Kritik am Programm Soziale Stadt

Nach fünfzehn Jahren Erfahrung mit dem Programm Soziale Stadt – in der Schweiz steht die Diskussion aufgrund der geringen bisherigen Laufzeit und vor allem der eher kleinen Zahl an bisher geförderten Projekten noch am Anfang – zeichnen sich in der Debatte verschiedene Themenfelder heraus, die kritisch diskutiert werden bzw. bei denen das Programm Soziale Stadt in der Umsetzung an Grenzen stösst.

Nichthematisierung von Machtfragen

Die Vernetzung verschiedener Bevölkerungsgruppen und vor allem der Austausch zwischen Verwaltung und Bevölkerung ist ein zentrales Anliegen der Projekte. Die Menschen in den Quartieren sollen „aktiviert“ werden, sich zu „beteiligen“. Weniger im Fokus steht in der Regel die Frage, welche Befugnisse den „Aktivierten“ dann in Entscheidungen, die das Quartier betreffen, zugestanden werden. Bitzan (2013: 115, in Anlehung an Weber 2009) weist daraufhin, dass zwar gerne von Empowerment gesprochen wird, damit aber in der Regel die Förderung subjektiver Stärken, etwa im Sinne der Arbeitsmarktfähigkeit, gemeint ist. Ein politisches Empowerment im Sinne einer Selbstorganisation und vertretung steht nicht im Zentrum. „In den ´Soziale Stadt´-Gebieten geht es insgesamt weniger um die Beteiligung an Entscheidungen als um das Wecken von Engagement und die Erzeugung von Identifikation mit dem lokalen Gemeinwesen.“ (Häußermann 2005: 79). Bitzan spricht in diesem Zusammenhang von „affirmative[n] Bürgergesellschaftskonzepte[n], weil sie davon ausgehen, exkludierte Personengruppen könnten durch einen verschönerten und kommunizierenden Stadtteil inkludiert werden.“ (Bitzan [in Anlehnung an Kessl] 2013: 114) Diese kommunitaristischen Tendenzen sind etwa in Form von ´Förderung von Eigenverantwortung´ und ´bürgerschaftlichem Engagement´ „hochgradig anschlussfähig an neoliberales Gedankengut“ (Schreier 2011). Wenn immer wieder berichtet wird, dass sich die Partizipation der Bevölkerung in den Programmgebieten zum Teil nicht wie erwünscht einstellt (DIFU 2006: 20, Schröder 2010: 71) , hat dies eventuell auch damit zu tun, dass die angesprochene Bevölkerung bemerkt, dass ihre Partizipation eher der Legitimation geplanter Massnahmen, denn der Berücksichtigung ihrer Erfahrungen, Ideen und Wünsche dienen soll.

(Vor-) Definition von Themen

Mangelnde Beteiligung der angesprochenen Bevölkerungsgruppen ist auch ein Ergebnis der aus einer top-down-Logik resultierenden vorzeitigen Festlegung von Einzelzielen und Massnahmen. Kommunen und Träger geraten hier häufig in eine konzeptionelle Falle: Damit Projekte bewilligt werden, erscheint es unabdingbar, dass die Problemfelder bereits möglichst klar umrissen und erfolgversprechende Massnahmen skizizert werden. Sind diese erst einmal fixiert, werden sie später selten grundsätzlich revidiert. Dies führt allerdings die gewünschte Bürgerbeteiligung zu einem gewissen Mass ad absurdum. Eine Beteiligung ist dann nämlich nur noch bei der Umsetzung von bereits festgelegten Massnahmen möglich und nicht bei der Definition derselben. Richers (2002: 187) erlebt das Bund-Länder-Programm hier als „… in sich widersprüchlich: Es wird vorausgesetzt, dass das Konzept stehen muss, bevor die Arbeit beginnt. Aber die Bewohner, die die Inhalte bestimmen sollen, können zu dem Zeitpunkt noch gar nicht befragt worden sein.“

Damit gerät diese Praxis in Widerspruch zu einer Grundmaxime der Gemeinwesenarbeit, der

„Orientierung an den Bedürfnissen und Themen der Menschen: Es geht darum, nach der Motivation der Menschen zu suchen und diese zu fördern, anstatt extrinsisch zu motivieren. GWA greift nicht nur dort ein, wo ein Problem ´von außen´ als solches diffamiert wird, sondern greift prinzipiell alle Themen auf, die von den Menschen im Sozialraum für wichtig erachtet werden. Anstatt – wie so oft – zu versuchen, die Menschen für die Ziele der Professionellen zu motivieren, machen sich GemeinwesenarbeiterInnen auf den Weg, die Motivation der Menschen nach Veränderung zu suchen. Sie nehmen gerade auch die (scheinbar kleinen) Themen und Bedarfe des Alltags ernst und greifen sie auf.“ (Lüttringhaus 2011: 278)

 
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