Affirmative Action Politik: vom Employment Equity Act zu BroadBased Black Economic Empowerment
Weitaus stärkere Auswirkungen zeigt der gleichheitsorientierte Diskurs jedoch auf die regulierende Politik, die seit dem Ende von Apartheid entscheidend aufbzw. umgebaut wurde. Wie schon unter Apartheid – jedoch unter radikal anderen Vorzeichen – war Affirmative Action im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ziel war, den Auswirkungen der rassistischen Gesetzgebung entgegenzuwirken und benachteiligte Gruppen zu fördern, die denen neben „Schwarzen“[1] auch Frauen und Menschen mit Behinderung umfassten (Alexander 2007, S. 94) – ein Indiz für die relative Stärke der entsprechenden sozialen Bewegungen.
Anfangs standen die Bedingungen der „Sunset Clause“ einer radikalen Affirmative Action Gesetzgebung im Weg, die dennoch ab 1993 in zaghaften Anfängen bemerkbar war – das erste afrikanische Investitionskonsortium „New Africa Investments Limited“ kaufte Anteile eines börsennotierten Unternehmens von der burisch dominierten Sanlam Finanzgruppe (Jack 2007, S. 105). Ab 1994 wurde danach getrachtet, „weiße“ BeamtInnen durch „schwarze“ (im umfassenden Sinn) zu ersetzen – u.a. durch vereinfachten Rentenantritt (näher zu den Reformen, vgl.: Picard 2005, S. 110ff.). Damit wurde im öffentlichen Sektor eine Dynamik in Gang gesetzt, die 1998 mittels des „Employment Equity Act“ beschleunigt wurde, der die Bevorzugung der vormals benachteiligten Gruppen am Arbeitsmarkt regeln sollte. Die „Rassenzugehörigkeit“ der BeamtInnen änderte sich in der Folge auch sehr rasch: Während 1994 noch 85% der leitenden BeamtInnen „weiß“ waren, war schon 1999 mehr als die Hälfte (54,5%) „schwarz“ und stieg bis 2007 auf 68% an (52% AfrikanerInnen, 8% „Coloureds“ und 8% InderInnen) (Ndletyana 2008, S. 78f.). Dieser Erfolg im Hinblick auf Repräsentanz kann jedoch nicht über damit in Zusammenhang stehende Probleme hinwegtäuschen: Einerseits kam es vielfach nicht zu einer friktionsfreien Übergabe seitens der scheidenden „weißen“ BeamtInnen und andererseits führten die Nachwirkungen der „Bantu Education“ zu Problemen im Hinblick auf das Ausbildungsniveau der neuen BeamtInnen (Ndletyana 2008). Letztere Probleme verschärften sich durch das Voranschreiten und die Radikalisierung der Reformen.
Ende der 1990er Jahre artikulierte die aufsteigende „schwarze“ Mittelschicht (vgl. Iheduru 2004) über das Black Management Forum Kritik an der mangelnden „schwarzen“ Präsenz in den Führungsetagen der Privatwirtschaft und den Eigentumsstrukturen. In Reaktion darauf setzte der ANC 1997 die Black Economic Empowerment Commission (unter dem Vorsitz des ehemaligen Sectretary General of the ANC Cyrill Ramaphosa) ein, die 2001 ihren Endbericht präsentierte. 2003 wurde auf Grundlage des Reports ein Strategiedokument der Regierung zu Black Economic Empowerment (BEE) veröffentlicht und Ende 2004 schließlich die „draft codes on good practice on broad-based BEE“[2] seitens des Handelsministeriums erlassen (Jack und Harris 2007, S. 7ff.). Dabei handelt es sich um ein ambitioniertes Affirmative Action Programm, das mittels „Balanced Scorecards“ die Präsenz vormals benachteiligter Bevölkerungsgruppen auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen von Unternehmen erheben lässt und dafür Punkte vergibt. Die Punktezahl ist dann in weiterer Folge ausschlaggebend für staatliche Auftragsvergabe (näher dazu: Jack und Harris 2007).
