Vom Ersten Weltkrieg über die „Roaring Twenties“ bis 1933
Es erscheint uns heute erstaunlicherweise als selbstverständlich, wenn wir in historischen Rückblicken Aufnahmen von Kampfszenen vor Verdun oder an der Somme mit vorwärts stürmenden Soldaten und explodierenden Granaten sehen. Der Erste Weltkrieg ist jedoch der erste Krieg in der Geschichte der Menschheit, der in bewegten und bewegenden Bildern in seiner ganzen menschenverachtenden Brutalität für immer festgehalten wurde. Alle am Krieg beteiligten Staaten nutzten das neue Medium Film exzessiv für Propagandazwecke. Da England und Frankreich den Deutschen darin lange Zeit überlegen waren, drängte die militärische Führung, allen voran General Ludendorff, auf eine Intensivierung der diesbezüglichen Propagandaanstrengungen. So formierte sich im Dezember 1917 die „Universum Film AG“, kurz „Ufa“, die sich in der Folgezeit zum mächtigsten Faktor der deutschen Filmindustrie entwickelte.
Der Erste Weltkrieg isolierte die einzelnen Filmwirtschaften Europas und der USA, was für das international orientierte und produktionsstarke Frankreich einen schweren Rückschlag bedeutete. Für Deutschland und Österreich dagegen ergab sich daraus eine Befreiung von der bis dahin übermächtigen ausländischen Konkurrenz. Nicht zuletzt aufgrund dieser nationalen Isolierung gelang es den Ufa-Filmstudios, allen anderen deutschen Studios voran, sich in den 20er-Jahren zu einer der weltweit wichtigsten Produktionsstätten des künstlerischen Films zu entwickeln.
1919 wurden in Deutschland von über 200 Produktionsfirmen rund 500 Filme produziert. Es gab 3 000 Lichtspielhäuser und täglich besuchte etwa eine Million Menschen die Kinos. Die Ufa beschäftigte 1919 bereits 2 500 Mitarbeiter und es gehörten ihr elf große Kinos mit durchschnittlich 1 500 Plätzen. Ein Kinoabend in den frühen 20er-Jahren bestand – zumindest in den größeren Filmtheatern – aus einem bunten Programm, zu dem auch musikalische und tänzerische Darbietungen gehörten. Ab Mitte der 20er-Jahre blieb davon nur noch die Wochenschau und der Kulturfilm als Nebenprogramm übrig. Die meisten Kinos spielten ab 10 Uhr morgens, spätestens ab 3 Uhr nachmittags, bis Mitternacht. Niedrige Eintrittspreise ermöglichten den meisten Menschen mehr als einen Kinobesuch pro Woche.
In Deutschland und in Österreich bestand seit den 1910er-Jahren ein besonderes Interesse am künstlerischen Film. Daraus entwickelte sich Schritt für Schritt die Avantgarde des Stummfilms, die sich mit ihrer Ästhetik an der expressionistischen Malerei orientierte. Robert Wienes Film Das Cabinet des Dr. Caligari, der im Februar 1920 in die Kinos kam, markiert den Beginn dieser filmisch unvergleichlichen Stilrichtung. Dr. Caligari spielt verschiedene Rollen – er ist Psychiater, Mörder und Schausteller, der seine Zuschauer im Film, wie auch die Zuschauer im Kino, mit ihrem Einverständnis täuscht. Unterscheidungen von innen und außen, normal und verrückt, Arzt und Patient, Bürger und Monster beginnen sich aufzulösen.
Indem dieser Film mit seiner durchgängigen Doppelbödigkeit offen lässt, was Halluzination und was Wirklichkeit ist, spiegelt er die Eigenschaften eines Mediums, das beim Anschein des größtmöglichen Realismus vollkommen auf Illusion und Sinnestäuschung beruht. Einen der absoluten Höhepunkte dieser für den Zuschauer kaum noch nachvollziehbaren Vielschichtigkeit stellt der Film Matrix von 1999 dar.
Als eines der herausragenden Werke des Kinos der Weimarer Republik gilt Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens. Dabei handelt es sich um die nicht autorisierte Adaption des Romans Dracula von Bram Stoker. Dieser Spielfilm von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922 ist mit seiner dämonischen Hauptfigur und der albtraumhaften Inszenierung gequälter Seelenzustände einer der ersten Vertreter des Horrorfilms. Mit seiner visuellen Gestaltung übte er großen Einfluss auf das Genre aus. Der Film sollte nach einem verlorenen Urheberrechtsstreit 1925 vernichtet werden, überlebte aber in unzähligen Schnittversionen und zählt heute zu den absoluten Klassikern der Filmgeschichte.
