Fall Lawrie-Blum EuGH Slg. 1986, 2121

Die britische Staatsangehörige L – die mit einem Deutschen verheiratet war – hat in Freiburg Russisch und Anglistik studiert und das Studium erfolgreich abgeschlossen. Sie beantragt nunmehr die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an deutschen Schulen. Das deutsche Oberschulamt lehnt die Übernahme von L mit der Begründung ab, der pädagogische Vorbereitungsdienst setze ein Beamtenverhältnis voraus, was nur durch Deutsche im Sinne von Art. 116 GG begründet werden kann. Auch könne sich L nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, da es um die Begründung eines Beamtenverhältnisses geht. Nachdem L wegen Nichtübernahme in den pädagogischen Vorbereitungsdienst um Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten nachsuchte, legte das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung der Frage vor, ob die Freizügigkeitsregelungen den Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates das Recht einräumen, in einem anderen Mitgliedsstaat unter gleichen Bedingungen wie ein Inländer zum staatlichen Vorbereitungsdienst für ein Lehramt zugelassen zu werden.

Der EuGH geht zunächst davon aus, dass auch Studienreferendare als Arbeitnehmer im Sinne des EU-Rechts anzusehen seien, da sie der Weisung und der Aufsicht der Schule unterliegen, eine Vergütung erhalten und Dienstleistungen von wirtschaftlichem Wert erbringen. Zudem kann der Vorbereitungsdienst für ein Lehramt nicht als Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung angesehen werden, zu der die Zulassung den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedsstaaten verweigert werden kann. Insoweit ist das Land Baden-Württemberg verpflichtet, L die weitere Ausbildung zu ermöglichen.

1. Da die Freizügigkeit der Arbeitnehmer eines der Grundprinzipien der Gemeinschaft ist, kann der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 48 (nunmehr Art. 45 AEUV) nicht je nach dem nationalen Recht unterschiedlich ausgelegt werden, sondern er hat eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung. Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers ist, da er den Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit festlegt, weit auszulegen. (Rn. 16)

2. Dieser Begriff ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht aber darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. (Rn. 17)

3. Der Studienreferendar untersteht während der gesamten Dauer des Vorbereitungsdienstes der Weisung und der Aufsicht der Schule, der er zugewiesen ist, die ihm die zu erbringenden Leistungen und die Arbeitszeiten vorschreibt, deren Anweisungen er auszuführen und deren Vorschriften er einzuhalten hat. Während eines wesentlichen Teils des Vorbereitungsdienstes hat er den Schülern Unterricht zu erteilen und erbringt damit zugunsten der Schule Dienstleistungen, die einen gewissen wirtschaftlichen Wert haben. Die Beträge, die er erhält, können als Vergütung angesehen werden, die eine Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen und die Verpflichtungen, die die Ableistung des Vorbereitungsdienstes für ihn mit sich bringt, darstellt. Somit ist festzustellen, dass die drei Kriterien für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Fall erfüllt sind. (Rn. 18)

4. Der Umstand, dass der pädagogische Vorbereitungsdienst, ebenso wie die Lehrzeiten bei anderen Berufen, als eine mit der eigentlichen Ausübung des Berufes verbundene praktische Vorbereitung angesehen werden kann, verhindert die Anwendung des Art. 48 Abs. 1 (nunmehr Art. 45 AEUV) nicht, wenn dieser Dienst unter den Bedingungen einer Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis abgeleistet wird. (Rn. 19)

5. Es lässt sich auch nicht einwenden, die im Rahmen des Schulwesens erbrachten Leistungen fielen nicht in den Geltungsbereich der EU-Verträge, da sie nicht wirtschaftlicher Natur seien. Für die Anwendung des Art. 48 (nunmehr Art. 45 AEUV) ist nämlich nur erforderlich, dass die Tätigkeit den Charak ter einer entgeltlichen Arbeitsleistung hat, unabhängig davon, in welchem Bereich sie erbracht wird. (Rn. 20)

6. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung nach Art. 48 Abs. 4 (nunmehr Art. 45 Abs. 4 AEUV) ist als Ausnahme vom Grundprinzip der Freizügigkeit und der Nichtdiskriminierung der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedsstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist. Der Zugang zu Stellen kann deshalb nicht eingeschränkt werden, weil in einem bestimmten Mitgliedsstaat die Personen, die diese Stellen annehmen können, in das Beamtenverhältnis berufen werden. Würde man nämlich die Anwendung des Art. 48 Abs. 4 (nunmehr Art. 45 Abs. 4 AEUV) von der Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und der Verwaltung abhängig machen, so gäbe man damit den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, nach Belieben die Stellen zu bestimmen, die unter diese Ausnahmebestimmung fallen. (Rn. 26)

7. Unter Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung sind daher nur diejenigen Stellen zu verstehen, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind und die deshalb ein Verhältnis besonderer Verbundenheit der jeweiligen Stelleninhaber zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsband zu Grunde liegen. (Rn. 27)

8. Ausgenommen sind daher nur die Stellen, die in Anbetracht der mit ihnen verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten die Merkmale der spezifischen Tätigkeit der Verwaltung auf den genannten Gebieten aufweisen können. Diese sehr engen Voraussetzungen sind im Falle des Studienreferendars nicht erfüllt. (Rn. 27, 28)

 
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