Im Gegensatz zum öffentlichen Sektor wirkte sich BEE weniger deutlich auf Diversität innerhalb von Unternehmen aus – insbesondere in Bezug auf deren Eigentumsstruktur. Viele der Geschäfte funktionierten auf Kreditbasis, sodass die neuen „schwarzen“ EigentümerInnen sich verschulden mussten, da sie nicht über genügend finanzielle Ressourcen für den Erwerb der Unternehmen verfügten (Southall 2006). [3] In Bezug auf Management-Positionen waren die Erfolge größer – eine neue gesellschaftliche Schicht begann sich zu entwickeln: die sogenannte BEE-Elite (Freund 2007). Dabei handelt es sich vordergründig um Personen mit engen Verbindungen zur Regierungsallianz (meist frühere führende ANC-, Cosatuoder SACP-Kader), die ihren politischen Einfluss und ihre Nähe zu den staatlichen Entscheidungsträgern nutzen können. Daher kommt zusehends Kritik auf, dass Südafrika zu einem „crony capitalism“ mutiere und Korruption überhandnehme (z.B. Louw 2004, S. 200ff.; Picard 2005, S. 245ff.) bzw., dass Politik sich zusehends um die Kontrolle politischer Patronage-Netzwerke drehe – auch nach dem Machtübergang von Mbeki zu Zuma (Marais 2011, S. 375ff.). [4]
Moeletsi Mbeki (2009, S. 66ff.) kritisiert in diesem Zusammenhang die Kooptierung von ehemaligen FreiheitskämpferInnen durch die mächtigsten Kapitalgruppen des Landes:
“The object of BEE was to co-opt leaders of the black resistance movement by literally buying them off with what looked like a transfer to them of massive assets at no cost. To the oligarchs, of course, these assets were small change.” (Mbeki 2009, S. 67)
Außerdem entstand durch das ambitionierte BEE-Programm noch ein Problem im Hinblick auf den Staat: Die Erfolge der strikten Vorgaben an Unternehmen hatten den paradoxen Nebeneffekt, zu einem „Skill Drain“ im öffentlichen Sektor zu führen: Da die zu besetzenden Management-Posten meist besser bezahlt sind als vergleichbare Tätigkeiten im öffentlichen Sektor, werden gut ausgebildete „Schwarze“ oftmals von Unternehmen abgeworben. Im Gegenzug fehlen sie dann im Staat, was die zuvor geschilderten Kapazitätsprobleme verschlimmert (Holdt 2010; Picard 2005; Southall 2007).
Trotz dieser Probleme sieht die Mehrheit der KommentatorInnen Affirmative Action als „politische Notwendigkeit“ (Southall 2007, S. 67; Übers. BL) an. Bezüglich des Zuschnitts wird aber oft die dürftige Berücksichtigung der Artikulation von klassenbasierter und rassistischer Diskriminierung und Unterdrückung bemängelt (vgl. z.B.: Alexander 2002; Hart 2007; Murray 2000). [5]Außerdem kritisieren manche (z.B. Alexander 2007; Louw 2004, S. 182ff.) das Festhalten an den alten Rassenkategorien der Apartheid. [6]Die stärkste Kritik am Zugang, der mittels BEE verfolgt wird, betrifft die Konzentration auf den sozialen Aufstieg einzelner früher Benachteiligter bei fehlender Breitenwirkung. [7]
- [1] In der Tradition der Befreiungsbewegung wurden alle früher benachteiligten Gruppen als „schwarz“ bezeichnet (Alexander 2007, S. 94).
- [2] Die Beifügung von „broad-based“ erscheint als interessant. Devan Pillay berichtete in einem Gespräch 2009, dass Mitglieder von SACP und Cosatu bald nach dem Aufkommen von BEE kritisch von „Black Economic Enrichment“ sprachen. Die Betonung, dass es sich um ein breites Programm handle, scheint eine Reaktion auf diese Kritik zu sein.
- [3] Neva Makgetla verwendet in einem persönlich durchgeführten Interview (2009) daher den Terminus „Lumpenbourgeoisie“ für diese Gruppe von Personen.
- [4] Diese Geschehnisse werden immer wieder mit Rückgriff auf Fanons Reflexionen der Rolle der nationalen Bourgeoisie nach der algerischen Revolution erklärt (Bond 2009; Gibson 2006a Helliker und Vale 2009), die sich „ohne Komplexe und voller Würde in der Rolle eines Geschäftsvertreters der westlichen Bourgeoisie“ (Fanon 2008b, S. 39) gefalle. Als paradigmatisch für dieses Bild kann insbesondere der Wahlkampfleiter Zumas und (bis zu seinem Parteiausschluss 2011) Vorsitzende der ANC Youth League, Julius Malema gesehen werden (vgl. Preez und Rossouw 2009).
- [5] Powell (2001) argumentiert in dieser Hinsicht, dass Affirmative Action dieser komplexen Artikulation nicht gerecht werden könne und stattdessen „Tranformative Action“ vonnöten wäre, die sich stärker gegen strukturelle Faktoren wie die Privilegien der „Weißen“ richten und auch die Problematik räumlicher Segregation und segregierter öffentlicher Einrichtungen bearbeiten müsste.
- [6] Alexander (2010) schlägt vor, nicht „Rasse“, sondern Ethnizität zur Grundlage für Affirmative Action zu machen. Als Grundlage dafür könnten die unterschiedlichen afrikanischen Sprachen dienen, deren Verwendung dadurch gefördert würde.
- [7] Diese Kritik wurde auch von Präsident Zuma formuliert (vgl. Economist 2010).