Kaufmannsbriefe
Erwähnenswert für die Zeitungsgeschichte sind neben Flugschriften die sogenannten Kaufmannsbriefe, die seit 1380 – also noch vor Gutenbergs Erfindung des Buchdruckes 1445 – nachweisbar erschienen. Die Notwendigkeit der Kaufmannsbriefe liegt auf der Hand: Die Händler im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit transportierten ihre Waren über weite Distanzen. Zur Einschätzung der Marktlage waren sie auf sichere, richtige, unverfälschte Informationen aus den Zielorten ihrer Handelstätigkeit angewiesen. Sie brauchten Berichte von verlässlichen, ortskundigen Quellen. Da die Nachrichten auch nicht von Geschäftsinteressen beeinflusst sein sollten, schieden die direkten Handelspartner oft als Verfasser der Berichte aus. Mitunter konnte der Händler auf einen Verwandten zurückgreifen oder auf einen Vertreter seines Unternehmens, der vor Ort war. Doch nicht immer war das möglich. Diese „Marktlücke“ bzw. eben „Informationslücke“ erkannten Dienstleister, die bald gewerbsmäßig Kaufmannsbriefe schrieben und sie gegen Bezahlung an feste Abnehmer schickten. Es entstanden regelrechte Verlage für Kaufmannsbriefe, die Korrespondenten in wichtigen Städten anstellten, die für sie berichteten.
Anfangs dürften die Kaufmannsbriefe direkt zusammen mit den Warentransporten verschickt worden sein. Große Handelshäuser organisierten auch eigene und exklusive Korrespondentennetze. So entstand zum Beispiel die Fuggerzeitung: Berichte und Meldungen nicht nur mit wirtschaftlichem, sondern mit politischem Inhalt wurden gemeinsam mit der Korrespondenz des Augsburger Handelshauses Fugger transportiert. Das nutzte die Nachrichten nicht allein für sich, sondern veröffentliche diese in den Jahren von 1585 bis 1605. Die Fuggerzeitungen umfassen insgesamt etwa 35 000 Seiten und sind die berühmtesten der sogenannten Kaufmannsbriefe.
Mit der Entwicklung des Postversandes wurden die Kaufmannsbriefe zunehmend losgelöst vom Warentransport. Man erzielte dadurch eine größere Aktualität und Kontinuität in der Erscheinungsweise.
Die erste regelmäßig erscheinende Zeitung
Der Schritt vom Kaufmannsbrief zur regelmäßig erscheinenden Zeitung nach heutigem Verständnis fand 1605 in Straßburg unter Johann Carolus statt. Der bot seine Nachrichten nicht nur Handelsleuten an, sondern verkaufte sie auch Außenstehenden im Abonnement. Er gab 1605 erstmals die Zeitung „Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien“ heraus. Die Relation wird vom Weltverband der Zeitungen als erste Zeitung der Welt anerkannt. Wie durch den überlieferten Jahrgang 1609 belegt, erschien die Zeitung wöchentlich einmal.
Nachgewiesen ist Carolusʼ Geschichte erst seit 1987. Damals wurde im Straßburger Stadtarchiv eine Bittschrift von ihm aus dem Jahr 1605 an den Straßburger Rat gefunden. Martin Welke, Pressehistoriker und Gründer des Deutschen Zeitungsmuseums in Mainz, sowie der Straßburger Historiker Professor Jean Pierre Kintz waren die „Väter“ der Entdeckung. In der Bittschrift erklärt der Buchbinder und Nachrichtenhändler Carolus, dass er eine Druckerei aufgekauft habe und seine bis dahin wöchentlich an einige Abonnenten verbreiteten Nachrichtenbriefe oder „A[v]isen“ nunmehr „Inn meiner Truckerey dieselbigen setzen, [u]fflegen [u]nnd trucken lassen“ will, weil es „mit dem Abschreiben langsam zugangen“. Er wünscht also ein Monopol für seine neue Wochenzeitung. In der Begründung schreibt Carolus, er habe seit einigen Wochen und jetzt „das zwöhlffte Mahl“ ein gedrucktes Blatt herausgebracht. Der Rat Straßburgs lehnte die Eingabe am 21. Dezember 1605 ab. Da solche Ersuchen vom Rat meist gleich nach ihrem Eingang behandelt wurden, dürfte des Carolus Bittschrift frühestens eine Woche vor dem 21. Dezember verfasst worden sein. Zurückgerechnet muss der Beginn des Zeitungsdrucks also auf Ende September oder Anfang Oktober 1605 zu datieren sein. Jedoch ist kein Blatt aus dem Jahre 1605 erhalten. Die älteste vorhandene Ausgabe dieser Zeitung stammt erst aus dem Jahr 1609.
