Selektivitäten sozial-reformistischer Politik
„Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht“ as Konzept der „Selektivitäten“ sollte sich generell sehr gut für die Analyse von Möglichkeiten und Grenzen sozial-reformistischer Politik eignen, da es die ein- und ausschließende Wirkung des Staates auf die unterschiedlichen Akteure thematisiert. Es ist ein sehr weit gefasstes und komplexes Konzept, das es erfordert, eine Vorstellung der Möglichkeiten zu gewinnen, die durch die Selektivitäten negiert werden. Die hier vorliegende Untersuchung kann in dieser Hinsicht von den theoretischen Ausarbeitungen und vom Vergleich der Politik in den beiden Ländern profitieren. Hier wurde der „entwicklungsstaatliche“ Fokus auf Umverteilung in Brasilien dem südafrikanischen Fokus auf Affirmative Action Politik gegenübergestellt. Ein weiterer Ausschluss konnte im Hinblick auf die Programmatik des Sozialismus aufgezeigt werden, der in beiden Fällen diskursiv bedeutsam, aber weniger stark institutionalisiert ist. Besonders deutlich wurde das anhand der Reaktionen von InvestorInnen als der Regierungswechsel sich abzeichnete: Kapitalflucht bestimmte Diskurse und wirkte sich auch ökonomisch negativ aus. Neoliberale Kontinuitäten und Reformen wurden sowohl von der brasilianischen als auch von der südafrikanischen Regierung als Reaktion auf diese Tendenzen präsentiert. Vordergründig müssten erst „die Märkte beruhigt“ werden, damit auf dieser Grundlage Reformen erfolgen könnten.
Tabelle 59: Selektivitäten staatlicher Macht, Brasilien
Selektivitäten |
Klasse |
“Rasse”/Ethnizität |
Geschlecht/Gender |
Strukturell |
Historisches Erbe der Sklaverei: Informeller Sektor und Marginalisierung durch den Staat |
Starke Trennung zwischen Öffentlich und Privat produziert Geschlechterrollen, die politisch reproduziert werden (z.B. durch Bolsa Família) |
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Staatsprojekte stets mit Einbindung zentraler Kapitalfraktionen |
Rassismus eng verknüpft mit sozialer Stellung in der Gesellschaft („soziale Apartheid“) |
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Informalität als prägendes gesellschaftliches Merkmal |
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Diskursiv |
Relativ starker meritokratischer Diskurs; „Diskurs nicht existierender Gewalt“ proklamiert glückliches Zusammenleben |
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Armutsbekämpfung statt Klassenkampf; Passive Einbindung der Marginalisierten |
Mythos „Rassendemokratie“ oft staatlich reproduziert (z.B. wenig Affirmative Action) |
Feministische Diskurse kaum präsent, daher wenig feministische Politik |
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Technisch |
Umverteilung über Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, nicht über Eingriffe in Eigentumsrechte |
Affirmative Action Programme meist auf Einkommen und nicht auf „Rasse“ bezogen |
Affirmative Action Programme meist auf Einkommen und nicht auf Geschlecht bezogen |
Akteursspezifisch |
Breite Bündnispolitik; Einbindung der wirtschaftlich dominanten Sektoren in den Block an der Macht |
„Rasse“/ Ethnizität kaum relevant für politische Repräsentation; Afro-BrasilianerInnen im Staat unterrepräsentiert |
Geschlecht/ Gender kaum relevant für politische Repräsentation; dennoch zunehmender Frauenanteil unter BeamtInnen |
Gewalt/ Repression |
„Kriminalisierung“ von Armut und Rassismus: Gewalt in der Gesellschaft wird als ausgehend von armen Afro-Brasilianern verstanden, die dadurch kriminalisiert werden. Arme leiden tendenziell mehr unter Gewalt und Kriminalität als Reiche |
Wenig Intervention in den „Privatraum Familie“: häusliche Gewalt als Folge |
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Historisch: Repressive Regierungen, um staatliche Umverteilung zu verhindern |
In Kapitel 3 wurde ein Raster entwickelt, der Selektivitäten auf Klasse, „Rasse“/Ethnizität sowie Geschlecht/Gender bezieht, der Strukturprinzipien in Bezug auf diese Kategorien sichtbar machen kann. Die Kategorisierung kann zwar einer Analyse der Überkreuzung der Kategorien entgegenstehen, insbesondere für die Klassenselektivität der Geschlechterverhältnisse (vgl. Nowak 2009) bzw. die Geschlechterselektivität der Klassenverhältnisse. Dennoch wird hier versucht, Prinzipien, die sich auf mehr als eine Kategorie auswirken, auf mehrere Kategorien zu beziehen. Dabei wird die These der theoretischen Ausarbeitungen bestätigt, dass rassistische und klassenbasierte Ungleichheiten ähnlichere Muster aufweisen als geschlechtsbezogene, die gewissermaßen „quer“ dazu verlaufen.
