Forschungsprozess

Datenerhebung

Forschungsleitende Annahmen im Kontext der Zusammenstellung des Datenkorpus

Um aus einer diskursanalytischen Perspektive zu untersuchen, wie das Wissen über die bildungsbereichsübergreifende Umsetzung lebenslangen Lernens von Bildungsexpertinnen und -experten ausgehandelt, kodifiziert und tradiert wird, welche Schwerpunkte dabei gesetzt werden, an welchen es Konsens und wo es unterschiedliche Haltungen und Positionen gibt, setzt sich das Datenkorpus aus zwanzig Experteninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Elementarbereich, dem Sekundarbereich I, der Erwachsenenbildung/Weiterbildung sowie aus der Bildungspolitik zusammen. Somit ist das Datenkorpus in vier Expertengruppen untergliedert.

Abbildung 3: Übersicht Datenkorpus der Untersuchung

Die Entscheidung vier verschiedene Expertengruppen im Forschungsdesign zu berücksichtigen, wurde von der Annahme geleitet, dass jede Expertin/jeder Experte lediglich Aussagen zum lebenslangen Lernen und dessen bildungsbereichsübergreifender Umsetzung bezogen auf das eigene Handlungsfeld treffen kann. Um eine bildungsbereichsübergreifende Perspektive zu gewährleisten, müssen – so der Rückschluss – mehrere Bildungsbereiche in die Untersuchung miteinbezogen werden. Für die Zusammenstellung der genannten Bereiche im Rahmen des Datenkorpus sind die folgenden Gründe anzuführen:

§ Der Elementarbereich mit dem Fokus auf die frühkindliche Förderung stellt die erste Instanz im institutionellen Ablaufund Erwartungsmuster des Erziehungsund Bildungssystems dar. In diesem Bereich lassen sich vor allem in den letzten Jahren verstärkte Professionalisierungstendenzen vermerken (vgl. Dellori & Nittel 2011). Vor diesem Hintergrund kann auch die Neugestaltung der Bildungsund Erziehungspläne in den einzelnen Bundesländern betrachtet werden, welche die Bedeutung der frühkindlichen Förderung bei der bildungsbereichsübergreifenden Umsetzung lebenslangen Lernens untermauert. [1]

§ Nach dem Elementarbereich folgt im deutschen Bildungssystem der große Bereich des Schulsystems mit der Untergliederung in Primarbereich, Sekundarbereich I und Sekundarbereich II. Der Sekundarbereich I des deutschen Schulsystems umfasst die Jahrgangsstufen fünf bis zehn (Ausnahme stellen die Bundesländer Berlin und Brandenburg dar; hier existiert eine sechsjährige Grundschule.) und die Schularten Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule (vgl. Kultusminister Konferenz 2012). Für die Forscherin ist der Sekundarbereich I von Interesse, da dieser durch seine institutionelle Verortung zwischen Primarund Sekundarbereich II eine – so die Annahme der Forscherin – eher autarke Position bzgl. einer bildungsbereichsübergreifenden Umsetzung des lebenslangen Lernens einnimmt. D. h. er ist nicht Bestandteil einer bildungsbereichsübergreifenden Übergangsphase im institutionellen Ablaufund Erwartungsmuster des Erziehungsund Bildungssystems. Während beispielsweise bildungsbereichsübergreifende Kooperationen zur Gestaltung des Übergangs der Klientel zwischen Kindergärten und Grundschulen existieren (vgl. Schütz & Reupold 2010), ist für den Sekundarbereich I eher der Übergang innerhalb des Schulsystemsvon Bedeutung, beispielweise von der Grundschule zur weiterführenden Schule. Für die eigenen Arbeitsabläufe und die Erfüllung des pädagogischen Mandats erscheint eine bildungsbereichsübergreifende Zusammenarbeit außerhalb des Schulsystems nicht unbedingt notwendig. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist es interessant zu erfahren, wie sich hier der Diskurs über die bildungsbereichsübergreifende Umsetzung des lebenslangen Lernens gestaltet.

