Sekundärrechtliche Regelungen in Verordnungen, Richtlinien und Rahmenvereinbarungen

Zum sekundären EU-Recht gehören nach Art. 288 Abs. 1 AEUV Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Für das europäische Arbeitsrecht sind vorrangig Verordnungen und Richtlinien bedeutsam.

Arbeitsrechtliche relevante EU-Verordnungen und Richtlinien

Da die EU-Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar gegenüber den Bürgern der Einzelstaaten wirkt, wird dieses Regelungsinstrument vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsgrundsatzes nach Art. 5 Abs. 1 EUV nur selten angewandt und ist an besonders strengere Voraussetzungen gebunden. Nur dort, wo die EU sehr weitgehende Regelungskompetenz hat, wie z. B. im Bereich der Freizügigkeit (hier Freizügigkeits-Verordnung) oder im Bereich der Bestimmung von gerichtlichen Zuständigkeiten und Anerkennung von Entscheidungen (EuGVVO) oder im Bereich von Regelungen über das Kollisionsrecht (Rom I-Verordnung sowie Rom II-Verordnung), kommt unmittelbar geltendes Europarecht zur Anwendung. Dagegen lässt die Umsetzung einer Richtlinie, wie in Art. 153 Abs. 2 AEUV vorgesehen, den Mitgliedsstaaten anders als die Verordnung noch einen bestimmten Gestaltungsspielraum. Insbesondere bei der Wahl der Mittel zur Umsetzung der Richtlinien sind die Mitgliedsstaaten weitgehend frei. So ist es z. B. den Mitgliedsstaaten aufgrund der Arbeitnehmerentsende-Richtlinie oder der Insolvenzschutz-Richtlinie weitgehend freigestellt, wie sie Arbeitnehmer im Falle der Entsendung oder der Insolvenz des Arbeitgebers schützen. Sie haben dabei lediglich die Vorgaben der EU-Richtlinien zu beachten (vgl. Kap. 11 und 14).

Die Handlungsform der Richtlinie stellt daher kein unmittelbar geltendes Recht dar. Entsprechend dem EU-Grundsatz der Subsidiarität stellen EU-Richtlinien vielmehr Regelungsbefehle an die Mitgliedsstaaten dar, die ihren Inhalt entsprechend den Zielen und Bestimmungen innerhalb einer bestimmten Frist umsetzen müssen. Allerdings ist anerkannt, dass eine unmittelbar Geltung gegenüber den öffentlichrechtlichen Arbeitgebern bzw. gegenüber solchen Arbeitgebern, die öffentlichrechtliche Aufgaben – auch in der Rechtsform des Privatrechts – wahrnehmen, besteht. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob auch Kirchen – sofern sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts wie in Deutschland nach Art. 137 WRV i. V. m. Art. 140 GG verfasst sind – als Staat gelten.

Ob eine Richtlinie dann unmittelbar wirkt, wenn die dem Mitgliedsstaat von der EU-Instanz gesetzte Frist zur Umsetzung versäumt wurde, ist dagegen strittig. Nach der bislang vorherrschenden Meinung wird auch bei Versäumung einer solchen Umsetzungsfrist wohl eher ein sog. „Self-Executing“ abgelehnt. Bei einer nicht fristgerechten Umsetzung können Privatpersonen gegebenenfalls Schadenersatzansprüche gegen Mitgliedsstaaten geltend machen. Sofern eine Richtlinie aber zu Gunsten des Unionsbürgers subjektive Rechte gegenüber den Mitgliedsstaaten enthält, wird im Falle der nicht fristgerechten oder mangelhaften Umsetzung der Richtlinie von einer unmittelbaren Wirkung ausgegangen.

In jedem Fall können aber auch die nicht unmittelbar geltenden Richtlinien, Empfehlungen und Entscheidungen nach Auffassung des EuGH zur Auslegung des maßgebenden EU-Rechts mit herangezogen werden. Insoweit besteht für nationale Gerichte eine Verpflichtung zur gemeinschaftskonformen Rechtsauslegung von EU-Recht, so dass auch Richtlinien auf diesem Wege bei der Rechtsprechung unmittelbar angewandt werden. Sollte nach der nationalen Rechtsordnung ein Auslegungsspielraum verbleiben, so haben nationale Gerichte und Behörden das nationale Recht im Lichte der erlassenen aber noch nicht umgesetzten Richtlinie auszulegen. So hat der EuGH zu der Frage der Höchstarbeitszeit für Rettungsassistenten entschieden, dass nationale Gerichte auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen ausschließlich privaten Personen bei der Auslegung des gesamten nationalen Rechts den Wortlaut und den Zweck einer noch nicht umgesetzten Richtlinie berücksichtigen müssen. Somit genießen sowohl das EU-Primärals auch das EUSekundärrecht Vorrang vor dem nationalen Recht.

Die Rahmenvereinbarung als spezielle Handlungsform des Europäischen Arbeitsrechts

Als weitere, für das Arbeitsrecht wichtige EU-Handlungsform ist die Rahmenvereinbarung zu nennen. Die Rahmenvereinbarung stellt eine Sonderform im Bereich der gemeinsamen europäischen Beschäftigungsund Sozialpolitik nach Art. 145, 151 AEUV dar. Die Ermächtigung zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen zwischen den auf EU-Ebene tätigen Sozialpartnern ist in Art. 155 Abs. 1, 2 AEUV vorgesehen. Diese Handlungsform stellt zwar keinen europäischen Tarifvertrag dar, ist aber das Ergebnis eines Dialoges zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene. Dabei können durch Rahmenvereinbarung die europäischen Sozialpartner (EGBUNICE-CEEP) ganz unmittelbar das Europäische Arbeitsrecht mitgestalten.

Die von den Sozialpartnern geschaffene Rahmenvereinbarung entfaltet selbst noch keine unmittelbare Wirkung. Sie wird entsprechend einem in den Art. 155, 153 AEUV genannten Verfahren dann mittels einer Richtlinie in Gemeinschaftsrecht übertragen. So besteht auf Unions-Ebene für den wichtigen Bereich der befristeten Arbeitsverträge eine Rahmenvereinbarung zu befristeten Arbeitsverträgen, die durch die Richtlinie 1999/70/EG umgesetzt wurde. Entsprechendes gilt für den Bereich von Teilzeitarbeitsverhältnissen, der aufgrund einer Rahmenvereinbarung nunmehr in der Richtlinie 97/81/EG besonders geregelt ist.

 
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