Tabelle 59 stellt die Selektivitäten für Brasilien dar. Die Auswirkungen der Sklaverei führten zu enger Verknüpfung klassenbasierter und rassistisch vermittelter Ungleichheiten. Daher wird für Brasilien manchmal „soziale Apartheid“ diagnostiziert: Exklusion ist diesen Ausführungen zu Folge nicht maßgeblich von Hautfarbe, sondern vom Einkommen geprägt. Dennoch ist der „Diskurs nicht existierender Gewalt“ wirkungsmächtig, der das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft proklamiert (Buarque de Holanda 1995). Die Stärke des meritokratischen Diskurses scheint ein Hindernis für weitergehende Politik der Affirmative Action zu sein, die sowohl im Hinblick auf „Rasse“ als auch auf Geschlecht kaum ausgeprägt ist. Schwerpunkt ist Armutsbekämpfung mittels einkommensabhängiger sozial- und arbeitsmarktpolitischer Programme. Die entsprechenden Maßnahmen bleiben allerdings „in den Grenzen des Systems“ und stellen nicht Eigentumsrechte o.ä. in Frage. Diese Ausrichtung ist eine historische Kontinuität, da Integration schon seit Anfang der 1940er Jahre über Arbeits- und Sozialrechte lief, und entspricht, Singer (2012) zu Folge, insbesondere den Erwartungen der Marginalisierten. Sie wurden historisch meist nicht oder nur ansatzweise politisch vertreten, aber von manchen politischen Gruppierungen über den Staat materiell besser gestellt. Das kann als ambivalente Form der
„Passivierung“ verstanden werden, die gleichzeitig immer wieder mit einer Radikalisierung der Politik der Umverteilung einherging. Das gab z.B. 1964 Anlass zum Staatsstreich der Militärs, die die „Ordnung der konservativen Modernisierung“ wieder herstellten. Gewalt ist auch heute ein wichtiges Thema, das arme Afro-BrasilianerInnen besonders betrifft: Sie sind einerseits etwas stärker als Reiche davon betroffen und werden andererseits oft als potenzielle Kriminelle stereotypisiert. Die starke Trennung zwischen „öffentlich“ und „privat“ wirkt sich auch auf häusliche Gewalt aus, die besonders Frauen betrifft. Auch Sozialprogramme unterliegen dem Bias der Zuschreibung von Geschlechterrollen: Als gesetzliche „Haushaltsvorständinnen“ sind Frauen primäre Empfängerinnen von Leistungen. Das stärkt zwar ihre finanzielle Unabhängigkeit und damit die Macht im Haushalt, verfestigt aber die Gender-Zuschreibung des „Privaten“.
