Beschränkung der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit nach Art. 45 Abs. 3 AEUV
Das Freizügigkeitsrecht steht unter dem Vorbehalt von Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit. Im Hinblick auf die nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten ist dieser Vorbehalt im Primärrecht verankert worden. Vergleichbare Regelungen finden sich auch bei der Einschränkungsmöglichkeit anderer EUGrundfreiheiten, Art. 36, 52, 62, 65 AEUV. Die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit sind unionsrechtlich nicht definiert. Gleichwohl erfolgt entsprechend der in Kapitel A dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze eine Auslegung dieser Begriffe nicht nach nationalem Recht. Andernfalls hätten es die Mitgliedsstaaten in der Hand, das Freizügigkeitsrecht nach ihren Vorstellungen einzuschränken. Um dem Freizügigkeitsrecht eine möglichst große Wirksamkeit zu verschaffen, stellt der EuGH sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen von Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit. Strafrechtliche Verurteilungen sind allein nicht ohne weiteres geeignet, die Freizügigkeit einzuschränken. Art. 45 Abs. 3 AEUV wird vom EuGH als eng auszulegende Ausnahmevorschrift angesehen, die ein erhebliches persönliches Fehlverhalten des Betroffenen erfordert, das zudem mit einem entsprechenden Gefährdungspotential verbunden ist. Auch Aspekten der Sittlichkeit – hier Prostitution – steht der EuGH als Rechtfertigung zur Einschränkung der Freizügigkeit eher zurückhaltend gegenüber. Schon gar nicht kann der Hinweis auf wirtschaftliche Zwecke eines Mitgliedsstaates als Gründe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit im Sinne von Art. 45 Abs. 3 AEUV angesehen werden. Mithin kann aus den Entscheidungen des EuGH der Grundsatz entnommen werden, dass die Hürden für eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit sehr hoch sind und nur bei strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überhaupt in Betracht kommen kann.
Keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung nach Art. 45 Abs. 4 AEUV
Das Freizügigkeitsrecht findet nach Art. 45 Abs. 4 AEUV keine Anwendung für den Zugang zur öffentlichen Verwaltung. Allerdings wird der Begriff der öffentlichen Verwaltung – vergleichbar mit dem Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit – ebenfalls nach unionsrechtlichen Grundsätzen und nicht nach den Vorgaben des Mitgliedsstaates ausgelegt. Damit die Freizügigkeit einen möglichst weiten Anwendungsbereich hat, wird der Begriff öffentliche Verwaltung auf einen Kernbereich der staatlichen Verwaltung reduziert. Hierzu gehören ausschließlich Tätigkeiten, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und der Wahrung der allgemeinen Belange unmittelbar verbunden sind. So können lediglich die Bereiche Militär, Polizei, Justiz, Gesetzgebung und diplomatischer Dienst vom Freizügigkeitsrecht ausgenommen und den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden.