Verknüpfung mit der Organisationssoziologie
Diese theoretischen Schwächen in Ansätzen des Kommunikationsmanagements (Corporate Communications, Unternehmenskommunikation etc.) werden zunehmend erkannt und diskutiert (vgl. Zerfaß/Rademacher/Wehmeier 2013). Dabei wird insbesondere in der Verknüpfung der PR-Forschung mit den Erkenntnissen und Methoden der US-amerikanischen Forschungstradition „organizational communication“, die bislang noch zu wenig von der deutschen Kommunikationswissenschaft rezipiert worden sei, Potenzial für eine gegenseitige Befruchtung gesehen (vgl. Wehmeier/Rademacher/Zerfaß 2013; Theis-Berglmaier 2013; Christensen/Cornelissen 2013).
Seit Beginn der 2000er Jahre ist in der US-amerikanischen Organisationskommunikationsforschung eine Theorieströmung entstanden, die sich mit der Rolle von Kommunikation bei der Konstitution von Organisationen befasst – die so genannte CCO-Perspektive („Communication Constitutes Organization“). Danach wird in Kommunikation ein wesentlicher Baustein des Organisierens gesehen (vgl. u.a. Taylor/van Every 2000; Ashcraft et al. 2009; Putnam/Nicotera 2009). Auch wenn es unterschiedliche theoretische Perspektiven auf die genaue Rolle der Kommunikation bei der Organisationsbildung gibt, so ist den verschiedenen Vertretern jedoch der Verweis auf die konstitutive und formative Rolle von Sprache und Sprechen bei der kollektiven Sinngebung und sozialen Koordination gemein. Der CCO-Ansatz geht davon aus, „dass die Organisation eine evolutionär-kontingente und diskursiv hergestellte Entität ist, die sich aus miteinander verwobenen, internen und externen Kommunikationsprozessen herausbildet“ (Wehmeier/Rademacher/Zerfaß 2013: 17). Organisationen seien danach mehrstimmig und bestünden aus unterschiedlichen Diskurssträngen, Kommunikationsformen (informell und formell) und -medien und deren Interaktion (vgl. Christensen/Cornelissen 2013: 57). Die polyphone Struktur von Organisationen betonen auch Humphreys/Brown (2002): „organizations are not discursively monolithic, but pluralistic and polyphonic, involving multiple dialogical practices that occur simultaneously and sequentially.“
Wichtig ist hier nicht nur der Bezug zur Organisation als wichtiger Größe für die Analyse kommunikativer Prozesse, wie etwa bereits in den oben genannten organisationstheoretischen PR-Ansätzen enthalten ist, die sich stark auf eine manageriale und damit betriebswirtschaftliche Sichtweise fokussieren, sondern insbesondere der Bezug zur Organisationstheorie aus soziologischer Sicht. „Erst in jüngerer Zeit mehren sich die Hinweise auf mögliche Erträge, die die Kommunikationsund Medienwissenschaft durch organisationssoziologische Sichtweisen gewinnen kann“ (Altmeppen 2006: 11f.).
So erkennen Teile der PR-Forschung an, dass unterschiedliche Organisationstypen und -formen auch Auswirkungen auf die Art der Kommunikationsausübung haben, ebenso dass PR-Forschung einer organisationssoziologischen Fundierung bedarf (vgl. Ihlen/van Ruler/Frederiksson 2009). Theis-Berglmair (2003: 565) weist auf die enge Beziehung zwischen Public Relations und Organisationskommunikation hin:
„Während sich Public Relations als weitgehend eigenständiges Forschungsfeld losgelöst und unabhängig von der Organisationskommunikation entwickelt hat, gestaltet es sich im Zuge der Etablierung eines umfassenden, integrierten Kommunikationsmanagements, wie es von vielen Organisationen und Unternehmen gegenwärtig angestrebt wird, immer schwerer, interne und externe Kommunikationsprozesse völlig getrennt voneinander zu behandeln, geschweige denn eindeutig abzugrenzen, wo das ‚Innen' einer Organisation aufhört und das ‚Außen' beginnt.“
Theis-Berglmair (2013: 38) stellt weiterhin fest:
„A turn towards a more sophisticated concept of organization and of communication would help us develop the dynamic potential of this research area. As soon as we recognize the communication dimension of organizations scholars of communication science might also experience organizations as a possible point of reference for their discipline – and vice versa.“
Um diesen Standpunkt einzuordnen, ist ein kurzer Überblick über die deutschsprachige PRund Organisationskommunikationsforschung notwendig. Für die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft gilt, „dass PR und Organisationskommunikation in einem Atemzug genannt werden […], die Forschungsthemen sich aber fast ausschließlich auf Public Relations beziehen“ (Wehmeier/Zerfaß/Rademacher 2013).