Tabelle 60: Selektivitäten staatlicher Macht, Südafrika
Selektivitäten |
Klasse |
“Rasse”/ Ethnizität |
Geschlecht/Gender |
Strukturell |
Hoher Grad von Formalisierung von Herrschaft und (un-)gleichheits-orientierter Politik |
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Mit Entwicklung des Kapitalismus enge Verbindung zwischen Staat und Minerals-Energy Complex (MEC); Arbeitskräftebedarf in verschiedenen Perioden Möglichkeit von Kapi- talflucht |
Funktionalität bzw. Dysfunktionalität des Rassismus |
Unbezahlte Frauenarbeit ermöglicht Migrant Labour System |
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Diskursiv |
Gegenüber „Rasse“ untergeordnete Achse gesellschaftlicher Repräsentation und Identität (dennoch wichtige Achse, die Verknüpfungen mit „Rasse“ aufweist) |
Zentrale Achse gesellschaftlicher Repräsentation und Identität |
Starke Frauenbewegung innerhalb der Befreiungsbewegung; Relativ starke feministische Diskurse; Widerspruch mit do- minanter Interpretation traditioneller afrikanischer Kultur |
Technisch |
Fokus auf Workfare und Armutsbekämpfung; kaum Verbindung zu Affirmative Action |
Affirmative Action als dominante Form gleichheitsorientierter Politik |
Affirmative Action erreicht Frauen der Mittel- und Oberschichten; Ausschluss armer Frauen |
Akteursspezifisch |
Klassen-fokussierte Akteure Cosatu und SACP in untergeordneter Rolle in der Regierung; Fortsetzung des Bündnisses mit MEC |
Vordergründige Orientierung des ANC an „Rasse“ |
Repräsentanz von Frauen im Staat relativ hoch |
Gewalt/ Repression |
Gewalt als Teil der Strategie des ApartheidRegimes, radikale Forderungen der Befreiungsbewegung zu verhindern – Diskurs „sozialen Friedens“ als Antwort |
Hohes Ausmaß an Gewalt betrifft Frauen stärker als Männer |
Insgesamt zeigte sich in Brasilien das historische Erbe besonders in der starken Ausprägung von Informalität, die sich einerseits weiterhin in Form des informellen Sektors und informeller privater Herrschaftsverhältnisse ausdrückt, aber gleichzeitig zur Gegentendenz der Formalisierung der gleichheitsorientierten Politik führte. Das ist besonders im Vergleich zu Südafrika auffällig, das von einem viel stärker formalisierten Ungleichheitsregime geprägt wurde (Tab. 60).
Die in Tabelle 60 dargestellten Selektivitäten Südafrikas weisen darauf hin, dass Sozial- und antirassistische Politik stärker voneinander getrennt betrieben werden. Das beugt einerseits der „Rassismusblindheit“ vor, die immer wieder für Brasilien diagnostiziert wird (vgl. z.B. Marx 2006; Webster 1998). Andererseits wird dadurch der Klassencharakter des südafrikanischen Rassismus nicht ausreichend berücksichtigt (Alexander 2010). Auf Gleichheit bezogene Forderungen unterliegen damit gewissermaßen einer „Rassenselektivität“. Der Schwerpunkt gleichheitsorientierter Politik orientiert sich an Affirmative Action. Dabei handelt es sich um eine Kontinuität mit dem Apartheid Regime unter geänderten Rahmenbedingungen. Gleichzeitig handelt es sich auch um die international am meisten verbreitete Form von Gleichstellungspolitik im Hinblick auf „Rasse“ und Geschlecht. Die daraus folgenden technischen Selektivitäten erklären sich also nicht nur aus dem historischen Erbe Südafrikas, sondern auch aus dem Fehlen alternativer Konzepte entsprechender Gleichstellungspolitik. Als Folge davon ist die südafrikanische Gleichstellungspolitik insofern „klassenselektiv“ als sie vordergründig die Bedürfnisse einer aufstrebenden Mittelschicht bedient, während arme Menschen durch Einkommenstransfers und Workfare Programme befriedet werden sollen. Im Gegensatz zu Brasilien sind die Chancen auf sozialen Aufstieg dadurch eingeschränkt auf eine weitaus kleinere Gruppe von Menschen, die dafür aber stärker von der Politik profitieren können. Diese Schwerpunktsetzung findet auch in der politischen Repräsentanz Ausdruck: Der ANC als „Rassen-bezogene“ Organisation ist dominant, während die Regierungspartnerinnen Cosatu und SACP (die vordergründig Organisationen der Klassenrepräsentation sind) untergeordnete Rollen in der Regierung einnehmen. Ähnliches kann auch von den Frauenorganisationen innerhalb von ANC und Regierung berichtet werden, die sich zwar etwas besser mit dem politischen Schwerpunkt auf Affirmative Action arrangieren konnten. Auch für diese Organisationen gilt aber, dass es ihnen nur schwer gelingt, soziale Anliegen und „Frauenthemen“ in ihrer politischen Arbeit so zu verknüpfen, dass sie sich auf staatliche Institutionen auswirken (Hassim 2006).
