Die Höhe der Ausgaben für soziale Sicherung

Die Höhe der Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme ist in Europa sehr unterschiedlich verteilt. So erhält jede Person in Luxemburg etwa doppelt soviel Geld zur Abwehr von Risiken wie im europäischen Durchschnitt und etwa viermal soviel wie eine Person in Polen. Deutschland findet sich in dieser Hinsicht zusammen mit einigen Ländern im oberen Mittelfeld der Europäischen Union.

Gemessen an der absoluten Höhe der erhaltenen Zahlungen trifft das Modell von Esping-Andersen nur bedingt zu. Zwar zählen Dänemark, Schweden, Niederlande und Finnland zur Spitzengruppe, was die Höhe der Zahlungen für die soziale Sicherheit betrifft. Sie werden aber von Luxemburg weit übertroffen. Die Höhe der Zahlungen in Österreich, Deutschland, aber auch Frankreich und Belgien gehören ebenso zur Spitzengruppe und sind sogar höher als in Finnland. Die Höhe der Sozialleistungen, die die einzelnen Bürger empfangen, spiegeln eher die wirtschaftliche Leistung der einzelnen Staaten als bestimmte Politikausrichtungen oder Wohlfahrtsstaatstypen (Abb. 8.1).

Wohlhabendere Länder können für jeden Bürger mehr Sozialleistungen als ärmere bereitstellen, ohne dafür notwendigerweise einen größeren Teil des gesamten gesellschaftlichen Reichtums aufwenden zu müssen. So gibt Luxemburg nur 22,6 % seines Bruttoinlandsproduktes für Sozialleistungen aus. Auf jede Person aus Luxemburg entfallen aber etwa zwei Mal soviel wie auf jede Person aus Griechenland, obwohl Griechenland 28,2 % seines Bruttoinlandproduktes für Sozialleistungen nutzt.

Insgesamt wurden 2010 in den Ländern der Europäischen Union 28 von 100 erwirtschafteten Euro für Zwecke der sozialen Sicherung ausgegeben. Die Sicherungsausgaben in Deutschland waren 2010 mit 29 % des Bruttoinlandproduktes

Abb. 8.1 Sozialleistungen pro Kopf (gemessen in Euro und KKS*) in Europa 2010. (Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014, S. 87)

leicht überdurchschnittlich hoch. Das Modell von Esping-Andersen bestätigt sich empirisch auch im Hinblick auf die Gesamtausgaben nur bedingt. Zwar zählen die skandinavischen Länder zu den Ländern, die insgesamt die höchsten Anteile ausgaben. Aber Frankreich folgt an zweiter Stelle direkt auf Dänemark und auch Deutschland und Österreich, die wie Frankreich nach dem Modell zu den Staaten mit mittelgroßem Sozialstaat gerechnet werden, zählen zu der Spitzengruppe (Abb. 8.2).

Während der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs von 1960 bis 1975 befand sich Westdeutschland in der internationalen Spitzengruppe der sozialen Sicherung. Damals wurden unter anderem als Folge der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Westdeutschland zahlreiche Sicherungsleistungen ausgebaut. Die Sozialleistungsquote stieg steil an und Westdeutschland gab wesentlich höhere Anteile des Wirtschaftsergebnisses für Sozialleistungen aus als die meisten anderen westeuropäischen Länder. Zeitgleich mit den und auch als Folge der ersten wirtschaftlichen Schwierigkeiten sank die deutsche Sozialleistungsquote ab Mitte der 1970er Jahre. Im europäischen Vergleich fiel Westdeutschland ins untere Mittelfeld hinsichtlich der Höhe der Ausgaben zurück (Alber 1998, S. 209). Allerdings reduzierten in dieser Zeit auch andere Länder wie vor allem Schweden und Großbritannien ihre Aufwendungen für soziale Leistungen und entlasteten so die staatlichen Haushalte (Abb. 8.3).

Erst mit der Vereinigung Deutschlands änderte sich grundlegend die Höhe der Ausgaben für Sozialleistungen. Die Vereinigung Deutschland war sehr kostenintensiv, nicht zuletzt für Zwecke der sozialen Sicherung. Daher stieg der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt in den 1990er Jahren wieder an, ohne jedoch das westeuropäische Mittelfeld zu verlassen und in die Spitzenpositionen aufzusteigen. Ohne die Kosten der Wiedervereinigung wäre in der Bundesrepublik die Sozialleistungsquote weiter zurückgegangen (Kaufmann 2000, S. 184). Berücksichtigt man, dass der Bedarf an Sicherungsleistungen in Folge der deutschen Vereinigung und der relativ weit fortgeschrittenen Alterung in Deutschland besonders hoch ist, so sticht „der deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich der Aggregatzahlen keineswegs als besonders aufwendig oder kostspielig hervor“ (Alber 1998, S. 203). Dies widerspricht manchen populären Einschätzungen, die von einem besonders teuren deutschen Sozialstaat ausgehen.

Der Anfang des 21. Jahrhunderts ging in Deutschland sowie den meisten europäischen Gesellschaften zuerst mit einer Reduzierung der Ausgaben für soziale Sicherungen einher unter anderem auch aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums. In Folge der globalen Finanzund Wirtschaftskrise stiegen ab 2008 beziehungsweise 2009 in allen europäischen Ländern jedoch die Ausgaben, die erst in jüngster Zeit in einigen Ländern wieder reduziert werden. Im Unterschied zu dieser Entwicklung lassen sich im europäischen Vergleich aber auch Länder wie Italien, Irland und Spanien beobachten, die seit 2001 durch einen konstanten Anstieg der Ausgaben für den Sozialschutz gekennzeichnet sind (Tab. 8.2).

Abb. 8.2 Sozialleistungsquoten (gemessen in jeweiligen Preisen und in % des BIP) in Europa 2010. (Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014, S. 85)

Abb. 8.3 Sozialleistungsquoten (gemessen in % des BIP) in Deutschland 1960–2010. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung 2014e)

 
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