Die Entwicklung der Zeitungen im 20. Jahrhundert
Die 1920er-Jahre
Die 1920er-Jahre stellen einen Höhepunkt in der Zeitungsgeschichte dar: Weil die Entwicklung des Radios noch in den Kinderschuhen steckte und das Fernsehen noch lange nicht zur Marktreife gebracht worden war, genossen Zeitungen als Massenmedien quasi eine Monopolstellung. Die weltweit schnellsten Rotationspressen standen damals an der Spree; Berlin entfaltete sich unter anderem mit den Häusern Ullstein, Mosse, Scherl und später Hugenberg zur „Zeitungsstadt Berlin“, wie Peter de Mendelssohn sie nannte. Zeitungen aus den genannten Verlagen erschienen teilweise viermal am Tag: Morgenausgabe, Mittagsausgabe, Abendausgabe, Nachtausgabe. Die Vossische Zeitung, das Blatt des liberalen Bildungsbürgertums, nahm in der ersten deutschen Demokratie in etwa jene Stellung ein, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung heute in der Bundesrepublik innehat.
Namhafte Autoren der Weimarer Republik waren die Theaterkritiker Alfred Kerr und Siegfried Jacobsohn, Erich Kästner, der als freier Mitarbeiter unter anderem für das „Berliner Tageblatt“ und die „Vossische Zeitung“ sowie für „Die Weltbühne“ schrieb, Erik Reger, nach dem Zweiten Weltkrieg erster Chefredakteur des „Tagesspiegel“, der Wiener Alfred Polgar, für das „Berliner Tageblatt“ und das „Prager Tagblatt“ schrieb, sowie Erich Maria Remarque, der 1928 seinen Fortsetzungsroman „Im Westen nichts Neues“ für die „Vossische Zeitung“ schrieb, um nur einige zu nennen. Alles in allem: Für herausragende Publizisten war die Zeitung das Medium der Wahl. Sie veröffentlichten nicht nur in den klassischen Genres – Reportage und Portrait, Essay und Leitartikel, sondern wirkten literarisch.
Förderlich für die Zeitungsbranche in der Weimarer Republik war nicht zuletzt, dass die Fotografie als „Baustein für die Medien“ begriffen wurde. Drucktechnisch war es möglich geworden, fotomechanische Reproduktionen massenhaft zu verbreiten. Außerdem wurden die Fotografen durch kleinere, handlichere Kameras flexibler.
Die Berufsbezeichnung „Bildjournalist“ wurde Mitte der 1920er-Jahre von Erich Salomon geprägt. Er arbeitete in der Werbeabteilung des Ullstein Verlages und interessierte sich für Einsatzmöglichkeiten der Fotografie. Er legte sich eine Ermanox-Kamera zu. Sie erlaubte Momentaufnahmen auch bei schwachem Licht, Fotos in Innenräumen ohne Stativ und Blitzlicht. Ab 1930 machte es die legendäre Leica den Fotografen noch leichter, unauffällig und gegebenenfalls ohne Genehmigung zu fotografieren. Salomon entwickelte den typischen Stil der Fotoreportage, der damals revolutionär war und die Pressefotografie nachhaltig beeinflusste.
Zur wirtschaftlichen Situation: Peter de Mendelssohn gibt an, dass „Mitte der Zwanziger bereits rund 1 000, also mehr als ein Drittel aller damals im Reich erscheinenden Zeitungen, von Berlin aus mit Matern versorgt“ wurden, also mit einem sogenannten Mantel. Demnach gab es um 1928 „in ganz Deutschland nur etwa 35 bis 40 Zeitungen, die es sich zeitlich und finanziell leisten konnten, mehrere Nachrichtenund Korrespondenzdienste nebeneinander in Anspruch zu nehmen“. Die bei Weitem wirtschaftlich erfolgreichste Nachrichtenagentur ging auf Alfred Hugenberg zurück. Er hatte aus dem Scherl-Verlag und der Telegraphen-Union ein Medienkonglomerat aus Verlag, Nachrichtendiensten, Werbeagenturen, Filmgesellschaften und zahlreichen Zeitungsbeteiligungen aufgebaut. Der Hugenberg-Konzern hatte während der Weimarer Republik eine rechtsnationale bis schließlich offen nationalsozialistische Ausrichtung.
Obwohl die Republikschutzgesetze von 1922 und 1930 sowie die Notverordnungen von 1931 und 1932 bereits zu zahlreichen Zeitungsverboten führten, gab es gegen Ende der Weimarer Republik in Deutschland so viele Zeitungen wie nie zuvor und auch später nicht mehr. 1932 wurden 4 703 Tagesund Wochenzeitungen mit einer Gesamtauflage von 25 Millionen gezählt; die Hälfte war grundrichtungsbestimmt. Viele Blätter mussten jedoch wirtschaftlich subventioniert werden. Die Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre steigerte die ökonomische und damit auch die politische Abhängigkeit der Verlage, verstärkte den Konzentrationsprozess im Pressewesen und schwächte vor allem die demokratische und liberale Presse – sowohl quantitativ als auch qualitativ.