Alternative für Deutschland

Als in der krisenhaften Zuspitzung der finanziellen Lage einiger Euro-Länder die Oppositionsparteien keine überzeugende Position zur Politik der Bundesregierung entwickelten, formierte sich gegen die als „alternativlos“ bezeichneten „Rettungsschirme“ eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD). Der von breiter Medienresonanz begleitete Gründungsparteitag am 14. April 2013 wählte den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, den Journalisten Konrad Adam und die Chemikerin Frauke Petry zu gleichberechtigten Vorsitzenden. Ihnen gelang es rasch, „eine flächendeckende, funktionsfähige Organisationsstruktur und eine tragfähige Mitgliederbasis aufzubauen“.94 Politisch forderte die AfD vor allem eine „geordnete Auflösung“ der europäischen Währungsunion, kurz: die Abschaffung des Euro.

Bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 scheiterte die AfD knapp mit 4,7 Prozent, bei der Europawahl 2014 gewann sie mit 7,1 Prozent der Stimmen sieben Mandate und im Herbst 2014 erzielte sie bei drei Landtagswahlen in Ostdeutschland Ergebnisse von zehn bis zwölf Prozent. Nach sozialstatistischen Merkmalen sind überdurchschnittlich viele AfD-Wähler Männer95 und Ostdeutsche. Für den Wechsel zu dieser Partei, insbesondere früherer FDP-, Kleinparteiund Nichtwähler, lassen sich als Themen sowohl die Eurokrisenals auch die Einwanderungspolitik nachweisen. Mit ihrem Politikangebot und ihrer professionell angelegten Kommunikation stieß die AfD bei der Bundestagswahl in zwei Lücken, die alle anderen Parteien durch ihre Krisenpolitik und deren aktives Beschweigen im Wahlkampf geschaffen hatten.96

Der im Herbst 2014 durch den Blätterwald rauschende Einstieg der AfD in den Goldhandel offenbart vor allem den Willen der Parteiführung, die Möglichkeiten einer unpräzisen Formulierung des Parteiengesetzes („selbst erwirtschaftete Einnahmen“) zum eigenen Vorteil zu nutzen – und so wenigstens einen Fehler der Piratenpartei (den wiederholten Verzicht auf einen Teil der möglichen Staatszuschüsse) zu vermeiden.97 Zu den aktuellen Problemen der AfD gehört ein ambivalentes Erscheinungsbild, das mit dem Richtungsstreit zwischen einem national-konservativen und einem marktradikalen Flügel nicht hinreichend erklärt ist. Hinzu kommen rechtspopulistische Rhetorik und Themen (wie Zuwanderung in die Sozialsysteme), die nicht nur der Hitze von Wahlkämpfen geschuldet sind. Auch sonst wurde die notwendige Abgrenzung zu rechtsextremen Aktivis-ten als Aufgabe offenbar unterschätzt. Nach dem Beinahe-Erfolg bei der Bundestagswahl eskalierten die innerparteilichen Schwierigkeiten.98 Bernd Lucke sprach zunächst davon, dass man sich in einer Phase der gesteigerten „Lebendigkeit“99 befinde; fast ein Jahr später klagte er dann über „Querulanten und Rechthaber“100 in der AfD. Im Mai 2015, nach den durchaus erfolgreichen Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen, traten dann heftige innerparteiliche Machtkämpfe zutage, die auch einen Absturz der AfD in die politische Bedeutungslosigkeit erwarten lassen.101

Fazit

Insgesamt bleibt die Bedeutung der hier erörterten Parteien für die niedersächsische Landespolitik gering: Die politische Vorläuferin der DP „erfand“ das Land Niedersachsen, seine konkrete Gründung vollzogen andere (die britische Besatzungsmacht im Einklang mit Hinrich Wilhelm Kopf). Ein BHE-Minister stellte die Weichen für die Sonderrolle des Landes bei der Volkswagen AG und der Stiftung Volkswagenwerk (seit 1989: VolkswagenStiftung). Existenz und Verhalten der SRP veranlassten die Erprobung des Arsenals der „wehrhaften Demokratie“ aus Art. 21 GG. Die DZP verdeutlichte für alle anderen politischen Kräfte die Existenz einer katholischen Bevölkerungsminderheit und bereitete so den Weg für das Niedersachsen-Konkordat (und dessen praktische Konsequenz, das Ende der historischen Konfrontation zwischen SPD und Katholizismus).

Die DRP trug durch ihre Hospitation in der BHE-FDP-Fraktion (ebenso wie die Schlüter-Krise102) zur Klärung der demokratischen Substanz in diesen Parteien bei. Der Wahlerfolg der NPD 1967 „erzwang“ eine große Koalition zur Bildung der Landesregierung; ihre Niederlage 1969 ermöglichte die Bildung der sozial-liberalen Bundesregierung (und damit den ersten parlamentarischen Machtwechsel) auf Bundesebene. Die KPD und die Linkspartei hinterließen keine bleibende Einwirkung auf die Landespolitik (in Niedersachsen), das niedersächsische Parteiensystem und die bundespolitische Situation. Die Piraten und die AfD zeigen, dass neue Parteien auch heute (nicht nur 1950, selbst in Niedersachsen) möglich sind und demonstrieren zugleich die Schwierigkeiten solcher Parteien, langfristig eine Position im Parteiensystem einzunehmen.

 
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