Die CDU in Niedersachsen – Organisation und Gliederung

Im Folgenden soll der Blick stärker auf die organisatorischen Strukturen und ihre Bedeutung für die CDU in Niedersachsen gerichtet werden. Dabei sollen die Entwicklung der Struktur des Dachverbandes im Kontext der föderalen Gliederung der Partei und die heutige satzungsmäßige Ausgestaltung der Organisation skizziert werden. Anschließend wird die Bedeutung der dreigliedrigen Grundordnung der Landesverbände diskutiert, wobei überwiegend auf die Binnensicht von Parteivertreterinnen und -vertretern zurückgegriffen wird. Zu diesem Zweck wurden zwei Gespräche mit Spitzenfunktionären der Landesverbände in Oldenburg und Braunschweig geführt.40

Erfolgreiches Scheitern –

wie die CDU Niedersachsen nicht zustande kam

Die scheinbare Rückständigkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft der niedersächsischen Unionsverbände lässt sich vor dem Hintergrund der Goslarer Gründung des Dachverbandes CDU in Niedersachsen etwas relativieren. Denn ein solches Dach hatten die anderen mehrgliedrigen Landesverbände in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg nicht geschaffen. In diesen Ländern existierten bis zur Fusion der Landesverbände bloß temporär aktivierte Spitzenkonferenzen bzw. koordinierende Landespräsidien mit begrenztem Einfluss.41 Insofern befand sich die CDU in Niedersachsen 1950 in einer Vorreiterrolle. Die „Vereinbarung“ der Landesverbände erfolgte „in der Erkenntnis, daß die Stärkung der Schlagkraft der CDU“ eine Notwendigkeit ist.42 Dem seit 1947 bestehenden Zentralausschuss wurden als weitere Organe ein Parteitag, ein Zentralvorstand sowie eine exekutiv tätige Landesleitung zur Seite gestellt. Auch eine Etablierung von Fachausschüssen beim Zentralvorstand wurde in der Satzung festgeschrieben. Streitigkeiten zwischen den Verbänden und Ebenen sollten durch einen Schlichtungsausschuss bereinigt werden. Dennoch wurde bereits in der Präambel der Satzung die Autonomie der selbstständigen Landesverbände festgeschrieben.

In der Praxis beschränkte sich die Kooperation jedoch auf ein Mindestmaß. Das meiste, was über die basalen Notwendigkeiten der Zusammenarbeit hinauswies, wurde abgeblockt, insbesondere, wenn es die Zentralisierung von Organisationsressourcen betraf, wie Informationen über Mitgliederbestände.43 Dabei war es vor allem der mehrheitlich katholischen Landesverband Oldenburg, der sich als Vetomacht hervortat, da er einerseits eine Übervorteilung durch die Protestanten infolge des angewandten Konfessionsproporzes fürchtete und weil dieser, andererseits, aufgrund seiner Organisationsmacht mit einem soliden Selbstbewusstsein ausgestattet war.44 So verhinderten die Oldenburger mit ihrem Landesvorsitzenden August Wegmann bis in die 1960er Jahre hinein jede weiterreichende Zentralisierung. Auch die machtvolle Stellung der Landesverbände innerhalb der CDU dürfte für den Autonomiewunsch verantwortlich gewesen sein. Diese speiste sich in den 1950er Jahren aus einem innerparteilichen Dualismus zwischen Adenauers Machtzentralisierungspolitik und dessen föderaler Gegnerschaft. Diesen Widerstand konnte Adenauer lediglich einhegen, jedoch nicht brechen.45 Die Mühen bei der elektoral unverzichtbaren Sammlung des bürgerlichen Lagers ließen zunächst auch keine ernsthaften Versuche der Verbandsreform zu; einen weiteren Konfliktherd hätte der Dachverband wohl nur schwer kontrollieren können.