Somit zeigt sich auf Akteurs- und technischer Ebene eine Form von „Klassenselektivität“, die in Bezug zur Bündnispolitik zu stehen scheint: Mit den dominanten Kapitalfraktionen aus dem Minerals-Energy Complex wurde nicht gebrochen. Auch nach dem Ende von Apartheid ist der MEC zentraler Bestandteil des Blocks an der Macht. Das mittels Affirmative Action verfolgte Ziel der stärkeren Repräsentanz von historisch benachteiligten Gruppen („Schwarze“ und Frauen) im Management entsprechender Unternehmen und teilweise auch als Teil-EigentümerInnen dient auch der Absicherung dieses Bündnisses, das durch die Wahrnehmung gefährdet wird, dass „jeder Weiße als Produktionsmittelbesitzer und deswegen als Klassenfeind angesehen wird“ (Gigaba, in: Prausmüller 2002). [1] Die Fortsetzung des Bündnisses mit dem MEC und damit zusammenhängende Kontinuitäten in der Wirtschaftspolitik können auch auf Sorge vor Kapitalflucht zurückgeführt werden, die als Reaktion auf radikalere Transformationen befürchtet wurde.
Werden nun die Selektivitäten beider Fälle betrachtet, zeigen sich strukturelle Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums als zentraler Staatsmaxime. Außerdem zeigten sich in beiden Fällen Probleme, gleichheitsorientierte Politik zu entwerfen, die den Verknüpfungen von rassistischen, klassen- und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten gerecht wird. Die Ein- und Ausschlüsse sind anders gestaltet und entsprechen den historisch entstandenen Strukturen gesellschaftlicher Repräsentation, Institutionalisierung und Diskursformation. Ein zentraler Unterschied, der herausgearbeitet wurde, ist der Grad der Formalisierung von Herrschaft und (un-)gleichheitsorientierter Politik. Auch der Bezug der sozial-reformistischen Regierungen zum Staat differiert in einem wichtigen Merkmal: In Brasilien kam besonders ab den 1950er Jahren eine progressive Form des Republikanismus auf, der Umverteilung als notwendig für Nation Building einforderte. Diese Form des Republikanismus existierte im südafrikanischen „Two“bzw. „Many Nations“-Projekt nicht. Stattdessen hatten liberale meritokratische Gegendiskurse zum Apartheid-Projekt größeres Gewicht. Damit entwickelten die beiden Bewegungen auch unterschiedlichen Sichtweisen des Staates: In Südafrika wurden daher historisch besonders die „negativen Freiheiten“ (Berlin 1958) gegenüber staatlicher Repression und der Abbau ungerechtfertigter Privilegien der „Weißen“ fokussiert. In Brasilien waren hingegen die „positiven Freiheiten“ (ebd.) stärker im Fokus, die durch Sozial- und Arbeitsgesetzgebung gewährt wurden. Politische Reformen, die auf Privatisierung und Liberalisierung abzielten, stießen daher in Südafrika auf weniger Widerstand als in Brasilien.
In dieser Arbeit konnten Ursachen dafür auf Grundlage der historischen Ausarbeitungen aufgezeigt werden. Dieser Fokus sowie die vergleichende Betrachtung der beiden Fälle verhinderten jedoch eine noch eingehendere Analyse der Selektivitäten[2]Die „Mikrophysik der Macht“ (vgl. Foucault 1978, 1983, 1994) und ihre Übertragung auf den Staatsapparat und die handelnden Akteure hätte noch zahlreicher Interviews der Beteiligten bedurft, die den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätten (für eine dahin tendierende Arbeit, vgl.: Heigl 2009). Eine auf einzelne Politikbereiche beschränkte Einzelfallstudie wäre eine entstehende Forschungsperspektive, um sich mit der „Mikrophysik“ von Ein- und Ausschlüssen vom Staat zu beschäftigen. Damit könnte näher ins Detail gegangen und andere Fragen bearbeitet werden: Welche gesellschaftlichen Gruppen können welche staatlichen Apparate beeinflussen und wie? Warum und wie werden manche (konkreten) Forderungen geblockt und wie funktioniert das?
