Zur Verantwortungsfähigkeit der Konsumenten am Markt

Einleitend zu diesem Kapitel habe ich erwähnt, dass es vor allem zwei Argumentationslinien bzw. Gründe sind, die hinsichtlich der Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit der Konsumenten am Markt Kontroversen auslösen. Sie stehen jeweils mit unterschiedlichen Konsumleitbildern in Verbindung:

„Konsumleitbilder sind Konzepte des Wünschbaren, an denen sich eine Veränderung des gegenwärtigen Zustandes orientieren kann. Sie basieren auf einer Interpretation des Konsumenteninteresses und enthalten somit sowohl normative als auch deskriptive Aussagen zur Rolle des Konsumenten in Wirtschaft und Gesellschaft. Konsumleitbilder können als theoretische Konstrukte weder wahr noch falsch sein.“ (Hansen/Schrader 2009, S. 465; Hervorh. im Original)

Die erste Argumentationslinie bezieht sich auf das traditionelle Leitbild des souveränen Konsumenten, das sowohl die Wirtschaftswissenschaften als auch die Verbraucherpolitik lange Zeit beeinflusst hat und davon ausgeht, dass sich Marktwirtschaften an den Interessen der Konsumenten ausrichten. Die zweite Argumentationslinie ist dieser genau diametral gegenüber zu stellen: Konsumkritische Positionen sehen im Konsumenten, zugespitzt formuliert, das vor der Macht der Konzerne zu schützende „Opfer“ und keinen eigenständig handelnden, souveränen Akteur, weshalb sie dem „Leitbild des Konsumentenschutzes“ (Weber 2010, S. 52; im Original fett) zugeordnet werden können.507

Neben den grundlegenden wissenschaftlichen Ansätzen zu diesen Positionen werden in den nächsten Abschnitten jeweils die daraus hervorgehenden Leitbilder dargestellt, die der Verbraucherpolitik als Orientierungsmomente dienen. Dabei ziehe ich zur Veranschaulichung vorrangig das Beispiel der deutschen Verbraucherpolitik heran, die jedoch von einem Zusammenspiel verschiedener (internationaler) Politikebenen gekennzeichnet ist. Insbesondere die EU-Politik übt einen großen Einfluss auf die deutsche Verbraucherpolitik aus, da in diesem Feld seit den 1970er Jahren viele Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert wurden.508 Doch auch internationale Entwicklungen sind prägend; hierzu zählen vor allem die von John F. Kennedy im Jahr 1962 proklamierten Verbraucherrechte, die das Recht auf Sicherheit bzw. sichere Produkte, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlmöglichkeiten sowie das Recht, gehört zu werden, umfassen.509

Zentrales Anliegen der Verbraucherpolitik ist es, diese Rechte sowie die Fähigkeiten der Verbraucher zu Abwanderung und Widerspruch zu stärken, da diese wichtige Instrumente der Verbraucher darstellen, um ihren Einfluss am Markt geltend zu machen. Die genannten Fähigkeiten gehen auf Alfred O. Hirschmans gleichnamiges Werk „Abwanderung und Widerspruch“ (Hirschman 1974) zurück. Darin beschreibt Hirschman, welche Möglichkeiten Individuen haben, wenn sie mit der Leistung gesellschaftlicher Organisationen, zu denen er auch Unternehmen zählt, nicht zufrieden sind. Sie können ihnen gegenüber loyal bleiben, sie können jedoch auch abwandern, indem sie die Produkte und Leistungsangebote der Konkurrenz vorziehen oder indem sie ganz auf ein Produkt oder eine Leistung verzichten. Weiterhin können sie Widerspruch einlegen und versuchen, die Organisation dazu zu bringen, den eigenen Vorstellungen entgegenzukommen.

 
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