Offensichtlich setzte der plötzliche Kollaps des auf Autorität gegründeten Wilhelminischen Reiches in den ersten Nachkriegsjahren Energien frei, die auch für die Filmproduktion neue Möglichkeiten eröffneten. Nach vier Jahren, in denen der Kontakt zur Außenwelt praktisch abgeschnitten war, blickte man neugierig in die weite Welt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Das indische Grabmal von 1921, das Joe May inszenierte. Das Drehbuch stammte von Fritz Lang und seiner späteren Frau Thea von Harbou, einer erfolgreichen Romanschriftstellerin. Dieser opulente Monumentalfilm mit seinen exotischen Kostümen, choreographierten Massenszenen mit Hunderten von Statisten, prächtigen Interieurs, zahlreichen Großbauten und exotischen wilden Tieren ist typisch für die deutsche Kinoproduktion der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Hier begegnete Fritz Lang auch den großen Kolportagethemen Macht, Liebe, Verrat, Verbrechen, Rache, Tod – alles Motive, die Langs spätere Filme bestimmen.
Auch das dramaturgische Konzept des Indischen Grabmals mit zwei aufeinander aufbauenden, abendfüllenden Teilen – Teil 1: Die Sendung des Yogi, Teil 2: Der Tiger von Eschnapur – entspricht den damaligen Gepflogenheiten und findet sich in anderen Produktionen jener Zeit wieder, zum Beispiel in Die Spinnen, Die Nibelungen und Dr. Mabuse, der Spieler (1921/22), gedreht von Fritz Lang in zwei Teilen mit jeweils sechs Akten, nach dem gleichnamigen, 1921 erschienen Roman von Norbert Jacques. Dr. Mabuse, das Verbrechergenie mit hypnotischen Fähigkeiten und ein Mann mit tausend Gesichtern soll dem Publikum den „schmutzigen Unterleib“ der bürgerlichen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg vor Augen führen. Dr. Mabuses Welt ist bevölkert von Aasgeiern in Frack und Zylinder.
Opulente Monumentalfilme wie Das indische Grabmal standen in krassem Gegensatz zur anhaltenden wirtschaftlichen Not nach der Inflationszeit, in der die deutsche Filmindustrie jährlich zwischen 200 und 500 Filme produzierte und damit zum drittgrößten Industriezweig des Landes aufstieg. An Größe wurde sie nur noch von Hollywood übertroffen. Dies entsprach jedoch ganz dem ungeheuren Zuspruch des Publikums. So verzeichnet die Statistik für das Jahr 1928 allein für die ca. 400 Kinos in Berlin eine Besucherzahl von rund 60 Millionen.
Ein weiteres Werk der Stummfilmzeit des deutschen Expressionismus muss trotz der stark eingeschränkten Möglichkeiten dieses historischen Abrisses in besonderer Weise hervorgehoben werden – Metropolis von Fritz Lang. Gedreht in den Jahren 1925 und 1926, war dieser Science-Fiction-Film, der in einer futuristischen Großstadt mit extrem ausgeprägter Zweiklassengesellschaft spielt, eine der teuersten Produktionen der damaligen Zeit. Präsentiert wurde die etwa zweieinhalbstündige Premierenfassung am 10. Januar 1927. Sie fiel bei den Kritikern wie auch beim Publikum durch, weswegen eine auf knapp zwei Stunden verkürzte Version hergestellt wurde. Bei der Neufassung ging etwa ein Viertel des Originals verloren. Seit 1961 wurden mehrfach Versuche unternommen, die Originalfassung wiederherzustellen. Doch erst dank einer 2008 in Buenos Aires gefundenen Kopie gelang es, die früheren Lücken weitgehend zu füllen. Diese restaurierte Fassung feierte bei der Berlinale am 12. Februar 2010 ihre Premiere. In dieser Form wurde der Film, der zu den bedeutendsten Werken der Filmgeschichte zählt, als erster überhaupt ins Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.
Unverzichtbar in einer Geschichte des Mediums Film ist die Erwähnung des zur russischen Avantgarde zählenden Künstlers Sergej Eisenstein, der die Montagetechnik maßgeblich beeinflusste. Sein bekanntester Film, Panzerkreuzer Potemkin von 1925, erzählt von einem Aufstand auf dem gleichnamigen Schiff und der Konfrontation der Meuterer mit der russischen Armee in Odessa. Eine der Szenen aus diesem Film, in der ein Kinderwagen die lange Treppe zum Hafen hinunterrollt, gehört zu den meistzitierten in der Filmgeschichte.