Zum Stand der Forschung

Es wird bereits seit einigen Jahren darauf hingewiesen, dass in der Wirtschaftsethik ein gewisses Ungleichgewicht zwischen der Beschäftigung mit Unternehmen und der Beschäftigung mit Konsumenten besteht.33 Auf dieses Ungleichgewicht und die Notwendigkeit einer stärkeren Einbeziehung der Konsumentenperspektive wird insbesondere auch im internationalen Rahmen der Business Ethics aufmerksam gemacht.34

Auch wenn die Konsumentenethik und die Konsumentenverantwortung bisher keinen systematischen Status in der Wirtschaftsethik haben, der dem der Unternehmen gleichkommt, sind der Konsum und der Konsument selbst Gegenstand ethischer Betrachtungen. Ich möchte an dieser Stelle auf einige Ansätze und Forschungsstränge hinweisen, die in oder nahe diesem Feld zu verorten sind und die für diese Arbeit wichtige Grundlagen darstellen.35 Dabei sind notwendigerweise unterschiedliche Disziplinen involviert, was nicht zuletzt am Phänomen des Konsums selbst liegt:

„Few concepts have been claimed by so many interest groups, ideologies and academic traditions as that of the consumer. It is rare for an idea to have such diverse meanings as 'to consume'. (...) [E]conomists, sociologists, social psychologists, cultural critics, postmodernists, Marxists, conservatives, advertisers, journalists, popsemioticians, marketers and marketeers, historians of ideas, environmentalists and activists all come up with their 'own' visions and images.“ (Gabriel/Lang 1995, S. 187; Hervorh. im Original)

Diese verschiedenen Forschungsstränge thematisieren auf die eine oder andere Weise auch die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und weisen Zusammenhänge zum Konzept der Konsumentenverantwortung auf oder setzen dieses zumindest voraus.36

Empirische Forschung

Ein Großteil der Forschung im Bereich der Konsumentenethik bezieht sich auf das empirisch beobachtbare Phänomen veränderter Konsummuster an sich. Hierzu werden Aktivitäten gezählt wie Boykotte gegen bestimmte Unternehmen oder Produkte, der Kauf von ökologisch hergestellten oder fair gehandelten Produkten oder die angesprochenen Downshifting-Tendenzen. Im Fokus steht die deskriptive Untersuchung dieser „neuen“ Phänomene, Verhaltensweisen und sozialen Muster, die z. B. in den Politikwissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften und der Marktforschung, der Soziologie oder auch in den Kulturwissenschaften analysiert und hinterfragt werden.37

Unterschiedliche Begriffsverwendungen erklären sich unter anderem aus unterschiedlichen Schwerpunkten der Betrachtung und deuten gleichzeitig darauf hin, dass ebendiese Aspekte Bestandteil des „neuen“ Konsums sind:38 So ist etwa auch vom „politischen“ oder „moralischen“39 Konsum die Rede. Politischer Konsum beschreibt Konsumweisen, mit deren Hilfe politische und/oder gesellschaftliche Anliegen realisiert werden sollen und deutet auf eine Ausweitung des politischen Raums bzw. auf neue Kanäle des politischen Engagements hin. Deshalb wird auch der Begriff des Consumer Citizen in diesem Zusammenhang verwendet.40 Moralischer Konsum bezieht sich ganz allgemein auf Konsumweisen, die mit den moralischen Vorstellungen und Prinzipien einer Gesellschaft konform sind und bei denen anerkannt wird, dass auch Konsum gewissen normativen Prinzipien und Zielvorstellungen unterliegen muss.41 Sowohl politischer als auch moralischer Konsum kann sich in Abhängigkeit von historischen und gesellschaftlichen Umständen an unterschiedlichen normativen Leitvorstellungen ausrichten. Aktuell beziehen sich beide in der Regel auf die normativen Vorstellungen des nachhaltigen Konsums, bei dem es insgesamt um Konsumweisen geht, die soziale und ökologische Belange der nachhaltigen Entwicklung beachten und fördern. Nachhaltiger Konsum wird nicht nur von Konsumenten verfolgt, sondern kann auch Ziel von Unternehmen (beispielsweise durch die nachhaltigere Produktion von Gütern) und der Politik (beispielsweise durch gesetzliche Regelungen) sein.42

Ein weiterer empirischer Forschungszweig beschäftigt sich aufgrund der gesellschaftspolitischen Erwünschtheit einer nachhaltigen Entwicklung mit der Unterstützung nachhaltigen Konsums und legt somit dessen normative Förderungswürdigkeit zugrunde. Ausgangspunkt dieser Forschung ist oftmals der Befund des Attitude Behaviour Gap (siehe S. 21 f.).43 Auch hier sind verschiedene Disziplinen wie beispielsweise die Psychologie, die Verhaltensökonomik und die Soziologie involviert. Es geht zum einen um ein Verständnis der Kluft zwischen Einstellung und Handeln, d. h. um die Frage, welche Faktoren der Umsetzung der Einstellung im Wege stehen, zum anderen sollen Möglichkeiten untersucht werden, mit welchen Maßnahmen die Umsetzung konkret gefördert werden kann. Hier sind beispielsweise Untersuchungen zur Wirkung von Verbraucherin-

formation und -bildung und in diesem Zusammenhang die Ausgestaltung von Produktkennzeichnungen und Labeln zu nennen.44 In letzter Zeit hat im Zuge der verhaltensökonomischen Forschung die Gestaltung von Anreizsystemen und nachhaltigen „Entscheidungshilfen“ (sogenannte „Nudges“, Thaler/Sunstein 2009) an Bedeutung hinzugewonnen.45 Es ist schließlich auf die Ergebnisse des Forschungsschwerpunktes „Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsum“ hinzuweisen, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zwischen 2008 und 2013 im Rahmen der Sozialökologischen Forschung (SÖF) gefördert hat.46

Die beschriebenen empirischen Phänomene hängen alle gewissermaßen mit dem verantwortlichen Konsum47 zusammen, der sich im moralischen, politischen und nachhaltigen Handeln der Konsumenten äußert und somit diese verschiedenen Aspekte integriert. Von Interesse ist hier jedoch die normative Basis für die Förderung entsprechender Verhaltensweisen.

 
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