Was nun, was tun?
Im letzten Teil der Fortbildung steht ein Bericht aus dem Berliner "Tagesspiegel" zur Debatte:
"Lichtenberg an einem Donnerstagabend. Im großen Saal des Bezirksamtes tritt Manuela Tönhardt ans Mikrofon. Sie trägt ein blaues Kostüm, eine goldene Brille und sieht besorgt aus. In der Bürgeranhörung schilderte soeben eine Sozialarbeiterin, dass die Zahl derer, die regelmäßig in Suppenküchen des Bezirks für Essen anstehen, dramatisch zunehme. Eindringlich bittet sie um Spenden. Die Abgeordnete Tönhardt reagiert als erste. Die 52-Jährige ist Mitglied der DVU. Im Zuge des sogenannten Deutschlandpaktes zwischen den beiden rechtsextremen Parteien kandidierte Tönhardt aber auf der Liste der NPD und ist nun eine von drei NPD-Vertretern in Lichtenberg. Ihre Rede ist kurz und konkret. Sie schlägt eine Sammelaktion für die Bedürftigen vor. Eine Mütze wandert durch die Reihen der Bezirksvertreter und Besucher. Am Ende werden sich darin fast 500 Euro befinden. Manuela Tönhardt wirkt zufrieden. Ein Punkt für die NPD." (Der Tagesspiegel 20. 02. 07 von Frank Brunner)
In einer offenen Diskussion sollen die anwesenden KommunalpolitikerInnen pro und contra über das beschriebene Verhalten der BezirksvertreterInnen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) austauschen: War es richtig, sich an der Spendensammlung zu beteiligen? Konnte die NPD dadurch tatsächlich einen Punktsieg landen? Wie hätten alternative Szenarien aussehen können? Mit welchen Konsequenzen?
Was macht eine "richtige" Reaktion so schwierig? Die NPD-Abgeordnete hat in dem beschriebenen Beispiel die Chance genutzt, sich in die Rolle der sozialen, tatkräftigen Politikerin zu begeben, die parteiübergreifend an die Solidarität der Bezirksverordneten appelliert. Verweigert man sich der Aufforderung, für die Suppenküche zu spenden, verhält man sich unsolidarisch und nicht den politischen Ansprüchen genügend, spendet man, unterstützt man die politische Aktion einer Rechtsextremistin und billigt ihr einen Punktsieg zu, wie vom Journalisten Frank Brunner im Artikel beschrieben. Wie hätten alternative Szenarien aussehen können?
1) Das Parlament verweigert sich der Sammlung mit der Begründung, dass eine langfristig tragfähige Lösung von politischer Seite für die Suppenküche gefunden werden muss. Vorteil: Die demokratischen Parteien lassen sich nicht mit der NPD ein, versuchen aber das Anliegen der Suppenküche politisch zu lösen.
2) Die demokratischen Parteien organisieren eine eigene Sammlung. Nachteil: Die NPD kann sich als ausgestoßenes Opfer gerieren und für sich die Initiativergreifung beanspruchen.
3) Die demokratischen Parteien verweigern sich der Sammlung. Nachteil: Die NPD skandalisiert die Verweigerungshaltung der politischen Mitte und profiliert sich gegenüber dieser in der Öffentlichkeit.
Das Beispiel zeigt, dass der Umgang mit und die Reaktion auf rechtsextreme Erscheinungen immer wieder (neu) eingeübt werden muss. So fordern der regionale Einzug rechtsextremer Parteien in Kommunalparlamente und der Versuch der rechtsextremen Szene durch "Normalisierungsstrategien" in den Mainstream einzudringen – bei einem gleichzeitig vorhandenen Resonanzboden für rechtsextremes Gedankengut in der Gesellschaft – immer wieder zu – neu überdachten und eingeübten – Reaktionen der demokratischen Akteure heraus.