§ Die Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist für die Untersuchung relevant, da sie jenen komplexen Bereich darstellt, der die pädagogisch intendierten Lernprozesse Erwachsener (vgl. Seltrecht 2012) „ (…) im Anschluß an die schulische und die universitäre Sozialisation“ (Kade, Nittel & Seitter 1999:

29) umfasst. Die Erwachsenenbildung/Weiterbildung, die u. a. infolge der internationalen bildungspolitischen Diskussion über das lebenslange Lernen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre einen Institutionalisierungsschub in Deutschland zu verzeichnen hatte (vgl. a.a.O.: 52, 57; Hof 2009: 19-20), sieht in der Förderung des lebenslangen Lernens bei ihrer Klientel eine ihrer pädagogischen Hauptaufgaben (vgl. Dellori & Wahl 2012: 222225). Diese Selbstbeschreibung spiegelt sich auch in einigen Weiterbildungsgesetzen der Bundesländer wider, welche die Erwachsenenbildung/ Weiterbildung als wesentlichen Baustein bei der Institutionalisierung lebenslangen Lernens betrachten (vgl. z. B. Hessisches Weiterbildungsgesetz, Weiterbildungsgesetz Schleswig-Holstein). Aufgrund der historischen Entwicklungsgeschichte der Erwachsenenbildung/Weiterbildung sowie dem dargestellten Selbstbild ist von Interesse zu schauen, welche Einstellungen und Erfahrungen zur bildungsbereichsübergreifenden Umsetzung lebenslangen Lernens bei den Akteurinnen und Akteuren der Erwachsenenbildung/Weiterbildung existieren.

§ Der öffentliche Diskurs über das lebenslange Lernen und dessen bildungsbereichsübergreifender Umsetzung ist stark durch internationale, europäische sowie nationale bildungspolitische Entscheidungen geprägt (vgl. Europäische Kommission 2000; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001; Bund-Länder-Kommission 2004; Europäische Kommission 2010; Faure et al. 1973) und nimmt mit entsprechenden Förderprogrammen (z. B. Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken [2], HESSENCAMPUS Lebensbegleitendes Lernen

[3], Lernen vor Ort [4]) Einfluss auf die unmittelbare pädagogische Praxis. Vor diesem Hintergrund ist es für die Forscherin interessant zu erfassen, wie der Diskurs über die bildungsbereichsübergreifende Umsetzung lebenslangen Lernens außerhalb von schriftlich tradierten Leitlinien und Empfehlungen auf der bildungspolitischen Ebene durch entsprechende Entscheidungsträger/-innen geführt wird und inwiefern sich dieser mit dem der zuvor genannten Expertengruppen deckt bzw. unterscheidet.

  • [1] Vgl. hierzu z. B. Bildungsund Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen (vgl. Hessisches Sozialministerium & Hessisches Kultusministerium 2007) oder der Bayerische Bildungsund Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik München 2005).
  • [2] Nähere Informationen zu dem BMBF-Förderprogramm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ (Laufzeit 2001 bis 2007) sind unter bildungsserver.de/innovationsportal/zeigen.html?seite=5542 [Stand 18.12.2012] zu finden
  • [3] Nähere Informationen zu der Entwicklungspartnerschaft der Hessischen Landesregierung

    „HESSENCAMPUS Lebensbegleitendes Lernen“ mit 21 hessischen Regionen sind unter hessencampus.de/ueber-uns/wofuer-steht-hc/ [Stand 18.12.2012] zu finden

  • [4] Nähere Informationen zu dem BMBF-Förderprogramm „Lernen vor Ort“ (Laufzeit Förderphase II 2009 bis 2014) sind unter lernen-vor-ort.info/de/98.php [Stand 18.12.2012] zu finden
 
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