Beide Untersuchungsfelder haben sich insbesondere in Deutschland relativ unabhängig voneinander entwickelt, was zu unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen, Epistemologien und Methoden geführt hat (vgl. im Folgenden Wehmeier/Rademacher/Zerfaß 2013: 7-23). Während die PR-Forschung den Blick primär auf die Kommunikation einer gegebenen Organisation – meist eines Unternehmens – mit seinen externen Stakeholdern (Kunden, Auftraggebern, Politik) richtet, untersucht die Organisationskommunikation in der Regel eher interne, sowohl formelle als auch informelle Kommunikationsprozesse und strukturen (vgl. auch Theis-Berglmair 2013: 25ff.). Diese Trennung in nach außen gerichtete Public Relations und im Inneren stattfindende Organisationskommunikation sei auch durch die frühe, prä-autopoietische, Systemtheorie noch gefördert worden, die auf der Annahme basierte, dass Organisationen eine „Umwelt haben“, d.h. dass eine klare Trennung zwischen Innen und Außen möglich sei (vgl. Theis-Berglmair 2013: 31).
PR-Forscher liefern, in Tradition der Betriebswirtschaftslehre, systematische, oft quantitativ belegte, praxisorientierte Ergebnisse, die der Verbesserung und Optimierung kommunikativer Strategien und Methoden von Unternehmen dienen. Die Organisationskommunikation hingegen basiert auf einer sozialkonstruktivistischen Epistemologie, die entsprechend die Konstruktionsprozesse (über Zeichen, Diskurse, Macht) von Wirklichkeit erforscht, und bei der ein „objektives Außen“ nicht denkbar ist. Hier stehen eher die internen, informellen Kommunikationsprozesse einer Organisation im Vordergrund, die die Organisation überhaupt erst hervorbringen. (vgl. u.a. Taylor/van Every 2000).
Seit Ende der 90er Jahre wird von Seiten der Sozialund auch der Sprachwissenschaften zunehmend versucht, Elemente und Perspektiven der Organisationskommunikationsforschung auf die Agenda der Kommunikationswissenschaften zu bringen (vgl. TheisBerglmair 2003, Hahne 1998, Menz/Müller 2008).
Zerfaß et al. (2013) liefern hierzu einen ersten Überblick über Positionen in der deutschsprachigen PRund Organisationskommunikationsforschung, die als Basis für eine disziplinäre Annäherung und gegenseitige Befruchtung dienen. Die Forschung zu Organisationskommunikation im US-amerikanischen Verständnis könne etwa davon profitieren, „wenn sie stärker auch auf Kommunikationsprozesse zwischen Organisationen und Stakeholdern schaut und dann den Einfluss dieser Kommunikation auf die Konstitution der Organisation analysiert“ (Wehmeier/Rademacher/Zerfaß 2013: 17), d.h. die Organisation als eingebettet in ein Netzwerk aus Stakeholderbeziehungen begreift (vgl. Raupp 2011).
Die PR-Forschung – und damit auch die Forschung zu Kommunikationsmanagement (Corporate Communications, Unternehmenskommunikation) – hingegen könne im Gegenzug lernen, „dass die Organisation eine evolutionär-kontingente und diskursiv hergestellte Entität ist, die sich aus miteinander verwobenen, internen und externen Kommunikationsprozessen herausbildet“ (Wehmeier/Rademacher/Zerfaß 2013: 17). Damit geht eine Relativierung von der „managerialen und positivistischen Vorstellung, Kommunikation beherrschen und steuern zu wollen“ (Sandhu 2013: 147) einher und ein zusätzlicher Fokus auf die „gesellschaftliche Einbettung und Konstruktion von Organisationen und ihrer Kommunikation“ (ebd.).
Wie die Erörterung der Organisationstheorie deutlich gemacht hat, ist die Grenzziehung zwischen einer Organisation und ihrer Umwelt bereits ein kognitives Konstrukt, das in keiner objektiven Realität begründet ist. Am Stakeholderansatz lässt sich sehen, dass diese Grenze durchaus als fließend zu betrachten ist. Durch Verflechtungen der Unternehmung mit ihrer Umwelt kann man nicht mehr von geschlossenen, privaten oder autonomen Unternehmungen sprechen: Sie sind vielmehr in ein Kräftefeld aus Bezugs und Anspruchsgruppen eingebunden (vgl. Ulrich 1977). Stakeholder sind nicht mehr nur Objekt der Organisation und ihrer Kommunikation, sondern werden selbst zum Subjekt und Teil der Organisation (Karmasin 2007: 81). So existiert eine Organisation nicht autonom, sondern sie ist mit ihren Umwelten auch kommunikativ integriert. Es entsteht ein organisationales Feld, in dem Stakeholder auf vielfältige Weise einbezogen sind (vgl. Weder 2007: 24).
Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Grenzziehung der Organisation immer eine Konstruktion sein muss:
„Die Grenze zwischen Organisation und Umwelt ist weder naturhaft gegeben noch bloß zufällig, sie ist absichtsvoll hergestellt und weist ein gewisses Maß an Stabilität auf. Eine Organisation kann nur bestehen, wenn es ihr gelingt, eine Grenze zur Umwelt aufrecht zu erhalten. Dabei kann sich die Grenze immer wieder verändern“ (Schreyögg 2008: 9).
Organisationen „haben“ also keine Umwelt, sondern sie „schaffen“ sich eine Umwelt – so lässt sich die organisationssoziologische Perspektive auf die Organisation-UmweltBeziehung zusammenfassen (vgl. Theis-Berglmair 2013). Eine Umwelt ist danach eine Konstruktion der Organisation.
Aus Perspektive des Managements – und insbesondere auch des Kommunikationsmanagements – kann es dabei jedoch durchaus sinnvoll sein, die Organisations-UmweltGrenze als gegeben zu sehen oder so darzustellen, um Konsistenz herzustellen und handlungsfähig zu sein. Theis-Berglmair (2013) verweist besonders auf Karl E. Weicks Konzept des “enactment“ (Weick 1977), welches betont, dass Organisationen und ihre Mitglieder sich ihre Grenzen und Umwelt so konstruieren, dass sie ihnen ermöglichen, „sinnvolle“ Handlungen durchzuführen: „If organizational members discover that inside/outside is a useful punctutation, and impose it, and retain it because it allows them to take reasonable actions, fine“ (Weick 1977: 274). Ähnlich wie später Niklas Luhmann (2000) und Dirk Baecker (1999) betont Weick, dass die Konstruktion von Organisationen (über Abgrenzung) primär dazu diene, Geschehnissen einen „Sinn“ und eine Kausalität zu verleihen, Ambiguitäten zu reduzieren und der Orientierung und Ordnung ihrer Mitglieder zu dienen:
„Members act as if they have environments, create the appearance of environments or simulate environments for the sake of getting on with their business. These organizing acts are acts of invention rather than acts of discovery, they involve a superimposed order rather than underlying order, and they are based on the assumption that cognition follows the trail of action“ (Weick 1977: 178).
Christensen/Cornelissen (2013) verweisen hier – mit Referenz auf die CCO-Perspektive – auf die besondere Bedeutung, die Sprache und Kommunikation in diesem „enactment“Prozess einnehme:
„Collective sense making, to the extent that it involves communication, takes place in interactive talk and draws on institutionalized resources of language to formulate and exchange through talk symbolically encoded representations of the jointly experienced circumstances (…) Communication and the collective sense making that emerges from it, is thus, an act of turning circumstances into a situation that is comprehended explicitly in worlds and that serves as a springboard to action“ (Christensen/Cornelissen 2013: 51).
Ist die Umwelt einer Organisation erstmal konstruiert, ist es im Sinne des Kommunikationsmanagements, diese durch ihr Handeln zu erhalten: „organizations tend to preserve their interpretation of reality“ (Theis-Berglmair 2013: 33). Diese Weltsicht wird dann häufig mithilfe interner Kommunikation den Organisationsmitgliedern nahegebracht: „what are we doing and why?“ (Theis-Berglmair 2013: 33)
Christensen/Cornelissen (2013) weisen darauf hin, dass es aus strategischer Sicht dabei durchaus sinnvoll sein könne, undeutliche und mehrdeutige Formulierungen in der Kommunikation zu verwenden, um gerade bei einer großen Heterogenität von Stakeholdern in alle Richtungen anschlussfähig zu bleiben: „vague and equivocal language allows organizations to talk about themselves in ways that integrate a variety of members and stakeholders without alienating anyone“ (S. 58).
Es mag jedoch immer wieder Zeitpunkte geben, in denen die Grenzziehung der Organisation und damit die Organisations-Umwelt-Beziehung neu definiert wird (vgl. TheisBerglmair 2013: 34). Theis-Berglmair (2013) spricht hier auch von Strukturentstehung und Strukturverfestigung bzw. „openness“ und „closure“: Zu bestimmten Zeitpunkten – z.B. in der Gründungsphase, aber auch bei Veränderungen der Organisation von innen oder außen
– herrscht „openness“, d.h. die inneren Strukturen, die Grenzziehung und das Bild von der Umwelt der Organisation sind im Fluss. In Phasen, in denen „closure“ herrscht, haben die Rollenträger der Organisation ein weitgehend gefestigtes Bild von der Organisation, ihren Zielen, dem Rollenverständnis und der Umwelt. Kommunikation diene hier dazu, dieses Bild – d.h. diese Strukturen – möglichst zu verstetigen, sowohl bei den Rollenträgern und Mitgliedern der Organisation wie auch den Stakeholdern in der Umwelt. Dieses Bild könne sich in einer Phase der „openness“ aber wieder wandeln und danach diene Kommunikation dazu, das neue Bild der Organisation und ihrer Umwelt zu etablieren und zu verfestigen.