Das Recht auf die Stadt – Ein vielfach aufgegriffener Slogan
Die Theorien Lefebvres und die Parole „Recht auf Stadt“ wurden erst spät aufgegriffen.[1] Nachdem der Text 1996 in englischer Übersetzung in der Essaysammlung „Writings on Cities“ (Lefebvre [1968] 1996) erschien, erfolgte um die Jahrtausendwende sowohl im akademischen Bereich als auch in sozialen Bewe-gungen eine intensive Bezugnahme auf den Begriff. Angesichts der heterogenen Inhalte, die unter der Parole vereint werden, scheint es gerade die Offenheit des Konzepts zu sein, die sehr unterschiedliche Positionen zu vereinen imstande ist (vgl. Gebhardt und Holm 2011; Schmid 2005). Dass diese Offenheit vielfältigen Bezug ermöglicht, bedeutet aber nicht zwangsläufig eine Beliebigkeit der Inhalte. Grundlegend ist die Infragestellung gesellschaftlicher Machtverhältnisse anhand des Produktionsprozesses von Räumen und Urbanisierung.
Auch wenn die Bezugnahmen von sich als kritisch verstehender Sozialwissenschaft und eine aktivistische Bezugnahme nicht klar voneinander zu trennen sind, soll zunächst die jeweilige Zugänge zu dem Begriff „Recht auf Stadt“ untersucht werden. Im Anschluss daran werde ich auf die Frage eingehen, wie sich Soziale Arbeit auf das Konzept beziehen kann. Zentral erscheint die Frage der Repräsentation bzw. das Verhältnis zwischen denjenigen, an die sich die Proklamation des Rechts auf Stadt explizit richtet, und denen, die sich darauf als Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen oder als Professionelle der Sozialen Arbeit beziehen.
Das Recht auf Stadt als Bezugspunkt kritischer Stadtforschung
Spätestens seit der Jahrtausendwende wird das Recht auf Stadt zu einem zentralen wissenschaftlichen Bezugspunkt, was sich an einer hohen Zahl von Veröffentlichungen sowie Konferenzen ablesen lässt (vgl. Gebhardt und Holm 2011: 10; Gestring u.a. 2014). [2] Das Recht auf Stadt steht für eine an Lefebvre angelehnte Perspektive auf urbane Formationen, die diese als untrennbar von gesellschaftlichen Bedingungen analysiert und sie selbst als eine beständig produzierte Realität ansieht. Die Perspektive auf den Produktionsprozess steht für den Versuch, gesellschaftliche Bedingungen in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Mit dem Begriff verbindet sich zudem eine utopische Vision von Stadtentwicklung. Diese basiert auf einer grundlegend anderen Vergesellschaftung, die sich an Ressourcen orientiert, die die Bewohner_innen der Stadt für die Produktion von Gebrauchswerten einsetzen können Die Forderung nach einem umfassenden Recht auf Stadt beinhaltet die Kritik der neoliberalen Transformation verbunden, die dazu führt, dass diese Ressourcen zunehmend schwerer zu mobilisieren sind (vgl. Harvey 2008, 2013; Marcuse 2009).
Mit der Perspektive auf Kämpfe um ein Recht auf Stadt können (Wieder-)Aneignungsprozesse städtischer Ressourcen anders als unter ordnungspolitischen Ge-sichtspunkten thematisiert werden. Analog zu der von Lefebvre vorgeschlagenen veränderten Planung werden im Anschluss an die Aktualisierung des Rechts auf Stadt umsetzbare Forderungen diskutiert, die an die Grenze von Politikberatung für eine andere kommunale Politik reichen (vgl. Harvey 2008; Holm 2010; Holm 2011). In der Formulierung von Forderungen sehen wissenschaftlich und aktivis-tisch Arbeitende ihre Position bei der Einforderung des Rechts auf Stadt. Aus einer Situation heraus, in der sie sich nicht als diejenigen sehen, denen das Recht auf Stadt vorenthalten wird, ist eine Klärung der eigenen Rolle notwendig. Die bei Lefebvre zu findende Aufteilung des Rechts auf Stadt in „cry“ und „demand“ (Lefebvre 1996: 158) wird zum Anlass genommen, ein Bündnis zwischen den Marginalisierten,
„die ihrer elementarsten Rechte beraubt sind und für die das Recht auf Stadt eine dringende Notwendigkeit ist, sowie den oberflächlich Integrierten, aber Entfremdeten, die in der wissenschaftlichen und künstlerischen Repräsentation Forderungen stellen“,
vorzuschlagen (Gebhardt und Holm 2011: 22).[3] Während Bündnisse dieser Art strategisch sicherlich eine höhere Wahrscheinlichkeit beinhalten, die erklärten Ziele zu erreichen, lauern in der funktionalistisch anmutenden Arbeitsteilung auch Gefahren: In Bezug auf die Repräsentation sind die Kräfteverhältnisse in den Bündnissen und Netzwerken sehr ungleich verteilt.[4] Eine Aufteilung, die die Rolle der Sprechenden in wohlmeinender Absicht denjenigen entzieht, denen sie bereits jetzt systematisch vorenthalten wird, reproduziert die Bedingungen, gegen die sie antritt (vgl. Hohenstatt/Rinn 2014).
Durch eine Fixierung auf erklärte Ziele oder sich als soziale Bewegungen organisierende Gruppen kann zudem das Recht auf Stadt gerade für diejenigen, die sich nicht in dieser Form organisieren, durch die Zuschreibung von Passivität unthematisiert bleiben. Es gilt, sich Analysemöglichkeiten offenzuhalten, die Konflikte um ein Recht auf Stadt auch dort in den Blick nehmen, wo sie sich nicht in der Form von sozialen Bewegungen, die Wissenschaftler_innen leicht zugänglich sind, artikulieren. Die Theorie Lefebvres enthält dieses Potenzial.
- [1] Interessanterweise erreichte die Theorie Lefebvres ihren Höhepunkt, als die funktionalistische Stadtplanung, auf die sich ein nicht unbedeutender Teil der Kritik Lefebvres bezieht, von fast allen, die an dem Konfliktverhältnis Stadtentwicklung beteiligt sind, abgelehnt wurde
- [2] Holm/Gebhart weisen zu Recht darauf hin, dass die Popularität des Begriffs auch von den Distinktionsmöglichkeiten beeinflusst wird, die die Arbeit mit griffigen Begriffen bietet (Gebhardt und Holm 2011: 10)
- [3] Zum Ausgangspunkt dieser Aufteilung vgl. Marcuse 2009
- [4] In Bezug auf das Hamburger Beispiel vgl. Birke 2011b. 75