Fall Burton EuGH Slg. 1982, 554

Herr B war seit 25 Jahren bei der British Railway Board beschäftigt. Der Arbeitgeber hat den dort Beschäftigten Abfindungszahlungen für den Fall des freiwilligen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis angeboten. Frauen konnten von der Möglichkeit des abfindungsbewährten Ausscheidens ab dem Alter von 55 Jahren und ihre männlichen Kollegen ab dem Alter von 60 Jahren Gebrauch machen. B wollte im Alter von 58 Jahren freiwillig ausscheiden und beantragte eine Abfindungszahlung, die abgelehnt wurde. B klagt vor dem Industrial Tribunal und rügt eine Verletzung von Art. 157 AEUV sowie sonstiger Diskriminierungsvorschriften. Das Employment Appeal Tribunal als Berufungsinstanz legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Leistungen bei freiwilligem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unter Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 157 Abs. 1 AEUV) fallen und der vorliegende Sachverhalt zu einer Diskriminierung führe.

Der EuGH bejaht den Entgeltcharakter einer Abfindung, obwohl diese nur für die freiwillige Auflösung des Arbeitsverhältnisses und nicht für die Arbeitsleistung gezahlt wird. Da aber das Auslegungsproblem nicht die Leistung als solche sondern nur deren Anspruchsvoraussetzungen betreffe, sei Art. 157 AEUV nicht einschlägig, sondern vielmehr die Gleichbehandlungs-Richtlinie 76/207/EG (nunmehr Richtlinie 2006/54/EG). In dieser Hinsicht verneint der EuGH das Vorliegen einer sonstigen Diskriminierung von männlichen Arbeitnehmern, da bei einem betrieblichen Altersversorgungssystem ein Vergleich zu den jeweils geltenden nationalen gesetzlichen Sozialversicherungssystemen erforderlich sei. Im britischen Rentenversicherungsrecht erwachsen Rentenleistungsansprüche erst mit Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren für Frauen und von 65 Jahren für Männer. Daher sieht auch das britische Sozialversicherungssystem eine ebenfalls um fünf Jahre versetzte und damit geschlechtsbezogene unterschiedliche Altersgrenze zum Erreichen der Rentenbezugsberechtigung vor.

1. Das Auslegungsproblem betrifft nicht die Leistung als solche, sondern die Frage, ob eine Diskriminierung in Bezug auf die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Regelung über das freiwillige Ausscheiden vorliegt. Diese Materie fällt unter die Richtlinie 76/207/EWG (nunmehr RL 2006/54/ EG) und nicht unter Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 157 AEUV). (Rn. 8)

2. Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG (nunmehr Art. 14 Abs. 1 c RL 2006/54/EG) bedeutet nämlich die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden. (Rn. 9)

3. Im Rahmen der Richtlinie ist das Wort „Entlassung“ in dem Sinne weit auszulegen, dass es die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber einschließt, auch wenn sie aufgrund einer Regelung über freiwilliges Ausscheiden erfolgt. (Rn. 9)

4. Für die Beantwortung der Frage, ob die unterschiedliche Behandlung die der Kläger im Ausgangsverfahren rügt, diskriminierend im Sinne dieser Richtlinie ist, ist das Verhältnis zwischen Maßnahmen, wie sie hier in Rede stehen, und den nationalen Regelungen über das normale Rentenalter zu berücksichtigen. (Rn. 10)

5. Nach dem Recht des Vereinigten Königreichs beträgt das Mindestalter für den Bezug einer staatlichen Altersrente für weibliche Arbeitnehmer 60 und für männliche Arbeitnehmer 65 Jahre. (Rn. 11)

6. Die Richtlinie 76/207/EWG (nunmehr RL 2006/54/EG) steht der Befugnis der Mitgliedstaaten nicht entgegen, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen. (Rn. 13)

7. Daraus folgt, dass die Festsetzung eines Mindestrentenalters im Rahmen der sozialen Sicherheit, das für Männer und Frauen unterschiedlich ist, keine durch das Gemeinschaftsrecht verbotene Diskriminierung darstellt. (Rn. 14)

 
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