende empirische Untersuchung erarbeitet. Kapitel 4 widmet sich der Genese des brasilianischen Ungleichheitsregimes und ihrer Auswirkungen auf aktuelle Ansätze gleichheitsorientierter Politik. Kapitel 5 setzt sich in ähnlicher Art und Weise, aber etwas weniger umfangreich, mit der südafrikanischen Entwicklung auseinander. Im abschließenden Kapitel 6 werden anhand der empirischen Ausarbeitungen Rückschlüsse auf die zuvor bearbeiteten Theorien gezogen und abschließende Reflexionen präsentiert.
- [1] Die Konzepte werden oft als zugespitzte Kampfbegriffe verwendet, um die jeweiligen Regierungen zu attackieren oder zu verteidigen. Auch außerhalb der Diskussion um den Charakter der brasilianischen und südafrikanischen Regierungen ist die Bandbreite der Definitionen der Konzepte „Neoliberalismus“ und Sozialdemokratie“ atemberaubend. Auch wenn die Typologie EspingAndersens eine Annäherung erlaubt, erscheint es nicht als ausreichend, um die polemisch diskutierte Frage „neoliberal vs. sozialdemokratisch“ zu beantworten.