Die CDU in Niedersachsen

Oliver D'Antonio

Der Landesverband, den es nicht gibt

Im Mai 2013 findet der Landesparteitag der CDU in Bookholzberg, einem Ortsteil der Kleinstadt Ganderkesee im Landkreis Oldenburg in Niedersachsen, statt. Die Zahl der Delegierten ist mit nur 150 relativ klein – zum Vergleich: Auf einen Landesparteitag der CDU Saar sind fast dreihundert Delegierte geladen. Delegierte aus Hannover, Göttingen, Braunschweig, Meppen oder Lüneburg findet man auf dem Landesparteitag in Bookholzberg nicht. Sie stammen aus Oldenburg, Vechta, Cloppenburg, Brake oder Wilhelmshaven. Dieser Landesparteitag in einer Kleinstadt in Niedersachsen ist nicht der Parteitag des CDU-Landesverbandes Niedersachsen. Denn faktisch gibt es keinen niedersächsischen Landesverband der CDU. Den Parteitag in Bookholzberg richtet der zweitgrößte CDULandesverband in Niedersachsen aus, der Landesverband der CDU Oldenburg.

In Niedersachsen existieren Parteistrukturen, die heute singulären Charakter innerhalb der bundesdeutschen Parteienlandschaft besitzen und auch nur im historischen Kontext zu verstehen sind: Der Verband mit dem Namen „CDU in Niedersachsen“ ist die Dachorganisation dreier eigenständiger Landesverbände namens Hannover, Braunschweig und Oldenburg, wobei der hannoversche Verband bis heute eine starke Selbstbeschneidung seiner autonomen Strukturen vorgenommen hat. Diese Dreigliedrigkeit ist das Ergebnis historisch gewachsener Strukturen, die möglicherweise ihre Gründungsbedeutung verloren, aber eine organisatorische und kulturelle Eigendynamik entfaltet haben, die ihren Fortbestand sichert. Dieser Beitrag will, zum einen, einen Überblick über die Geschichte und die Strukturen der CDU in Niedersachsen bieten, zum anderen aber – gerade mit Blick auf dieses organisatorische Alleinstellungsmerkmal – nach dessen heutiger Bedeutung für die Partei fragen. Haben die Verbandsstrukturen der niedersächsischen Union noch eine reale Funktion oder stellen sie lediglich einen folkloristischen Anachronismus dar?

Die CDU in Niedersachsen – ein historischer Überblick

Die Geschichte der CDU in Niedersachsen kann aus parteiund wahlgeschichtlicher Perspektive in vier Phasen eingeteilt werden. Diese Periodisierung wird jedoch nicht entlang von Regierungsund Oppositionszeiten vorgenommen. Vielmehr können umfassendere Sinneinheiten identifiziert werden, für welche die Regierungstätigkeit der CDU zwar nicht unbedeutend ist, diese aus Perspektive des Gesamtverbandes jedoch leicht relativieren. Denn in Niedersachsen stand die Regierungsbeteiligung in der Regel am Ende eines langen vorbereitenden Wandlungsprozesses der Parteiorganisation und der sozialen Strukturen des Bundeslandes. Die erste Phase umfasst die unmittelbare Nachkriegszeit bis zur Gründung des Dachverbandes 1950. Die zweite Phase betrachtet den langen Sammlungsprozess des bürgerlichen Lagers, der sich bis in die Mitte der 1960er Jahre hinzieht. Die Etablierung als eine moderne Volksund Regierungspartei, Phase drei, erstreckt sich bis zur Abwahl der Regierung Albrecht 1990. Die vierte Phase erfasst die Umbrüche seit 1990, also weitgehend die Ära Christian Wulff. Ob sich mit der Niederlage der CDU bei der Landtagswahl 2013 eine Zäsur ereignete, die eine fünfte Entwicklungsphase einläutet, lässt sich gegenwärtig noch nicht beurteilen.

 
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