Ergänzende Regelungen in der Freizügigkeits-VO sowie in Richtlinie 2004/38/EG
Die primärrechtlichen Regelungen in Art. 45 AEUV werden – wie oben bereits ausgeführt – ergänzt durch die Freizügigkeits-VO Nr. 492/2011. In der vorgenannten auf Art. 46 AEUV basierenden Verordnung werden Detailfragen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, Art. 1 ff., hinsichtlich der Ausübung der Beschäftigung und der Gleichbehandlung, Art. 7 ff., sowie der Rechte für Familienangehörige der Arbeitnehmer, Art. 10, geregelt. Spezielle Regelungen, die eine Diskriminierung oder Beschränkung verhindern sollen, sind in Art. 3 und 4 Freizügigkeits-VO enthalten. So verbietet Art. 3 u. a. Vorschriften, die Stellenangebote, Arbeitsgesuche, den Zugang zur Beschäftigung oder die Ausübung von Beschäftigung durch EUAusländer einschränken. Zahlenmäßige oder anteilsmäßige Beschränkung des Einsatzes von EU-Ausländern ist nach Art. 4 der Freizügigkeits-VO verboten.
Von der Freizügigkeits-VO wie ausgeführt zu unterscheiden sind die aufenthaltsrechtlichen Regelungen in Richtlinie 2004/38/EG. Die dort vorgesehenen Regelungen knüpfen nicht an die Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern an die Freizügigkeit von Unionsbürgern nach Art. 21 AEUV an. Das Gleichbehandlungsgebot für Unionsbürger ist in Art. 24 RL 2004/38/EG enthalten. Da diese Richtlinie vorrangig nicht an die Arbeitsund Erwerbstätigkeit anknüpft, soll an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet werden.
Praktische Fallbeispiele
Die nachfolgenden Entscheidungen enthalten zunächst Beispiele für eine unmittelbare Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen Staatsangehörigkeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht und in steuerrechtlicher Hinsicht. Daran schließen sich Beispiele für eine Verletzung des EU-rechtlichen Beschränkungsverbots nach Art. 45 Abs. 2 AEUV an.
Fall Ugliola EuGH Slg. 1969, 363
U arbeitete als italienischer Staatsangehöriger seit 1961 bei der Württembergischen Südmilch AG. Im Mai 1965 wird er in Italien zum Wehrdienst eingezogen, den er bis August 1966 ableistet. Danach nimmt er seine Tätigkeit bei der Südmilch AG wieder auf. Anders als bei deutschen Wehrpflichtigen rechnet die Südmilch AG seinen Wehrdienst nicht auf seine Betriebszugehörigkeit an. Nach Auffassung der Südmilch AG bestehe eine solche Verpflichtung nur bei deutschen Wehrpflichtigen nach dem ArbeitsplatzschutzG. Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens legte das BAG dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist und im Hoheitsgebiet eines anderen beschäftigt ist, Anspruch auf Anrechnung der Wehrdienstzeiten auf die Betriebszugehörigkeit nach dem Recht des Beschäftigungslandes hat.
Nach Auffassung des EuGH ist das Arbeitsplatzschutzgesetz insoweit EUrechtswidrig, als es andere EU Bürger vom Kündigungsschutz ausnimmt und die Wehrdienstzeiten nicht bei der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt.
1. Art. 48 des Vertrages (Art. 45 AEUV) schreibt zur Herstellung der für den Gemeinsamen Markt wesentlichen Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen vor. (Rn. 3)
2. Diese Bestimmung wird nur durch die in Abs. 3 abschließend aufgezählten Vorbehalte hinsichtlich der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit eingeschränkt. Das Sozialrecht der Gemeinschaft beruht auf dem Grundsatz, dass die Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats den in dessen Hoheitsge biet beschäftigten Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten alle Rechtsvorteile gewähren, die sie den eigenen Staatsangehörigen einräumt. (Rn. 3)
3. Ein staatliches Gesetz, das den Arbeitnehmer, der seine Arbeit in seinem früheren Betrieb wieder aufnimmt, vor Nachteilen aus der durch den Wehrdienst veranlassten Abwesenheit bewahren will, indem es insbesondere bestimmt, dass die Wehrdienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit angerechnet wird, gehört in das Gebiet der Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen. Ein solches Gesetz kann daher auch nicht wegen seines mittelbaren Zusammenhangs mit der Landesverteidigung dem Anwendungsbereich der Arbeitnehmer-Freizügigkeit entzogen sein. (Rn. 5)
4. Schon nach Art. 48 des Vertrages (nunmehr Art. 45 AEUV) können Mitgliedsstaaten nicht dadurch von der im Vertrag für alle Arbeitnehmer der Gemeinschaft gewollten Gleichheit der Behandlung und des Schutzes abweichen, dass sie mittelbar eine nur die eigenen Staatsangehörigen begünstigende Diskriminierung aus Anlass der Wehrpflicht einführen. In Folge dessen muss eine staatliche Rechtsnorm, die den Arbeitnehmer vor nachteiligen Auswirkungen einer durch den Wehrdienst veranlassten Abwesenheit auf die Beschäftigungsbedingungen im Betrieb schützt, auch auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten angewandt werden. (Rn. 6)