Die Krise des deutschen Films

Ende der 50er und Anfang der 60er-Jahre erlebte Deutschland den fast vollständigen Zusammenbruch seiner Filmbranche. Reihenweise gingen Produktionsund Verleihfirmen bankrott. Der spektakulärste Fall war die Pleite der Ufa-AG im Jahr 1962. Diese damals größte Produktionsgesellschaft Westdeutschlands ging im Jahr 1964 an den Bertelsmann-Konzern über. Auch immer mehr Kinos mussten schließen. Es gab ein regelrechtes „Kinosterben“. In den Jahren 1959 bis 1969 halbierte sich die Zahl der vorhandenen Leinwände nahezu, sie ging von 7 085 auf 3 739 zurück.

Zunächst glaubte man, es handele sich bei den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Filmindustrie um eine temporäre Krise, die aufgrund von Überproduktion und gesteigertem Import von Filmen ausgelöst worden war. Als Reaktion drosselten die deutschen Hersteller den Ausstoß von Filmen. Wurden im Jahr 1955 noch 123 deutsche Filme produziert, so waren es im Jahr 1965 nur noch 56.

Die Gründe lagen aber tiefer. Zum einen kam es als Folge des Wirtschaftswunders zu einer deutlichen Steigerung des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung. Damit nahmen die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu und sie fokussierten sich nicht mehr auf den Kinobesuch. Zugleich entwickelte sich das Fernsehen zu einem Massenmedium: Während im Jahr 1953 erst 10 000 Haushalte ein Fernsehgerät besaßen, betrug ihre Anzahl 1962 über 7 Millionen.

Der Rückgang des Interesses am Medium Film hatte aber auch einen inhaltlichen Grund. Die meisten der in den 60er-Jahren gedrehten bundesdeutschen Filme waren konventionelle Machwerke. 1962 ließ Horst Wendlandt, unter der Regie von Harald Reinl, einen der populärsten Karl-May-Romane – Der Schatz im Silbersee – filmisch umzusetzen. Daraus wurde eine Serie von insgesamt zehn Karl-May-Filmen. Gedreht wurden diese Filme in Koproduktion mit der jugoslawischen Filmfirma „Jadran-Film“, was nahe lag, weil auch die meisten Drehorte in den Gebirgslandschaften Kroatiens mit ihren weißen Kalkfelsen und den kräftig grünen Wiesen lagen.

Eine weitere Reihe von Filmen, ebenfalls von Wendlandt produziert, entstand nach den Krimis von Edgar Wallace. Vom Frosch mit der Maske über Die Bande des Schreckens bis zum Hexer traten in den über 30 Filmen immer dieselben Schauspieler auf, die ganz bestimmte, klischeehaft überzeichnete Charaktere darstellten: die verführerische Karin Dor, der zwielichtige Klaus Kinski, die braven Kommissare Heinz Drache und Joachim Fuchsberger, der schrullige Fotograf Eddi Arent und die undurchsichtige Elisabeth Flickenschildt, von der man jede Schurkerei erwarten konnte.

In diesen Filmen entwickelten sich die Figuren nicht weiter, Gut und Böse stand sich unverrückbar gegenüber. Spannung wurde im Gegensatz zum echten Thriller durch Nebelschwaden, dunkle Verliese, unheimliche Gänge, alte Herrenhäuser oder Käuzchenrufe hergestellt. Für die unvermeidliche Prise Humor hatte Eddi Arent zu sorgen. Es war diese Dominanz der ewig gleichen Serienfilme, auf die der Zusammenbruch des deutschen Kinos in den 60er-Jahren zurückgeführt werden kann.

Andererseits hatte sich das Publikum an die technisch und inhaltlich aufwändigen Hollywoodproduktionen gewöhnt, sodass Filme meistens nur noch eine Chance hatten, wenn sie etwas zeigten, was in Hollywood aufgrund der damals noch sehr strikten amerikanischen Zensurbestimmungen unmöglich war. Das heißt, diese Filme mussten entweder noch gewalttätiger oder sexuell noch freizügiger sein als die üblichen Hollywoodfilme. Als Beispiel sind zum einen die sogenannten Italowestern wie Für ein paar Dollar mehr (1965) zu nennen, die häufig als Koproduktionen mit deutscher Beteiligung (Constantin Film) gedreht wurden.

Zum anderen entstanden in dieser Zeit die Aufklärungsfilme von Oswalt Kolle und Sexfilme wie Der Schulmädchenreport (1970). Diese Filme waren zwar ökonomisch erfolgreich, wurden aber von der Filmkritik zu Recht auf das Heftigste abgelehnt. Generell befand sich das Ansehen der traditionellen deutschen Filmproduktion auf seinem absoluten Tiefpunkt.

 
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