Einschätzung der verschiedenen Erklärungsansätze zur Wirkung von Suiziddarstellungen in den Medien

Zusammenfassend wird hinsichtlich der Wirkung von Medien auf die Suizidalität von Individuen und damit letztlich auf die Suizidalität in einer Gesellschaft heute grundsätzlich vom Mechanismus des Nachahmungshandelns ausgegangen. Der am weitesten verbreitete Erklärungsansatz dafür ist Banduras sozialkognitive Theorie, die gut belegte Prognoseeigenschaften aufweist. Diese beruhen allerdings in erster Linie auf kriminologischen Studien zum Einfluss von (kriminellen) Vorbildern (insbesondere gleichaltrigen Peers; Pratt et al., 2010, S. 782) auf kriminelle Handlungen, während die Befunde zur Bedeutung medienvermittelter Vorbilder weniger eindeutig sind (Surette, 2013, S. 393). Auch in Gerichtsprozessen wurde das Argument einer direkten Kausalbeziehung von Medien als unabhängiger Einflussgröße auf gewalttätiges Verhalten und Kriminalität mit Verweis auf den Mangel an wissenschaftlicher Evidenz abgewiesen (Surette, 2013, S. 393). Im Zusammenhang mit medienvermittelten Vorbildern und Nachahmungshandlungen weisen entsprechende Studien vielmehr auf die zentrale Bedeutung von psychologischen Einflussgrößen hin. Einflüsse der sozialen Umwelt und psychologische Prädispositionen interagieren zudem mit dem Einfluss der Medien (Surette, 2013, S. 394). Während also grundlegende Erklärungsmechanismen wie die sozialkognitive Theorie unter bestimmten Prämissen auf den Medienkontext anwendbar sind und sich damit auch weitere Erklärungsansätze verknüpfen lassen, wie das Medien-Priming (vgl. Möller und Krahé (2009, S. 77)), fällt die Integration der zahlreichen Einflussfaktoren und Prädispositionen schwerer. Aufgrund der Parallelen zur Theory of Planned Behavior (vgl. Kapitel 3.3.6; Montaño & Kasprzyk, 2008) könnte man auch auf diesen Ansatz zurückgreifen, der aufgrund seiner größeren Universalität eine Integration verschiedener Theoriebausteine und Erklärungsmechanismen erlaubt. Dies erschwert wiederum eine empirische Prüfung, weil die Modelle recht umfassend sind. Eine aktuelle Meta-Analyse schätzt, dass mithilfe der TPB etwa 24% der auftretenden Varianz bei physischer Aktivität und 21% bei Verhalten zur Gewichtsabnahme erklärt werden kann, während es nur 15% beim Risikoverhalten sind (McEachan, Rosemary Robin Charlotte, Conner, Taylor & Lawton, 2011, S. 113). Wird auch in der Vergangenheit liegendes Verhalten berücksichtigt, steigt die Erklärungskraft auf 40%. Die TPB zeigt besonders bei kurzfristigen Verhaltensweisen, die im Selbstauskunftsverfahren erhoben wurden, eine bessere Prognoseleistung (McEachan, Rosemary Robin Charlotte et al., 2011).

Derzeit scheint Bandura's sozialkognitive Theorie zur Erklärung von Nachahmungssuiziden die zentrale Position auf diesem interdisziplinären Forschungsfeld einzunehmen (vgl. Fu et al., 2009; Schäfer & Quiring, 2013a, S. 143; Tor et al., 2008). Allerdings sollte die Theorie auf Rezipientenseite um zentrale Einflussgrößen wie beispielsweise individuelle Normvorstellungen und Prädispositionen (etwa Depressionen) ergänzt werden und idealerweise auch auf Medienseite die Darstellung und Interpretation von Suizidalität berücksichtigen. Der empirische Gehalt der sozialkognitiven Theorie nach Bandura wurde im Rahmen einer Meta-Analyse untersucht (Pratt et al., 2010). Diese zeigt, dass die Effektstärken, die vor dem theoretischen Hintergrund des Ansatzes beobachtet werden, in ihrer Konsistenz und Stärke zum Teil deutlich variieren: Während sich der Ansatz gut zur Erklärung von Straftaten eignet, ist seine Erklärungskraft im Hinblick auf Nachahmungshandeln oder das Lernen am Modell bestenfalls moderat ausgeprägt. Theoretischer Fortschritt kann durch die Integration der verschiedenen Erklärungsansätze gelingen. Grundsätzlich bietet die „Theory of Planned Behavior“ dafür einen geeigneten Rahmen, da sie Verhalten in den verschiedensten Bereichen zu erklären vermag (Rossmann, 2011, S. 27), ebenso wie die diesem zugrunde liegende Intention (vgl. die begriffliche Differenzierung von Suizidalität in Abbildung 2), gleichzeitig aber auch etwa Prädispositionen, Normvorstellungen oder zentrale Modellvorstellungen der sozial-kognitiven Theorie nach Bandura widerspiegelt. Eine empirische Überprüfung im Kontext von Suizidalität steht bisher noch aus.

 
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