Fall Angonese EuGH Slg. 2000, I-4139
Der italienische Staatsangehörige A – mit deutscher Muttersprache – hat ein Studium in Österreich absolviert. Von dort bewarb er sich bei einer Bozener Bankgesellschaft, der Cassa di Risparmio di Bolzano SpA (im Folgenden Cassa di Risparmio). Diese machte die Teilnahme an dem Auswahlverfahren von dem Nachweis der Zweisprachigkeit (italienisch/deutsch) für den Eintritt in den öffentlichen Verwaltungsdienst der Provinz Bozen abhängig. Dieser Test wird ausschließlich in der Region Bozen durchgeführt. A, der über die Zweisprachigkeit verfügt, konnte deren speziellen Nachweis durch den regionalen Sprachtest in Bozen nicht erbringen. Aus diesem Grunde ließ die Cassa di Risparmio A nicht zum Auswahlverfahren zu. Auf den Widerspruch von A legte die zuständige Pretura Bozen dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es mit dem Freizügigkeitsrecht vereinbar sei, wenn die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Besetzung von Arbeitsplätzen bei einem privatrechtlichen Unternehmen vom Besitz einer amtlichen Bescheinigung über die Kenntnisse von örtlichen Sprachen abhängig gemacht werde, die von einer einzigen öffentlichen Verwaltung eines einzigen Mitgliedsstaates ausgestellt wird.
Der EuGH sah im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 48 AEUV (nunmehr Art. 45 AEUV) sowie der Freizügigkeits-VO als gegeben an, weil die Verpflichtung zur Vorlage einer Bescheinigung, die nur in der Provinz eines Mitgliedsstaates erworben werden kann, die Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten im Verhältnis zu den Einwohnern der Provinz Bozen benachteilige. In diesem Zusammenhang führt der EuGH aus, dass das allgemein formulierte Diskriminierungsverbot sich nicht nur auf die Mitgliedsstaaten und damit auf Akte staatlicher Behörden beschränke. Vielmehr gelte das Diskriminierungsverbot für alle Privatpersonen und entfalte insoweit Drittwirkung.
1. Zunächst ist festzustellen, dass das in Art. 48 (nunmehr Art. 45 AEUV) des Vertrages ausgesprochene Diskriminierungsverbot allgemein formuliert ist und sich nicht speziell an die Mitgliedstaaten richtet. So gilt das Verbot der auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung nicht nur für Akte der staatlichen Behörden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Maßnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeitsund Dienstleistungsbereich enthalten. (Rn. 31)
2. Die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten wäre gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse zunichte gemacht werden könnte, die sich daraus ergeben, dass nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen. (Rn. 32)
3. Die Tatsache, dass bestimmte Vertragsvorschriften ausdrücklich die Mitgliedstaaten ansprechen, schließt nicht aus, dass zugleich allen an der Einhaltung der so umschriebenen Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein können. Das Diskriminierungsverbot gilt danach auch für alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen. Das in Art. 48 (nunmehr Art. 45 AEUV) des Vertrages ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gilt somit auch für Privatpersonen. (Rn. 34, 36)
4. Im vorliegenden Fall lässt die Cassa di Risparmio ausschließlich die Bescheinigung als Nachweis der geforderten Sprachkenntnisse zu, die nur in einer Provinz des betreffenden Mitgliedstaats erlangt werden kann. Daraus folgt, dass Personen, die nicht in dieser Provinz wohnen, wenig Möglichkeiten haben, die Bescheinigung zu erwerben, und dass es für sie schwierig, ja sogar unmöglich sein wird, den betreffenden Arbeitsplatz zu erhalten. (Rn. 38, 39)
5. Da die Mehrheit der Einwohner der Provinz Bozen die italienische Staatsangehörigkeit besitzen, benachteiligt die Verpflichtung, die geforderte Bescheinigung zu erlangen, die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Verhältnis zu diesen Einwohnern. (Rn. 40)