Die hier durchgeführte Analyse orientiert sich hingegen an einer Makro-Perspektive. Im Hinblick auf die Fragestellung nach Möglichkeiten und Grenzen kann argumentiert werden, dass die historische Konstruktion der Ungleichheitsregimes großen Einfluss auf die gleichheitsorientierten Diskurse und die daraus hervorgehende Politik hatten. Außerdem blieben die Reformen in beiden untersuchten Fällen weitgehend „innerhalb der bestehenden Ordnung“. Das weist auf eine starke strukturelle Selektivität hin, die sich auf die anderen Selektivitäten auswirkt: Die Angst vor dem ungewissen Neuen besiegt die Frustration mit den bestehenden Ungleichheiten. [3]Paradoxerweise sind auf Transformation des Bestehenden abzielende Diskurse in Südafrika präsenter als in Brasilien, das durch stärkere Veränderungen in der Ungleichheitsstruktur gekennzeichnet ist. Das könnte darauf hinweisen, dass das in Brasilien projizierte „One Nation Projekt“ Forderungen nach (moderater) Umverteilung besser integrieren kann als das südafrikanische Projekt, das sich diskursiv deutlicher gegen die existierenden „zwei Nationen“ richtet, womit auch die Widerstände der „privilegierten Nation“ gegen den potenziellen Verlust von Macht und Ressourcen größer sind.
Wie schon in den von Przeworski (1980) untersuchten historischen Fällen sozialdemokratischer Regierungen stellte die Aufrechterhaltung der Profitraten (bzw. des Wirtschaftswachstums) eine Grenze der reformistischen Politik dar. Das Nicht-Überschreiten dieser Grenze wurde nicht bloß durch „Verrat der sozialistischen Grundsätze“ durch die Regierungen, sondern auch maßgeblich durch Erwartungshaltungen und Ängste unter den potenziellen ProfiteurInnen einer radikaleren Transformation geprägt. In diesem Zusammenhang ist die enge Verknüpfung von Diskursen und materiellen Veränderungen deutlich: Aufkommende Diskurse gesellschaftlicher Veränderung zogen diskursive Reaktionen von Medien und Finanzkapitalfraktionen nach sich, die zu Kapitalflucht führten und damit das Wirtschaftswachstum als Grundlage des Fortschritts in kapitalistischen Gesellschaften gefährdete.
Innerhalb dieser Grenze gleichheitsorientierter Politik wurde auch ein Widerspruch aufgezeigt zwischen gleichheitsorientierter Politik, die vordergründig den Armen zu Gute kommt und Affirmative Action zur Bekämpfung von Rassismus sowie der Förderung von Frauen. Möglichkeiten, Affirmative Action durch Transformative Action zu ergänzen oder zu ersetzen (powell 2001), konnten nicht ausgemacht werden. Mittels einer genaueren Analyse von Wohnbau- und Bildungspolitik könnte dieser Themenbereich wahrscheinlich besser bearbeitet werden. Damit könnte versucht werden, die gesellschaftliche Konstruktion von Habitus und Identitäten näher zu analysieren, die für die „Grenzziehung“ zwischen „Wir“ und dem „Anderen“ verantwortlich ist. Die dahinter liegende Frage nach mittelbis langfristigen Effekten eines „Trickle Down Effektes“ der Affirmative Action Maßnahmen benötigt überdies einen längeren Untersuchungszeitraum als es der südafrikanische Fall erlaubt.
Im Zuge der kritisch-realistischen Herangehensweise werden nun anschließend nochmals die verwendeten Theorien und Kategorien reflektiert, um den Kreis des zirkulären Forschungsprozesses zu schließen.
- [1] Das zitierte Statement stammt vom damaligen ANC Youth League Präsidenten Gigaba, der damit die Verschärfung der Affirmative Action Gesetzgebung rechtfertigte: „Der nationale Befreiungskampf kann gar nicht anders, bewusst oder unbewusst, als eine schwarze Kapitalistenklasse zu erzeugen. Falls das nicht passiert, bleiben die Probleme des Rassismus ungelöst. Sie werden uns weiter heimsuchen, wenn jeder Weiße als Produktionsmittelbesitzer und deswegen als Klassenfeind angesehen wird“ (Prausmüller 2002).
- [2] Ein praktisches Beispiel für einen fehlenden Aspekt in der Analyse ist die eingehendere Betrachtung von Schönheitsidealen und ihr Einfluss auf Gender und Körperkonstruktionen, die für Frauen in Brasilien wichtig sind (Adelman und Ruggi 2008). Die hier erfolgte Analyse der Haushaltsform und die Auswirkungen der scharfen Trennung zwischen „Öffentlich“ und „Privat“ kann diesbezüglich bloß Anhaltspunkte liefern, aber keine näheren Erklärungen.
- [3] Die Wahlkampagne Lulas 2002 bezog sich direkt auf diese Angst und operierte mit dem Slogan „Lass die Hoffnung die Angst besiegen“.