Soziale Arbeit und Stadtentwicklung aus reflexiv räumlicher Perspektive
Caroline Fritsche und Annegret Wigger
Annäherung an veränderte Rollenvorstellungen der Sozialen Arbeit
Die Frage nach der Rolle der Sozialen Arbeit im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsprozesse wird im Kontext unterschiedlicher sozialräumlicher Ansätze kontrovers diskutiert. So wurde z.B. im Vorfeld der Basler Tagung
„Soziale Arbeit und Stadtentwicklung“ folgende programmatische Vorstellung geäussert:
„Gemeinwesenarbeit, Soziokulturelle Animation oder Community Development beschränken sich im Allgemeinen darauf, soziale Konsequenzen der städtischen Transformation abzufedern – die Soziale Arbeit wird auf das Krisenmanagement reduziert. Jetzt bahnen sich neue Trends an: Die Soziale Arbeit wird in die Planungsprozesse der Stadtentwicklung miteinbezogen.“ (Drilling/Oehler 2011: 7)
In gewisser Weise wird damit das Recht der Profession Sozialer Arbeit auf Beteiligung an Planungsund Gestaltungsprozessen von Städten, Quartieren, Regionen eingefordert und postuliert, dass die Soziale Arbeit ihre Kompetenzen in die Gestaltung des Sozialen einbringen kann. Diese Forderung wird untermauert mit historisch verankerten Selbstverständnissen des Community Development (Chicagoer Schule) und der Gemeinwesenarbeit. Die Soziale Arbeit soll sich also nicht mehr länger auf die Rolle der Bearbeitung von Problemen und Konflikten in Städten beschränken, sondern Vorstellungen des guten Zusammenlebens schon vorgängig in die städtischen Planungsprozesse einbringen. Damit sind Setzungen verbunden, die sowohl aus einem reflexiven Professionsverständnis Sozialer Arbeit (vgl. u.a. Dewe 2009) als auch aus einer reflexiv-räumlichen Perspektive zu diskutieren sind.
Dies soll im vorliegenden Text geleistet werden, indem anhand eines fiktiven Beispiels vorgenommene Setzungen identifiziert und anschließend entlang von drei Diskurssträngen, der Professions-, der Demokratieund der Raumdebatte, Grenzen und Möglichkeiten verschiedener Rollen Sozialer Arbeit im Kontext von Stadtentwicklung ausgelotet werden.
Ein fiktives Praxisbeispiel
Eine Stadtregierung beschließt vor dem Hintergrund einer Öffentlichprivaten Partnerschaft mit verschiedenen Investoren, ein Quartier, das mit vielfältigen sozialen Problemen belastet ist, städtisch aufzuwerten. Dazu soll ein brach liegendes Fabrikareal mitten im Viertel, das aktuell von verschiedensten Nutzern/Nutzerinnen bespielt wird, für ein gehobeneres Wohnviertel umgenutzt werden. Bisher wohnten in diesem Stadtviertel hauptsächlich Ausländer und Ausländerinnen verschiedener Nationen, die zu den bildungsfernen, sozioökonomisch benachteiligten Schichten gehören. Im Rahmen des anstehenden Planungsverfahrens wird der städtische Sozialdienst vom Stadtrat beauftragt, in der Planungsgruppe mitzuarbeiten. Im Sozialdienst der Stadt sind folgende Funktionen zusammengeschlossen: die Sozialhilfe, die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde, die offene Jugendarbeit, die Schulsozialarbeit und andere spezialisierte Beratungsstellen, unter anderem die Schuldenberatung sowie die Integrationsstelle. Den Vertreterinnen und Vertretern des Sozialdienstes ist das Quartier ausgesprochen vertraut, da viele ihrer Klienten und Klientinnen in diesem Quartier leben. Das Team des Sozialdienstes trifft sich zu einer vorbereitenden Sitzung, um zu klären, welche Anliegen sie aufgrund einer gemeinsam zu erarbeitenden fachlichen Position in den Planungsprozess einbringen wollen.
Vor dem Hintergrund verschiedener fach-politischer Vorstellung könnten folgende Arbeitsansätze in diesem fiktiven Team zur Diskussion stehen:
Einige Teammitglieder machen sich stark für durchmischte, generationenund milieuübergreifende Wohnformen. Sie verbinden damit die Vorstellung von einem lebendigen Quartier, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft und Lebensstile harmonisch miteinander leben können. Die darin enthaltene Idee einer friedlichen multikulturellen Gesellschaft ist anschlussfähig an Vorstellungen von der Stadt als „Integrationsmaschine“ (vgl. Heitmeyer 1998) und kann mit einer fachlichen Haltung von Allparteilichkeit gut verknüpft werden, d.h. die Sozialarbeitenden verstehen sich hier in der Rolle als Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen.
Andere Teammitglieder sind der Ansicht, dass in der Planungsgruppe in erster Linie die Interessen der ansässigen Bewohner/Bewohnerinnen zu vertreten seien. Sie möchten sich für den Erhalt günstiger Wohnungen, für gewachsene Quartierstrukturen und für einen kinderfreundlichen öffentlichen Raum einsetzen, um so den befürchteten Gentrifizierungsprozessen etwas entgegenzusetzen. Mit dieser fach-politischen Position ist eine anwaltschaftliche Haltung verknüpft. Diesen Teammitgliedern geht es darum, ihr gesellschaftlich benachteiligtes Kli-entel in ihrer Interessensdurchsetzung gegenüber gesellschaftlich privilegierten Gruppen zu unterstützen. Ihre fachliche Position orientiert sich am Wert sozialer Gerechtigkeit (vgl. Schrödter 2009).
Schließlich betrachtet eine dritte Gruppe den Einbezug in die Planungsprozesse als Chance, sich professionspolitisch in der Stadtverwaltung zu profilieren. Diese Gruppe sieht in der Teilnahme an den Planungsprozessen die Möglichkeit, ihre professionsspezifische Expertise in die Gestaltung des Quartiers einfließen zu lassen und orientiert sich dabei an dem von Hinte (2007) propagierten Arbeitsansatz „vom Fall zum Feld“. Diese fachliche Orientierung basiert auf einem traditionellen Expertenmodell und einem präventionsbasierten Arbeitsansatz.
Neben den eigenen fachlichen Orientierungen spielen auf der anderen Seite die Erwartungen der Auftraggeber an die konkrete Funktion der Sozialen Arbeit im Kontext von Stadtentwicklungsprozessen eine nicht zu unterschätzende Rolle. So kann man sich, bezogen auf das fiktive Beispiel, fragen, was der Stadtrat von der Mitarbeit seines Sozialdienstes an den Planungsprozessen erwartet. Je nach politischem Selbstverständnis des Stadtrats kann die Erwartungshaltung sehr unterschiedlich ausfallen. So könnte es sein, dass er sich vom Einbezug des Sozialdienstes eine frühzeitige Erkennung und Bearbeitung von Konfliktfeldern verspricht, sodass Planung und Umsetzung ohne Verzögerungen vonstattengehen können. Eine andere Erwartung könnte sein, dass der Stadtrat die Expertise der Sozialen Arbeit, ihr Wissen um die Bedingungen „für ein gutes Zusammenleben“ in die Planung einfließen lassen möchte, um spätere Konflikte zu vermeiden. Schließlich könnte es sein, dass der Stadtrat mit der Einbindung des Sozialdienstes die politische Legitimation der Planung auch gegenüber den Quartierbewohnerinnen und -bewohnern verstärken möchte.