So erscheint es logisch, dass der nächste Vorstoß zur Zentralisierung erst in die bundesweite Reformphase der CDU Ende der 1960er Jahre fiel. Die Hebel, um das schwierige Thema wieder aufzunehmen, waren zum einen die notwendige Anpassung an das 1967 verabschiedete Parteiengesetz, welches eine Demokratisierung des inneren Parteilebens vorschrieb, zum anderen die von der rot-schwarzen Landesregierung in diesen Jahren eingeleitete Gebietsreform. Einen weitreichenden Zentralisierungsvorschlag, den der Vorstand des Dachverbandes im Vorfeld des bereits erwähnten Bad Rothenfelder Parteitages präsentierte, beantworteten die Oldenburger mit einem Gegenentwurf im Sinne einer starken Föderalisierung. Die folgenden Verhandlungen verliefen zäh46 und führten schließlich zu einer bis heute gültigen Satzung des Dachverbandes, die zwar durchaus die Organe auf Landesebene stärkte, die Autonomie der kleinen Verbände jedoch nicht berührte. Insbesondere der Landesvorstand ging gestärkt aus den Reformen hervor. Der Landesvorstand wurde nun mehrheitlich vom Parteitag gewählt. Der niedersächsische Vorsitzende hatte nun eine echte Führungsrolle inne und nahm keine Präsidialfunktion als primus inter pares ein.

Die neue Satzung wurde hinsichtlich der Zentralisierungswirkung differenziert beurteilt. Während Zick zu Zeiten der Führungskrise im Zuge des 68er-Parteitages vor allem eine Stärkung des Eigenlebens der Landesverbände erkannte und die weitreichendste Wirkung in der Ablösung der Landtagsfraktion als Klammer der drei Verbände durch die Partei sah47, sah Schmid die drei Landesverbände infolge der Reform faktisch zu Bezirken degradiert.48 Für Niedersachsen waren somit nachhaltige Fakten geschaffen worden, die Satzung wurde seither lediglich punktuell angepasst. Anders als in Baden-Württemberg (1971) und Nordrhein-Westfalen (1986) blieb eine Fusion der Landesverbände in Niedersachsen aus. Hier schienen sich funktionierende Strukturen herausgebildet zu haben, deren Überwindung im Sinne eines konservativen Pragmatismus nicht mehr für notwendig erachtet wurde. Ein letzter vom Landesvorstand 1972 initiierter Fusionsplan kam aufgrund des Oldenburger Vetos gar nicht erst zur Diskussion.49 Nur der hannoversche Landesverband vollzog seit den 1970er Jahren einen starken Rückbau seiner Organisationsstrukturen (s. Kap. 3.2).

Die beiden langen Regierungsphasen unter Albrecht sowie unter Wulff und McAllister zeugten auch nicht von einer Notwendigkeit für weitreichende Parteireformen. Dennoch waren infolge des Bonner Regierungswechsels von 1969 und im Zuge der Reformen des Bundesverbandes Zentralisierungstendenzen auszumachen. Zum einen stärkte die von Bruno Heck und Kurt Biedenkopf vorangetriebene Parteireform die Bundesgeschäftsstelle und den Bundesvorstand als Machtzentren und auch die Bundestagsfraktion gewann in den Oppositionsjahren an Bedeutung.50 Zum anderen gewannen die Landesregierungen über ihren Einfluss im Bundesrat an bundespolitischem Gewicht.51 Ähnlich wirkte sich die Aufwertung der CDU-Ministerpräsidentensowie der Fraktionsvorsitzendenkonferenzen aus52 – Gremien, an denen die Landesverbände bestenfalls mittelbar beteiligt waren, wenn ihre Mitglieder diese Positionen einnahmen. Umgekehrt koordinierten sich auch die Landesverbände untereinander nun verstärkt, wie im für Norddeutschland und WestBerlin gegründeten „Soltauer Kreis“.53 Insgesamt nahm die Verflechtung in der Partei in enormem Maße zu, ohne dass sich daraus zwingend eine Zentralisierung ergab.54 Der Einfluss der kleinen Landesverbände lässt sich seitdem verstärkt nur noch über die komplexen Konstellationen personeller Verflechtung und informeller Netzwerke rekonstruieren.

 
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