Die Lebenserwartung im internationalen Vergleich
Dieser durchgehende Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung zeigte sich im Prinzip in allen europäischen Ländern sowie mit deutlich anderen Zeitpunkten auch in dem Großteil der außereuropäischen Gesellschaften. Auch wenn die Lebenserwartung in Deutschland weltweit sehr hoch ist, ist die Lebenserwartung in Deutschland im internationalen Vergleich nicht am höchsten. So lebten etwa 2010 in Frankreich, Italien, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien und Japan sowie in einigen ausgewählten Regionen Chinas die Menschen im Durchschnitt länger als in Deutschland (United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011a, S. 122 ff.). In Europa war die Lebenserwartung im Jahr 2010 für Männer in der Schweiz (80,1 Jahre), in Island und Schweden (je 79,5 Jahre) und für Frauen in Frankreich (84,8 Jahre), Spanien (84,5 Jahre) und der Schweiz (84,5 Jahre) am höchsten (Europäische Kommission 2012). Die Gründe für diese Unterschiede sind sehr komplex und keineswegs in allen Einzelheiten erforscht. Es fällt aber auf, dass in den modernsten Gesellschaften die durchschnittliche Lebenserwartung nicht unbedingt am höchsten ist, auch wenn sie weltweit überdurchschnittlich hoch ist. Offenbar sind neben den klassischen Indikatoren der Modernisierung Wohlstand, Bildung und Gesundheitsversorgung auch weitere Einflussfaktoren relevant wie etwa Ernährungsgewohnheiten und Lebensweisen (Abb. 3.4). Die niedrigsten Lebenserwartungen der Welt finden sich in den Regionen Schwarzafrikas, die zugleich zu den ärmsten Gebieten der Welt zählen. So waren zum Beispiel 2010 die Lebenserwartungen in der zentralafrikanischen Republik (45,9 Jahre), in Lesotho (46 Jahre), in Sierra Leone (46,3 Jahre) und in Zimbabwe (46,6 Jahre) weltweit die niedrigsten (United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011a, S. 121). In den meisten Entwicklungsländern beträgt die Lebenserwartung aber mittlerweile mehr als 60 Jahre (United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011a, S. 122 ff.; Statistisches Bundesamt 2001a, S. 219 ff.). Eine Lebenserwartung von ca. 60 Jahren wurde zum Vergleich in Deutschland erst kurz vor und dann wieder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Insgesamt war in den letzten Jahrzehnten in fast allen Regionen der Dritten Welt ein Anstieg der durchschnittlichen Lebensdauern zu beobachten. Zusammen mit den zwar fast überall sinken-
Abb. 3.4 Die Lebenserwartung Neugeborener in den EU-Staaten 2005–2010. (Quelle: United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011b: World Population Prospects; eigene Zusammenstellung und Darstellung)
den, aber teilweise noch sehr hohen Geburtenraten ist diese Lebensverlängerung schließlich für den dortigen Bevölkerungsanstieg verantwortlich.
Auffällig ist, dass in nahezu allen Ländern der Welt Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer. In Europa fand sich zum Beispiel der geringste Unterschied zugunsten der Frauen in den Niederlanden und in Großbritannien (je 3,9 Jahre) sowie in Island und Schweden (je 4,0 Jahre). Die größten Unterschiede in den geschlechtsspezifischen Lebenserwartungen ließen sich in Europa in den osteuropäischen Gesellschaften wie zum Beispiel in Weißrussland (11,9 Jahre), der russischen Föderation (11,3 Jahre), Litauen (10,8 Jahre) sowie der Ukraine (10,2 Jahre) beobachten. Diese hohen geschlechtsspezifischen Unterschiede erklären sich vor allem über die niedrigen durchschnittlichen Lebenserwartungen der Männer. Lange wurde erwartet, dass sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen angleichen würden in Folge der erwarteten höheren Berufstätigkeit und den damit verbundenen Belastungen und Risiken. Empirisch scheinen sich diese Erwartungen aber nur zum Teil zu bestätigen. Während in den frühen 1960er Jahren die Frauen in den Ländern der Europäischen Union durchschnittlich 5,1 Jahre länger lebten als die Männer, ist der Unterschied in den späten 1990er Jahren auf 6,4 Jahre angestiegen (Europäische Kommission 2002, S. 37). Danach nahm der Unterschied in einigen Ländern aber wieder ab wie etwa in Dänemark, Italien, Irland oder Frankreich, während er in anderen Ländern eher konstant blieb und zum Teil sogar anstieg. Die Gründe für die höhere Lebenserwartung von Frauen werden in der Regel sowohl in biologischen als auch in sozialen Umständen vermutet (Luy 2002). So werden für die sozialen Ursachen etwa angeführt, dass Frauen üblicherweise an gesundheitlich weniger belastenden Arbeitsplätzen arbeiten, sie im Allgemeinen weniger Risiken eingehen und insgesamt gesundheitsbewusster leben etwa hinsichtlich der Ernährung, dem Konsum von Tabak und Alkohol sowie der Wahrnehmung von Gesundheitsvorsorgen (Abb. 3.5).
Während in fast allen Gesellschaften die Lebenserwartungen kontinuierlich zunahmen, sanken in einigen wenigen Ländern die durchschnittlichen Lebensdauern. Vor allem die Lebenserwartungen in der Russischen Föderation, in der Ukraine sowie in Weißrussland sanken in den 1990er Jahre sowie etwa in den 2000er Jahren in Afghanistan. Hinzu kommen einige Regionen in Afrika, die durch eine hohe HIV-Rate gekennzeichnet sind. Die Ursachen für den Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartungen lagen zum einen in der Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen und der Gesundheitsversorgung sowie zusätzlich im Fall der osteuropäischen Staaten in den pessimistischen Wahrnehmungen der Zukunftsaussichten, zum anderen aber auch in erhöhten Sterberaten etwa in Folge von Kriegen, die sich in der Folge negativ auf die durchschnittliche Lebenserwartung auswirkten. Trotz diesem regional bedingten Absinken der durchschnittlichen
Abb. 3.5 Lebenserwartung Neugeborener in ausgewählten Ländern der Welt 2005/2010. (Quelle: United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011b: World Population Prospects; eigene Zusammenstellung und Darstellung)
Lebenserwartung wird auch zukünftig davon ausgegangen, dass weltweit die Lebenserwartungen insgesamt weiter ansteigen und sich angleichen, auch wenn zwischen den verschiedenen Regionen weiterhin Unterschiede bestehen (Abb. 3.6).
Abb. 3.6 Die Lebenserwartung Neugeborener in Entwicklungsregionen der Welt 1950– 2100. (Quelle: United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2011b: World Population Prospects; eigene Zusammenstellung und Darstellung)