Als die erste regelmäßig erscheinende Zeitung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gilt der „Aviso – Relation oder Zeitung“. Dies war eine Wochenzeitung, deren erste Nummer am 15. Januar 1609 in Wolfenbüttel erschien.
Um 1615 entstand die Frankfurter Postzeitung, die in den folgenden 250 Jahren regelmäßig von Postillionen verteilt wurde und kuriose Neuigkeiten, später auch amtliche Nachrichten, im ganzen Land verbreitete und erstmals eine mit heutigen Blättern vergleichbare überregionale Bekanntheit erreichte.
Die erste Tageszeitung
Es ist gewiss kein Zufall, dass die erste Tageszeitung der Welt in Leipzig herausgegeben wurde. Die zentrale Lage im Schnittpunkt wichtiger europäischer Postrouten und der verhältnismäßig hohe Bildungsgrad in breiten Schichten der Bevölkerung sorgten bereits vor mehreren hundert Jahren für ein großes potenzielles Lesepublikum. Als Handelszentrum und Messeplatz war die Stadt prädestiniert für den schnellen Austausch von Nachrichten. Hier ergriff auch der Drucker Thimotheus Ritzsch (1614 – 1678) seine Chance und erwarb in der seit 1642 von den Schweden besetzten Stadt an der Pleiße das Privileg, von 1643 an die „Wöchentliche Zeitung“ als schwedische Postamtszeitung zu verlegen.
Als sich nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs ein Abzug der schwedischen Truppen aus Leipzig andeutete, bewarb sich Ritzsch erneut bei der zuständigen kursächsischen Regierung um ein Zeitungsprivileg, das ihm im August 1649 bewilligt wurde. Am 1. Juli 1650 erschien die erste Ausgabe der sogenannten „Einkommenden Zeitungen“ in Leipzig. Das Blatt erschien sechs-, gelegentlich sogar siebenmal die Woche. Es war damit die erste Tageszeitung der Welt.
Ende 1659 gelang es Thimotheus Ritzsch sein Zeitungsprivileg noch einmal um zwölf Jahre zu verlängern. Das nun gegründete Blatt nannte er „Neu-einlauffende Nachricht von Kriegs und Welt-Händeln“. Fast parallel brachte ein früherer Förderer Ritzschs, der Verleger Georg Kormat, ebenfalls ein tägliches Blatt heraus, die „Vollständige Leipz. Einkommende Post-Zeitungen“. Damit konnten die Leipziger Bürger schon um 1660 aus zwei konkurrierenden Tageszeitungen vor Ort auswählen.
Die Zeitungen in der Anfangszeit wiesen noch kaum eine inhaltliche Ordnung auf. Vielmehr brachten sie die Nachrichten in der Reihenfolge, wie sie beim Drucker eingetroffen waren. So stand das Aktuellste immer am Schluss. Zugleich wurden die Nachrichten häppchenweise gereicht. Das Gesamtbild der Nachrichtenlage ergab sich erst, wenn über einen längeren Zeitraum die Informationen zu einem Thema gebündelt gelesen wurden.